Bukarest, Stadt der Superlative: Der Einladung zur Altarweihe der höchsten orthodoxen Kirche der Welt, der Nationalen Kathedrale, waren am 25. November 2018 über 30.000 Gläubige und hohe Vertreter befreundeter orthodoxer Kirchen gefolgt. Die Zeremonie zelebrierten der rumänische Patriarch Daniel, Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel und Chrysostomos, der griechische Erzbischof von Patras. Das 120 Meter hohe Gotteshaus sollte dem zweitgrößten zivilen Verwaltungsgebäude der Welt, dem bis heute von den Einheimischen eher ungeliebten „Haus des Volkes“ aus dem kommunistischen Ceaușescu-Regime, als neues Wahrzeichen den Rang ablaufen. Sind die Bukarester glücklich über den gigantomanischen Bau, der bereits 120 Millionen Euro verschlang? Die Meinungen sind geteilt. Richtig traurig aber waren die Kölner: Verweist doch die weltweit größte und schwerste freischwingende Glocke der Bukarester Kathedrale den „dicken Pitter“ im Kölner Dom nur noch auf den zweiten Platz.
Doch nicht immer geht es darum, wer „den Größten“ hat. Der wahre Charme der Hauptstadt verbirgt sich vielmehr in der Vielfalt ihrer Kirchen. Neben unzähligen rumänisch-orthodoxen – immerhin gehören 88 Prozent der Bürger des Landes dieser Konfession an – gibt es eine ganze Reihe ungewöhnlicher christlicher Gotteshäuser zu entdecken, gegründet von ausländischen Gesandten oder heimischen Minderheiten. Ein beachtliches Kulturerbe im Schatten der großen Kathedrale, das es verdient, auch einmal im Rampenlicht zu stehen.
Russische Zwiebeltürme am Uni-Platz
Der Zuckerbäckerstil der ehemaligen russischen Kirche in der Ion Ghica Straße 3, direkt gegenüber der Universität, springt ins Auge: zarte Pastellfarben, Gold, Zwiebeltürmchen - derzeit von einem Gerüst verunziert. Erbaut wurde sie 1905-1909 auf Initiative des russischen Botschafters zur Zeit von Zar Nikolaus II. und ist deshalb seinem Namensvetter, dem Heiligen Nikolaus, geweiht. Hier sollten die Angehörigen der russischen diplomatischen Vertretung beten. 1957 wurde das zum Patriarchat Moskau gehörige Gotteshaus der rumänischen orthodoxen Kirche (BOR) übereignet und dient seit 1992 dem Lehrstuhl für Theologie an der Bukarester Uni als Hauskapelle.
Die Fassade mit rosa Ziegeln und von Bögen überspannten Mosaiken ist vom russischen und georgischen Stil inspiriert. Die Türme, einst vergoldet, bedeckt heute goldgestrichenes Blech. Die Innenmalereien im alten byzantinischen Stil mit Szenen ähnlich denen der Klöster auf dem Berg Athos realisierte der russische Maler N. A. Vasiliev. Die geschnitzte, vergoldete und ebenfalls von diesem bemalte Ikonenwand stammt aus Moskau und wurde nach dem Vorbild in der Erzengel-Michael-Kathedrale im Kreml gestaltet.
Katholischer Gruß aus Mailand
Für die italienische katholische Kirche am Bv. Nicolae Balcescu 28 stand das Mailänder Gotteshaus Santa Maria delle Grazie Modell. Erbaut wurde sie von Mario Stoppa und Giuseppe Trabosch für die italienischen Einwanderer, die König Karl I. als Arbeitskräfte ins Land gerufen hatte. Zur Zeit des Kommunismus war sie meist geschlossen, nur wenige Male im Jahr konnten italienische Diplomaten dort Gottesdienste feiern. Seit 1989 für alle Besucher geöffnet, wird sie bis heute von der italienischen Minderheit genutzt. Auch kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte der Barock-, Renaissance- oder Kirchenmusik finden dort statt.
Glaubensstätten der Griechen
Die Kirche der Griechen in der Strada Pache Protopopescu kann von Nichtmitgliedern leider nur von außen betrachtet werden. 1901 wurde sie auf Veranlassung griechischer Diplomaten nach Plänen des deutschen Architekten A. Lardel erbaut. Die Fassade bestimmen ionische Säulen. Von den Erdbeben 1940 und 1977 schwer beschädigt und im Kommunismus vernachlässigt, wurde sie nach der Restaurierung 2002 neu eingeweiht. Doch die Bukarester Griechen, die nie ein eigenes Stadtviertel hatten, besuchen auch rumänische orthodoxe Kirchen.
Von Griechen gegründet wurde auch die Kirche des Klosters Stavropoleos in der gleichnamigen Straße des historischen Altstadtzentrums – eines der schönsten Gebäude der Hauptstadt im Brâncoveanu-Stil. 1720 gründete der Grieche Ioanichie Stratonikeas aus Epirus dort eine Karawanserei, aus deren Einnahmen er 1724 im Hof die Kirche und ein Kloster errichtete und finanzierte – durchaus üblich im damaligen Bukarest. 1726 wurde er während der Herrschaft des Fürsten Nicolae Mavrocordat (1719-1730), der die sogenannte Phanariotenzeit einleitete, zum Metropoliten von Stauropolis gewählt – daher der Name des heute rumänisch-orthodoxen Klosters.
