Ausgerechnet die seit Jahrhunderten demokratische Schweiz kam durch den österreichischen Kaiser Joseph II. in den Besitz einer Rarität unter den Bestattungsutensilien. Das kam so: Kaiser Joseph II. (1741–1790), Sohn Kaiserin Maria Theresias, ist mit seinen aufgeklärten, oft merkwürdig pietätlosen Ideen in die Geschichte eingegangen. Er hob Kirchen und Klöster auf, die ihm entbehrlich erschienen, beschnitt die Wallfahrt, verbot die Weihnachtskrippen in den Kirchen, und die Liturgie des Gottesdienstes erregte seine Missbilligung ebenso wie altüberlieferte Bestattungszeremonien.
Mit besonders viel Fingerspitzengefühl dürfte er seine spartanischen Neuerungen nicht verordnet haben, wie der jedes Mal prompt einsetzende Widerstand in der Bevölkerung zeigte, sodass er seine Reformen oftmals wieder zurücknehmen musste.
Eine davon war die Erneuerung der Bestattungszeremonien.
Was noch in der Pestzeit traurige Notwendigkeit war – nämlich die möglichst rasche Bestattung der Verstorbenen, um weitere Ansteckung zu vermeiden, oder aus Zeitmangel, weil man mit normalen Beerdigungen nicht nachkam –, schien dem Kaiser gerade recht, um unnötigen Luxus zu vermeiden: Er verordnete 1784 per Dekret die Einführung des mehrfach verwendbaren Sparsarges. Die Bauart dieses auch Retoursarg, Klappsarg, Einheitssarg oder Totentruhe genannten Sarges war die gleiche wie beim vordem verwendeten Pestsarg: Der Boden ließ sich nach unten aufklappen und die darin befindliche Leiche plumpste in die Grube; der Sarg war wieder frei für den nächsten Verstorbenen.
Kaiser Josephs Vorstellung einer würdigen Beerdigung
Die im Spätsommer 1784 ergangene neue Vorschrift zur Leichenbestattung hatte folgenden Wortlaut: „Da bei der Begrabung kein anderes Absehen sein kann, als die Verwesung so bald als möglich zu befördern, und solches nichts hinderlicher ist als die Eingrabung der Leichen in Todtentruhen, so wird für gegenwärtig geboten, dass alle Leichen in einen leinenen Sack ganz blos ohne Kleidungsstücke eingenäht, sodann in die Todtentruhe gelegt, und in solcher auf den Gottesacker gebracht werden sollen … Soll bei den Kirchhöfen jederzeit ein Graben von 6 Schuh tief und 4 Schuh breit gemacht, die dahin gebrachte Leiche aus der Truhe allemal herausgenommen, und wie sie in den leinen Sack eingenäht ist, in diese Grube geleget, mit ungelöschtem Kalk überworfen, und gleich mit Erde zugedeckt werden … Zur Ersparung der Kösten ist die Veranlassung zu treffen, dass jede Pfarre eine ihrer Volksmenge angemessene Anzahl gutgemachter Todtentruhen von verschiedener Größe sich beischaffe, welche unentgeltlich jedem darzugeben sind; sollte aber dennoch jemand eigene Todtentruhen für seine verstorbenen Verwandten beischaffen, so ist es ihm unbenommen; jedoch können die Leichen nie mit den Truhen unter die Erde gebracht werden, sondern müssen aus solchen wieder herausgenommen, und diese zu anderen Leichen gebraucht werden.“
Im Klartext hieß das: Wie auch immer ein Verstorbener zum Grab transportiert wurde, er durfte nur nackt in Leinen eingenäht in die Grube kommen.
Die drei Argumente des sparsamen, rational denkenden Kaisers waren wohl, einerseits aus hygienischen Gründen die Verwesung der Leiche zu beschleunigen, andrerseits die Begräbniskosten und den Holzverbrauch zu sparen.
Die Verärgerung in der Bevölkerung war jedenfalls so groß, dass die Verordnung über den Sparsarg bereits im Januar 1785 vom Kaiser wieder zurückgenommen werden musste.
Man darf annehmen, dass der Unmut über diese ungeliebten Beerdigungsmöbel in der Bevölkerung groß genug war, dass man sie vielleicht recht schleppend produzierte oder einfach bald verholzte, während von den viel älteren Pestsärgen aus dem 17. Jahrhundert in der Schweiz noch einige vorhanden sind.
Eine Rarität im aargauischen Herznach
Das Fricktal, im Nordwesten der Schweiz gelegen, gehörte bis 1803 zum habsburgischen Vorderösterreich und kam demnach ebenfalls in den Genuss der josephinischen Beerdigungsverordnung. Der im Dorf Herznach zuständige Schreiner gab sich jedenfalls alle Mühe, das unwürdige Möbel wenigstens würdig zu gestalten, und fertigte einen sauber ausgearbeiteten Klappsarg an, der – im Vergleich zu den aus notwendiger Eile nur mit groben Brettern zusammengefügten Pestsärgen – auch noch schwarz bemalt und mit silberfarbenen Verzierungen in Form von gekreuzten Gebeinen und einem Kreuz auf der ganzen Länge des Sargdeckels versehen wurde.
Die aufgewendete größere Sorgfalt und das rasche Widerrufen der Verordnung waren jedenfalls der Grund, dass die Verzierung des Sarges nicht mehr ganz fertig wurde. Es scheint, dass dieser Klappsarg nie zur Verwendung kam, sich vielleicht deshalb nicht den ungebremsten Hass der Bevölkerung zuzog und somit in der Schweiz als einziger dieser Art erhalten geblieben ist. Er wurde im Beinhaus neben der Herznacher Pfarrkirche aufbewahrt. Das Wissen um seine ursprüngliche Bestimmung geriet in Vergessenheit, und so wurde der Sparsarg aufgrund der gegebenen Ähnlichkeit als Pestsarg angesehen. Erst in jüngster Zeit erkannten Forscher ihn als josephinischen Sparsarg. Die Herznacher waren zunächst gar nicht sehr erfreut darüber, statt eines Pestsarges einen Sparsarg zu haben, nicht ahnend, dass sie eine viel größere, einmalige Rarität in ihrem Beinhaus hüteten.
Diese Sargtype wird nach ihrem „Erfinder“ auch Jo-sephssarg genannt. Einen weiteren davon gibt es im Wiener Bestattungsmuseum und noch einen im Museum für Sepulkralkultur in Kassel.