Häuser ohne Menschen, Menschen ohne Häuser

Was Hausbesetzungen über unsere Gesellschaft verraten – ein Vergleich zwischen Bukarest und Berlin

Haus mit rotem Punkt in Bukarest | Foto: Carla Foge

Steigende Mieten trotz leerstehender Häuser – in Bukarest wachsen Bäume durch Wohnzimmer, in Berlin hängen Transparente an den Fassaden. Zwei Städte, zwei Arten von Leerstand und zwei völlig unterschiedliche Formen des Widerstands. Was passiert, wenn Wohnraum zur Ware wird? Was sagt uns das über Besitz, Vertrauen und über die stille Logik des Verfalls?

Als ich vor einigen Wochen nach Bukarest kam, warnte das Ro-Alert-System vor extremer Hitze: 37°, 39°, 40°. Ich schleppte mich neugierig durch die Straßen der fremden Stadt, ließ mich treiben – vom Auge und dem Sinn für Ästhetik geleitet.

Vom Universitätsplatz gehe ich nach Osten, über die Calea Mosilor, dann weiter über den Bulevardul Carol I. Ich staune über eine Architektur, die wenig mit den Postkarten zu tun hat. „Paris des Ostens“ – doch die glänzenden Fassaden aus den Souvenirshops passen nicht zu meinen Eindrücken. Neben renovierten Stadtpalästen stehen sozialistische Wohnblöcke und viele verlassene Gebäude. So viele, dass es mich überrascht. Eingefallene Dächer, Fenster ohne Glas, Bäume, die durch Wohnzimmer wachsen – mitten im Zentrum. 

Vor allem im armenischen und jüdischen Viertel der Altstadt stehen zahllose, wunderschöne Gebäude leer – und das bei Mietpreisen, die mich bei meiner eigenen Wohnungssuche fassungslos gemacht haben. All der ungenutzte Wohnraum, all das Potenzial, schießt es mir in den Kopf und gleichzeitig die Frage: Sind diese Häuser wirklich so unbewohnt wie sie aussehen? Bei so viel Leerstand müsste sich das doch für Hausbesetzungen geradezu anbieten. 

Fast automatische suche ich die Fassaden, Fenster und Höfe nach Zeichen von Leben ab. Plakate, Transparente, Graffitis, vielleicht rote oder schwarze Flagge – nach irgendetwas, das mir sagt: Hier hat sich jemand Wohnraum genommen, hier wird besetzt. So wie ich es aus Berlin kenne. Doch Anzeichen dieser Art finde ich nicht. Werden in Bukarest keine Häuser besetzt oder geschieht es schlicht im Verborgenen? 

Suche nach Zeichen

Ich beginne zu recherchieren. Anders als bei einigen der besetzten Gebäude in Berlin – Köpi, Liebig 34, oder das Tuntenhaus, deren Onlinepräsenz von Websites über Instagram bis hin zu YouTube-Dokus reicht – finde ich kaum Hinweise auf öffentlich sichtbare Besetzungen in Bukarest. Was natürlich nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt. 

Ich tauche in Paragraphen und trockene juristische Formulierungen ein. Nach rumänischem Recht gilt als Besetzer, wer ohne Mietvertrag wohnt – es drohen Anzeige und Zwangsräumung. Kein Wunder, dass Besetzungen hier leise bleiben. Provokante Transparente und offene Solidaritätsaktionen wären zu riskant. Es droht die unmittelbare Obdachlosigkeit. Besonders im Winter, wenn Räumungen trotz offizieller Sperrfristen drohen, kann ein solcher Schritt über Leben und Obdach entscheiden. Das Netzwerk „Blocul pentru locuire“, das sich für Wohngerechtigkeit einsetzt, beschreibt die Sommermonate sogar als die „Saison der Zwangsräumungen“. Sichtbar zu sein bedeutet hier: angreifbar zu sein. 

