Die ersten Sonnenstrahlen tauchen das Tal der Schnellen Kreisch/Crișul Repede in ein magisches Licht. Es ist Sommer, und obwohl es erst acht Uhr morgens ist, liegt bereits eine angenehme Wärme in der Luft. Wir brechen auf zu einem Ausflug, der längst überfällig ist: die Erkundung des Kreisch-Tals über die Felsformationen am rechten Ufer der Schnellen Kreisch. Unser Startpunkt ist Vadu Crișului, eine Gemeinde im Kreis Bihor – zu ihr gehört auch das Dorf Birtin, aus dem der rumänische Premierminister Ilie Bolojan stammt.
Die Gemeinde Vadu Crișului, gelegen im malerischen Tal der Schnellen Kreisch, zählt zu den faszinierendsten Reisezielen in Westrumänien. Mit einer Bevölkerung von rund 3700 Einwohnern ist sie zwar klein, doch in ihrer touristischen Bedeutung relativ groß. Die Gemeinde liegt etwa 50 Kilometer östlich von Großwardein/ Oradea, direkt an der europäischen Hauptverkehrsachse E60. Eine Zugverbindung gibt es im Moment nicht, zumal die gesamte Eisenbahnlinie zwischen Klausenburg/ Cluj-Napoca und Großwardein elektrifiziert und somit komplett erneuert wird.
Die Gemeinde besteht aus vier Dörfern: Vadu Crișului, Birtin, Topa de Criș und Tomnatic. Sie ist eingebettet in die beeindruckende Naturlandschaft der Pădurea-Craiului-Berge und des Plopiș-Hochplateaus. Als eindrucksvolle Kombination aus karstgeprägter Natur, geologischen Sonderformen, lebendiger Kultur und abwechslungsreichen Outdoor-Aktivitäten ist die Gemeinde besonders für Tagesausflüge und Entdecker attraktiv. Die Vielzahl an Sehenswürdigkeiten – Höhle, Wasserfall, beeindruckende Schlucht, lokale Traditionen – macht das Dorf zu einem anerkannten Ziel für Tourismus im Kreis Bihor. Vor allem am Wochenende, aber auch darüber hinaus, zieht es Touristen von überallher nach Vadu Crișului. Der Ort ist ideal zum Campen, doch in den letzten Jahren sind auch mehrere Pensionen oder zu touristischen Zwecken vermietete Privathäuser in der Gegend eröffnet worden.
Unser Treffpunkt ist der Sportsaal am Ende des Dorfes, unweit der Pension „Roua Munților“. Der Wanderweg führt am Hang empor, auf der rechten Seite der Kreisch, Richtung [uncuiu{. Unser Ziel ist, alle vier Felsen bis nach Țuncuiuș zu besteigen und atemberaubende Ausblicke zu genießen. Die Felsen, von den Einheimischen „stani“ genannt, sind eigentlich Aussichtspunkte. Die Wanderung entlang des rechten Kreisch-Ufers ist auch für unerfahrene Touristen zu empfehlen, jedoch sind Sportschuhe mit gutem Profil wichtig. Ein paar Trekking-Stöcke machen vor allem den Abstieg leichter. Unser Wanderweg wird manchmal auch als Trail-Running-Strecke genutzt.
Zwischen senkrechten Kalksteinwänden und dem glasklaren Wasser der Schnellen Kreisch eröffnet sich Wanderern ein besonderes Erlebnis. Der rechte Hang des Tals, das sich durch das Herz des Naturschutzgebiets „Pădurea Craiului“ schlängelt, bietet weit mehr als nur Naturidylle – er ist ein lebendiges Museum unter freiem Himmel. Wir folgen dem gelb markierten Pfad durch den Wald. Uralte Karstlandschaften und beeindruckende Aussichtspunkte kennzeichnen diese Route. Besonders reizvoll ist der Pfad entlang des rechten Hangs, der sich wie ein grünes Band an die steilen Felswände schmiegt und dabei immer wieder den Blick auf das darunterliegende Tal freigibt. Wir sehen ganz weit unten die Schnelle Kreisch, auf der mehrere Rafting-Boote dahingleiten. Die Kreisch ist schnell genug, um Bootsfahrern den ersehnten Adrenalin-Kick zu verleihen.
Der erste Aussichtspunkt ist schon nach wenigen Minuten erreicht. Die Einheimischen nennen ihn den „ersten Felsen“, „primul stan“, insgesamt vier sollen die Wanderer am heutigen Vormittag herausfordern. Der erste Teil der Strecke ist mit Blau markiert. Er führt über drei Felsen, der dritte von ihnen ist mit einem Kreuz versehen – ein 19-jähriger Mann ist dort 1985 verunglückt. Plakate weisen darauf hin, dass eine Annäherung an den Felsrand gefährlich sein kann. Der Blick von oben über die Schlucht der Schnellen Kreisch ist faszinierend.
