Zwischen 70.000 und 150.000 Sinti und Roma leben derzeit in Deutschland. Ganz genau weiß man es nicht: Die Ethnien werden schließlich bei statistischen Erhebungen in Deutschland nicht erfasst. Was man aber ziemlich genau weiß: Sehr häufig sehen sich Vertreter von Sinti und Roma im Alltag diskriminiert und von der öffentlichen Teilhabe ausgegrenzt. Das muss anders werden – sagen sich die Verantwortlichen vor allem in Baden-Württemberg. Dort hat das Landessozialministerium gemeinsam mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma ein einzigartiges Projekt ins Leben gerufen, unter dem Namen „ReFIT“. Was das bedeutet und was sich konkret dahinter verbirgt soll im Weiteren hier erläutert werden. Zunächst aber ein paar Beispiele, wie sich die Inklusionsverweigerung in Deutschland anfühlt.
Da wäre erst mal die Diskriminierung in der Amtsstube. Eine Roma-Mutter kämpft darum, dass ihr Kind bei ihr bleiben darf. Christine Bast vom Verband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg: „Da war ein Gerichtsprozess. Es ging eigentlich um Kindesentzug. Beim Prozess wurde alles widerlegt, was das Jugendamt behauptet hatte. Aber das war ganz klar Diskriminierung vom Jugendamt. Das Wort ‘Sippschaft’ ist mehrfach gefallen, obwohl das Kind nachweislich in die Schule gegangen ist. Und jetzt geht es weiter auf dem Sozialamt, mit Kürzungen beispielsweise.“
Zweitens wäre da die Diskriminierung bei der Wohnungssuche: Eine Roma-Familie kämpft um ihre Bleibe – und um ihren Ruf. Jovia Arvanitelli vom Verband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg: „Es gab da ganz große Schlagzeilen in den Zeitungen, dass sich so viele Roma versammeln, Unruhe stiften, keine Mülltrennung machen. Später und im Nachhinein hat man mitgekriegt, dass der Vermieter die Schrottimmobilie abgekauft hat von der Kommune und sie zu Wucherpreisen vermietete, aber keine geeigneten Plätze für die Mülltonne vorhanden waren. Meist kommen dann später solche Sachen raus.“
Zwei Beispiele für Diskriminierung von Sinti und Roma in Deutschland, denen der Verband noch zahlreiche weitere Fälle hinzufügen könnte. „Seit dem Völkermord an der Minderheit der Menschen mit Romani-Hintergrund in der Nazi-Zeit fühlte man sich über Generationen hinweg weiter diskriminiert und als Menschen zweiter Klasse“, heißt es beim Verband. Damit ist Romeo Franz aus Kaiserslautern zitiert, Abgeordneter der Grünen im Europaparlament und Mitglied der Ethnie der Sinti und Roma.
Ein neues Projekt in Baden-Württemberg soll nun für den Anfang vom Ende dieser Diskriminierung sorgen: „ReFIT“, das bedeutet, so Romeo Franz: „…regionale Förderung, Inklusion und die Teilhabe-Idee. Der Leitgedanke von ReFIT ist die Umsetzung von nationaler Verantwortung und Chancengleichheit sowie Bildungsbeteiligung von in Deutschland lebenden nationalen Minderheiten.“
…zu denen natürlich auch die Sinti und Roma gehören. Viele von ihnen sind erst in den zurückliegenden Jahren aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland gekommen. Eine ganze Fülle von Projektpartnern haben sich bei „ReFIT“ zusammengetan: Neben dem Landesverband Baden-Württemberg Deutscher Sinti und Roma sind dies das baden-württembergische Ministerium für Soziales und Integration sowie die Städte Ulm, Stuttgart, Freiburg und Mannheim, aber auch die Pädagogische Hochschule Heidelberg. Sie hat die wissenschaftliche Begleitung übernommen.
„Wir haben ein sehr konkretes Thema: Da geht es sehr häufig um wohnungslose Menschen, wohnungslose südosteuropäische Roma. Und da ist man eigentlich angewiesen auf die Hilfen, die man auf der Basis der Sozialgesetzgebung Deutschlands und anderer Hilfen aktivieren kann. Allerdings: die Zwickmühle, die wir von der Bundesgesetzgebung her haben, ist, dass wir Menschen haben, die von den Leistungen ausgeschlossen sind“, meint Romeo Franz.
Das sei allerdings ein Problem, das sich auch für Sinti und Roma aus EU-Ländern wie Bulgarien und Rumänien auftut, weiß Jan Peter vom Sozialamt der Stadt Stuttgart. Das Projekt ReFIT soll bei der Problemlösung helfen – durch eine engere Verzahnung zwischen den beteiligten Städten und dem Landesverband der Sinti und Roma. Deren Projektmitarbeiterin-nen und -mitarbeiter kennen die Bedürfnisse der Betroffenen gut, können mit ihnen auf Augenhöhe sprechen, ebenso aber auch mit Vertretern der Stadtverwaltung, immer mit dem Ziel „… oder dass man sich damit stärker in der Stadtverwaltung und auch in der Gesellschaft auseinandersetzt, und dass am Ende des Projektes neue Strategien zur Verfügung gestellt werden.“
Claus Pressler von der Stadt Mannheim will für einen besseren Zugang der Sinti und Roma zum Arbeitsmarkt Sorge tragen. Viele, so seine Beobachtung, erhalten keinen Job, so sehr sie sich auch anstrengen mögen. Claus Pressler beruft sich dabei auf das so genannte „Roma-Inklusions -Programm“ der Europäischen Union: „Da gibt es ein interessantes Ergebnis, nämlich, dass im Bereich Bildung durchaus Fortschritte erzielt werden konnten. Aber beim Thema Arbeitsmarktzugang und Ausbildung wird eine Verschlechterung festgestellt. Nur wenn man diese beiden Ergebnisse nebeneinanderstellt, offenbart sich ja schon das Thema der strukturellen Barrieren, die letztendlich mit Rassismus zu begründen sind, dass wir nämlich den Bildungserfolg stärken konnten, gleichzeitig aber der Arbeitsmarktzugang weiterhin erschwert wird.“
Dahinter stünden Antiziganismus und Rassismus. Dem müsse man im Rahmen von „ReFIT“ begegnen – ein Projekt, bei dem zunächst ein Jahr lang sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verbandes der Sinti und Roma unterwegs sind, um solche und eine Fülle weiterer Aufgaben anzugehen. Das baden-württembergische Sozialministerium überweist für das Projekt 700.000 Euro und übernimmt damit den größten Brocken an der Finanzierung.
Ganz wichtig: Kein – wie es beim Auftakt hieß – „paternalistischer“, also bevormundender Umgang mit den Betroffenen, sondern vielmehr ein Miteinander auf Augenhöhe. Vor diesem Hintergrund gefällt dem Europaabgeordneten Romeo Franz auch das Wort ‚Integration‘ nicht so sehr, weil: „Das Wort ‚Integration‘ bedeutet für marginalisierte Gruppen zumeist die Aufforderung zur Assimilierung“, und damit zur Aufgabe der eigenen Identität. Daher die Forderung: „Inklusion, gleichberechtigte Teilnahme und Chancengleichheit sollte es heißen – für eine Gesellschaft, die Unterschiede akzeptiert und Würde und Rechte eines jeden Menschen schützt und respektiert.“