Besetzungen als lauter Protest

In Berlin hingegen scheint eine ganz andere Taktik vorzuherrschen: Sichtbarkeit. Hausbesetzungen sind dort unübersehbar: Graffitis, Konzerte, Lesungen. Sie inszenieren sich als politische Akteure, als städtische Bewegung und als radikale Gegenstimme zu Gentrifizierung und Verdrängung. Oft auf konfrontative Weise. Dabei sind Hausbesetzungen in Deutschland genauso illegal wie in Rumänien. Doch die Sichtbarkeit wird hier als Schutzschild verstanden, nicht als Risiko. Große Teile der Bevölkerung unterstützen sie als legitime Protestformen – heute wie zu den Hochzeiten der Bewegung in den 1980er Jahren. Es ging jedoch nie nur um das Aneignen von Wohnraum. Die Bewegung war ein Experiment: andere Formen des Zusammenlebens, ein Widerstand gegen bürgerliche Normen, eine Reaktion auf den massiven Leerstand in Zeiten der Wohnungsnot. In den 1980er Jahren, als in Westberlin ganze Viertel aus Spekulationsgründen leer standen, reagierten junge Menschen, Studierende, Künstler mit Besetzungen. Aus Wohnraumnot wurde Widerstand – und aus Protest eine Bewegung. Und Hausbesetzungen wurden zu städtischer Subkultur. Manche Häuser wurden später legalisiert, andere geräumt, doch die Spuren sind geblieben.

Die Ursachen sind damals wie heute dieselben: Wohnraumknappheit, steigende Mieten, Verdrängung. Wohnen wurde zur Ware. Ein Spiel, bei dem wenige gewinnen und viele verlieren. Die Probleme sind gesellschaftlich und intergenerational. Vielleicht erklärt das die breite gesellschaftliche Sympathie, die Hausbesetzungen bis heute in Deutschland genießen. Auf ihr basiert eine Hoffnung auf Solidarität. Die öffentliche Meinung wird hier als Druckmittel gegen politische Entscheidungen verwendet und macht die Hausbesetzungen somit zum Flugblatt für soziale Gerechtigkeit. 

... und als leise Überlebensstrategie

In Bukarest hingegen bleibt der Widerstand eher leise. Während Berlin seine Hausbesetzer auf der Bühne präsentiert, bleibt in Bukarest vieles im Flüsterton. Vielleicht aus Notwendigkeit, vielleicht aus Angst – in einer Stadt mit ähnlichen Problemen. Nach der Revolution 1989 begann Rumänien einen abrupten Übergang zur Marktwirtschaft. Nach Jahrzehnten der Enteignung durch das kommunistische Regime galten plötzlich Eigentumsrückgabe und Privatisierung als neue Leitmotive – forciert von den neuen politischen Eliten und westlichen Partnern. Der Wandel verlief chaotisch: Gesetzeslücken, ungeklärte Besitzverhältnisse und ein Staat, der sich zunehmend aus der sozialen Verantwortung zurückzog. Frühere Ideale wie „Wohnraum und Arbeit für alle“ wichen dem Dogma von Privateigentum und freiem Markt. Auf das Chaos folgte ein Bukarest mit Leerstand, Obdachlosigkeit, Spekulation – und Zwangsräumungen.

„Die wollen lieber, dass das Haus verfällt, als dass ein anderer es bekommt“, sagt die 18-jährige Bukarester Schülerin Lira, die mich auf einem meiner Streifzüge durch die Straßen begleitet. „Wie streitende Kinder: Wenn ich es nicht haben kann, sollst du es auch nicht haben.“ So würden die Gebäude jahrelang in Rechtsstreits verharren – durch Trotz und Sturheit dem Verfall preisgegeben. Jahrzehnte nach der Revolution wirkt das auf mich eher wie eine bewusste Strategie der Gentrifizierung. Wie in Berlin damals ist Abriss profitabler als Sanierung, Neubau lohnender als Erhalt. 

Wer darf wo wohnen?

Seit der Revolution finden sich immer mehr Menschen jenseits des legalen Wohnsystems wieder, in einer Grauzone zwischen Notwendigkeit und Gesetz. Zwischen den eingestürzten Dächern und glänzenden Neubauten zeigt sich, wer im neuen System besonders von den unklaren Wohnverhältnissen und Zwangsräumungen betroffen sind: vor allem die Roma, die seit jeher Ziel sozialer Ausgrenzung sind. 

Zu Beginn der 2000er-Jahre, als die Innenstadt als touristisches Zentrum neu vermarktet wurde, wurden zahlreiche Roma-Familien aus zentrumsnahen Vierteln geräumt – etwa in der Strada Vulturilor, wo über 100 Personen auf einen Schlag obdachlos wurden. So werden bestimmte Personengruppen immer weiter an den Rand der Städte und Gesellschaften gedrängt. Es entstehen Siedlungen aus improvisierten Materialien am Rand der Stadt, illegal, aber halb geduldet. Wer hier wohnt – wer hier besetzt – tut das nicht aus Ideologie.

Besitzen und Besetzen

Mit meinem romantisierten Blick auf Hausbesetzungen hat das wenig zu tun. Ich erkenne, wie sehr meine Vorstellungen durch das westeuropäische Berliner Modell geprägt sind. Für mich waren Besetzungen immer vorrangig politisch, radikal, widerständig. Die Notwendigkeit dahinter sah ich hauptsächlich im Protest, anstatt im Überleben. In Bukarest ist es umgekehrt.