Auf dem Weg zum dritten Felsen stoßen wir auf die Rote Höhle – genauer gesagt, ein kleines Höhlchen, das sich ideal für eine kurze Rast anbietet. Danach setzen wir unseren Weg fort, der uns weiter durch den Wald in Richtung des dritten Felsens führt. In diesem dichten Wald leben viele Wildtiere, doch während der touristischen Hochsaison im Sommer bekommt man sie nur selten zu Gesicht. Die Wege sind dann stark frequentiert und scheue Tiere wie Füchse, Wölfe oder Wildschweine meiden die Nähe zum Menschen. Dennoch entdecken wir auf dem weiteren Pfad erste Hinweise auf die Anwesenheit von Wildschweinen: An mehreren Stellen ist der Waldboden deutlich aufgewühlt.
Etwa beim dritten Felsen beginnt der gelb markierte Wanderweg. Dieser Abschnitt ist etwas anspruchsvoller – vielleicht auch deshalb, weil die Beine nach dem bisherigen Wegstück schon müde sind. Der Adrenalinkick, den die Natur einem beschert, sollte nicht unterschätzt werden. Schon bald erreichen wir die zweite Höhle der Route: die Fugarilor-Höhle, auch bekannt als Höhle der Flüchtlinge. Sie gleicht einem Tunnel mit zwei Ausgängen – ein perfekter Zufluchtsort bei plötzlichem Regenwetter.
Von dort führt der Weg weiter zum vierten Felsen, wo auch der Abstieg beginnt. Glücklicherweise sind nicht nur Bäume, sondern auch die Felsen selbst mit Markierungen versehen – ohne sie wäre der Pfad schwer zu erkennen. Der Hang ist stellenweise recht steil und der tonhaltige Boden macht das Gelände rutschig. Es ist also Vorsicht geboten, um nicht den Halt zu verlieren.
Unten angekommen, stoßen wir auf die ehemalige Trasse der Eisenbahnlinie und folgen ihr auf unserem Rückweg. Dieser Rückweg ist zwar deutlich kürzer und weniger spektakulär, hält jedoch noch zwei markante Natursehenswürdigkeiten bereit, die sich am rechten Ufer der Schnellen Kreisch befinden: den Wasserfall und die Höhle von Vadu Crișului.
Die Höhle von Vadu Crișului, eine Tropfsteinhöhle, gehört zu den bekanntesten in Rumänien. Mit ihrer reichen Tropfsteinformation, unterirdischen Galerien und einem kleinen See zieht sie Höhlenforscher und Touristen gleichermaßen an. Sie ist für Besucher zugänglich und beleuchtet. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie von Emil Racoviță erforscht. Um die Höhle am Wochenende zu besuchen, ist eine vorherige Anmeldung auf der Webseite des Museums des Kreischlandes, das sie verwaltet, erforderlich. Ein geführter Höhlenrundgang lohnt sich auf jeden Fall.
Unmittelbar vor dem Höhlenausgang stürzt ein beeindruckender neun Meter hoher Wasserfall in ein natürliches Becken – ein beliebtes Fotomotiv und idealer Rastplatz für Wanderer. Wir sehen den Wasserfall vom entgegengesetzten Kreisch-Ufer. Dort machen auch die Rafting-Boote halt, es werden Fotos geschossen, die Mutigsten unter den Bootsfahrern baden im eiskalten Wasser.
Nach dem zweiten Eisenbahntunnel öffnet sich rechterhand der Blick auf den sogenannten „See ohne Ende“, wie ihn die Einheimischen nennen. Um dieses geheimnisvolle Gewässer ranken sich düstere Erzählungen: Man sagt, wer hineinfällt, kommt nicht wieder heraus – entweder wegen Treibsand oder durch unerklärliche, vielleicht sogar paranormale Kräfte, die einen in die Tiefe ziehen. Ob an dieser Legende etwas Wahres dran ist, wollten wir lieber nicht selbst herausfinden.
Unweit davon befindet sich das „Haus des Drachen“, „casa zm²ului“. Dabei handelt es sich um einen mittelalterlichen Zollturm aus dem 13. Jahrhundert, der einst Teil der sogenannten „Salzstraße“ war. Wer möchte, der kann in den Turm steigen. Ganz in der Nähe sind beliebte Kletterwände – natürliche Felsen, die extra fürs Sportklettern eingerichtet wurden.
Unsere Reise endet dort, wo sie begonnen hat: am Sportplatz. Hinter uns liegen viereinhalb Stunden Wanderung, rund acht Kilometer Strecke und ein Höhenunterschied von insgesamt 562 Metern. Die Beine sind nun ein wenig müde und wackelig, doch die Seele fühlt sich leicht und erfüllt an.
Das Wandern durch die Wälder und über die Felsen ist nur eine der Aktivitäten, die die Gegend um Vadu Crișului so besonders macht. Hinzu kommen mehrere Dutzend Kletterrouten, Via-ferrata-Steige für Abenteuerlustige und beliebte Rafting-Strecken, auf denen sich die Schnelle Kreisch von ihrer etwas (doch nicht allzu) wilderen Seite zeigt. Egal ob Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter – das Tal der Schnellen Kreisch zieht zu jeder Jahreszeit Naturliebhaber an. Der rechte Hang mit seinen stillen Wegen und spektakulären Ausblicken ist ein Geheimtipp für alle, die Natur und Bewegung miteinander verbinden möchten.