Der armenische Kirchen- und Kulturkomplex
An der gewaltigen Kathedrale von Etschimiadsin – heute Wagharschapat – in Armenien inspirierte sich Dimitrie Maimarola, als er die Pläne für die Bukarester armenische Kathedrale am Bv. Carol I. entwarf. 1911 bis 1915 erbaut und den Heiligen Erzengeln Michael und Gabriel geweiht, besteht sie aus einer dreischiffigen Basilika, einem 12-seitigen Turm über dem Naos und einem quadratischen Glockenturm über dem Eingangsbereich. Sie wird von der armenischen Minderheit genutzt, die seit fast 1000 Jahren auf dem heutigen Gebiet Rumäniens existiert. Immerhin rühmen sich die Armenier mit dem ersten christlichen Staat der Welt. Der Heilige Gregor, der 301 König Tiridat bekehrte, gilt als Begründer der Armenisch Apostolischen Kirche, die auch in Rumänien mehrere Klöster und Gotteshäuser unterhält. Der armenische Baustil zeichnet sich durch reichhaltiges Dekor aus. Die Fassadenornamente sind den Motiven der im 10. Jahrhundert zerstörten Gregor-Kathedrale in Zvartnoz in der zentralarmenischen Provinz Armawir nachempfunden, die mehrere Male nachgeahmt wurde.
Zum armenischen Komplex in Bukarest gehören ferner: die 1927 von Hagop Siruni gegründete armenische Zentralbibliothek mit über 1100 alten Büchern, ein Pfarrmuseum mit Gegenständen aus armenischen Kirchen in Muntenien und der Moldau, das Gebäude der ehemaligen armenischen Schule, heute Sitz der Vertretung dieser Minderheit in Rumänien, sowie das Kulturhaus, benannt nach dessen Stiftern Hovsep und Victoria Dudian. Die Armenier in Bukarest waren meist Händler, die schnell zu Wohlstand kamen. Sie brachten Textilien und Teppiche aus dem Orient an die Fürstenhäuser der Walachei. Bekannt sind die armenischen „Paradiesfarben“, typisch ein violettes Rot, das aus Insekten, die auf einer armenischen Eichenart leben, gewonnen wurde. Viel gäbe es noch über das „armenische Bukarest“ zu erzählen – aber halt, das ist Stoff für eine weitere Folge dieser Miniserie.
Den Bulgaren und Albanern übergeben
Das heute als bulgarische Kirche bekannte Gotteshaus liegt auf dem Gelände des ehemaligen Klosters Col]ea in der Strada Doamnei. 1725 erbaut, wurde sie dem Seher und Heiligen Ilie Tesviteanul geweiht, benannt nach der Burg Tesvi in seiner Heimat Gilead am Jordan. 1954 der bulgarischen Gemeinschaft übergeben, die am Rande Bukarests lebte, wurde sie von den Patriarchen Rumäniens und Bulgariens hierfür extra neu geweiht. Weil die Nikolaus-Kirche an der Kreuzung der Straßen Academiei und Biserica Enei zwischen 1911 und 1947 von orthodoxen Albanern frequentiert wurde, ist sie auch als „albanische Kirche“ bekannt. Tatsächlich wurde sie jedoch 1702 von Fürstin Marica gestiftet, der Ehefrau Constantin Brâncoveanus, und spiegelt den typischen Baustil aus der Zeit des walachischen Herrschers wider. Hier wirkte für kurze Zeit der berühmte Albaner Theofan Stylian „Fan“ Noli (1882-1965) als Pfarrer, der 1908 als erster Priester eine Messe in albanischer Sprache hielt und später orthodoxer Bischof wurde. Außerdem war Noli Schriftsteller, Historiker und Politiker, 1924 bekleidete er kurz das Amt des albanischen Ministerpräsidenten.
Schlichte reformierte Kirchen
Schlichtheit zeichnet die reformierten Kirchen, beide in der Strada Luterana, aus. Nur der Vollständigkeit halber wird die 1972 erbaute ungarische Calvinistenkirche erwähnt, für den Touristen wenig spektakulär und außerdem fast immer geschlossen.
Die evangelische Stadtpfarrkirche hingegen, Kultort vor allem der evangelischen deutschen Minderheit, besticht mit bunten Glasfenstern, zwei alten Orgeln (siehe Miniserie Bukarest - Teil 2) und einem schönen Altar. Architektonisch verbindet das von A. Mohnbach konzipierte Gebäude auf einzigartige Weise Elemente mehrerer Stilrichtungen: neugotisch, romanisch, Neorenaissance und byzantinisch.
Bukarest ist eine Stadt, die das Streben nach „dem Größten“ gar nicht nötig hat. Statt dessen könnte man sich mehr mit seiner einzigartigen Vielfalt rühmen - zum Beispiel auch als „heimliche Hauptstadt der Kirchen“.