Heute hat Rumänien die höchste Wohneigentumsquote Europas: Fast 95 Prozent leben in den eigenen vier Wänden und sind daher vor unsicheren Mietverhältnissen und Zwangsräumungen geschützt. Paradox in einem Land, in dem so viele Menschen trotzdem keinen sicheren Wohnraum haben. Nach Jahrzehnten staatlicher Kontrolle wird Eigentum zur Erlösung und gilt als Symbol für Stabilität und Erfolg. Doch für viele bleibt dieser Traum unerschwinglich. Ich spreche mit meinem Vermieter. Er besitzt drei Wohnungen, vermietet an Touristen und ausländische Studierende. Hausbesetzungen? Gäbe es hier nicht, meint er. „Seit der Revolution wollen die Leute hier so weit weg vom Kommunismus wie möglich. Das ist wie ein Trauma. Deswegen haben die gar kein Interesse am Besetzen. Es geht ums Besitzen.“ Vielleicht erklärt das, warum Besetzungen hier nicht romantisiert, sondern eher gefürchtet werden: Sie bedrohen den Traum von Besitz – und damit die Grundlage des neuen Systems. Auf die in Berlin übliche Solidarität wird hier nicht vertraut. 

Politischer Leerstand

Besetzungen in Berlin und Bukarest haben grundverschiedene Gesichter. Aber vielleicht liegt der Unterschied weniger in der Motivation als in den Möglichkeiten. Die einen kämpfen um Überleben, die anderen um politische Sichtbarkeit. In Berlin kann man sich leisten, politisch zu sein – oder zumindest so zu tun. Der Protest wird hier zum Teil der Stadtästhetik, zum Teil der Berliner Identität. Eine eigene Schicht auf den Fassaden, ein Stilmittel zwischen Streetart und Widerstand. Bunt, künstlerisch, laut und unterstützt. In Berlin glaubt man daran, dass die öffentliche Meinung, mediale Kampagnen und klare politische Forderungen etwas ändern können. Besetzer sind in großen Teilen der Bevölkerung Sympathieträger. Sie sind jung, gebildet und zunehmend Teil der gesellschaftlichen Avantgarde. In Bukarest hingegen sind Besetzungen nicht romantisch, performativ oder bewusst widerständig. Sie scheinen weit existenzieller zu sein. 

Aber vielleicht ist der Widerstand in Rumänien auch eine Frage des Vertrauens. Des Vertrauens in die Strukturen und in den gesellschaftlichen Zusammenhang. In Bukarest, wo die politische Korruption, die Macht der Immobilienlobbys und die Diskriminierung gegenüber der Roma-Minderheit kaum ein Geheimnis sind, erscheint die Öffentlichkeit selbst verdächtig und Schweigen daher als Überlebensstrategie.

Dabei kämpfen beide Städte mit Gentrifizierung, Ausschluss und Armut. Es geht in beiden Städten um die gleiche Leerstelle: Um Raum, der nicht einfach nur leer ist, sondern bewusst leer gehalten wird. In Berlin stehen Luxuswohnungen leer, während Langzeitmieter mit steigenden Preisen aus ihren Wohnungen verdrängt werden und Menschen in Parks schlafen. In Bukarest verfallen historische Villen aus Spekulationsgründen und weil Eigentumsfragen ungeklärt sind. Gleichzeitig werden Familie zwangsgeräumt und an den Stadtrand gedrängt. Der Leerstand ist kein Zufall, sondern Symptom eines Systems, dass Besitz über Wohnen stellt und Profit über Würde. 

Ich frage mich, was das für die Zukunft unserer Städte bedeutet. Mittlerweile warnt das Ro-Alert-System nicht mehr vor Hitze, sondern vor extremen Regenfällen. Ich spaziere weiterhin täglich an meinen Lieblings-Ruinen vorbei und sehe, wie sich Wasser in den Zimmern sammelt. Es erschließt sich mir nicht, weshalb Menschen aus Häusern vertrieben werden, in denen das Dach fehlt. 

Ist das die Logik dahinter? Häuser dürfen verfallen, Menschen dürfen frieren – solange Eigentum gewahrt bleibt. In einer Welt, in der Raum mehr wert ist als das Leben darin, ist Leerstand kein Versäumnis. Er ist Strategie. Und Besetzungen sind vielleicht gerade da politisch, wo sie am wenigsten sichtbar sind.