Es gibt sie seit 32 Jahren, sie haben tausende Konzerte bestritten und acht Musikalben herausgebracht. Kurz nach dem Kommunismus gegründet, haben sie sich vorgenommen, dem damals fast ausschließlich westorientierten Musiktrend etwas Eigenes entgegenzusetzen: Mit Texten in rumänischer Sprache, und über Dinge, die die Menschen hierzulande bewegen. Mit emblematischen Messages, mal politisch, mal gesellschaftskritisch, mal als Persiflage. Schon ihr Name ist Provokation: Sarmalele Reci, die kalten Krautwickel, ein beliebtes rumänisches Nationalgericht, aber kalt - igitt! - müssen die nicht heiß sein? ADZ-Chefredakteurin Nina May hat den Sänger und Mitbegründer der Gruppe, Zoltán András, kurz vor dem Auftritt der Rockgruppe in der Schäßburger Festung bei ProEtnica interviewt - Überraschung: auf deutsch!
Die erste Frage, die sich aufdrängt: Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt?
Mit 17 habe ich an der Schwarzmeerküste eine Gruppe deutscher Schüler aus Niedersachsen kennengelernt. Damals konnte ich noch kein Deutsch, hatte auch nie vorgehabt, es zu lernen, aber als ich die Jungs im Hotel reden hörte, gefiel mir diese Sprache auf Anhieb. Wie es bei Jugendlichen geschieht, haben wir uns schnell angefreundet. Wir hatten uns viel zu erzählen: über Musik, Literatur, Reisen, es wurde eine dauerhafte Freundschaft daraus. Wir haben uns Briefe geschrieben – auf Papier, heute kaum noch vorstellbar (lacht)! Sie sind auch mehrmals nach Rumänien gekommen, sie lieben Rumänien.
Nach dieser Begegnung ist einige Zeit vergangen. Nach der Wende habe ich dann während meines Studiums vom DAAD gehört. Ich habe damals an der Bukarester Uni Englisch und Französisch studiert. Dann habe ich beim DAAD ein Stipendium für einen Sommerkurs in Osnabrück gewonnen, bei dieser Gelegenheit bin ich auch in ganz Deutschland herumgereist – und so ging das irgendwie weiter. Ich lese auch gern auf deutsch.
Später habe ich mehrere Monate bei Freunden in Hannover verbracht und in einer Piano Bar gejobbt. Wenn man jung ist, ist man offen, das war eine gute Gelegenheit, mit Freunden zusammen zu sein und ein bisschen Geld zu verdienen. Dort habe ich am Klavier Jazz gespielt, hatte auch schon erste Fans, aber als es gerade interessant wurde, musste ich leider wieder nach Hause.
Ich bin später immer wieder auch mit meiner Familie nach Deutschland gereist. Wir sind alle große Deutschlandfans.
Nun zum eigentlichen Thema: Was bewegt einen kurz nach der Wende dazu, eine Rockgruppe zu gründen – hatte sich da im Kommunismus etwas angestaut?
Wenn man jung war und davon träumte, Musik zu schreiben, hatte man einen guten Impuls, als die Wende kam: Die Menschen waren voller Hoffnung, dass der Kommunismus endgültig vorbei ist, dass alles besser wird, dass man bald so leben kann wie im Westen. Das wollten alle! Die rumänische „Intelligentsia“ war total auf die westliche Kultur fixiert, die Vorbilder waren Frankreich, USA, England, und der Trend war, dass man auf Englisch singt. Wir aber wollten einen Gegenpol zu diesem Trend setzen und etwas vom Wert her Ähnliches in Rumänien schaffen. Da steckte auch ein wenig Patriotismus dahinter. Wir sagten uns, eine Gruppe, die in Rumänien lebt und auftritt, soll auch über Dinge singen, die die Leute hier bewegen.
Inspiriert hat uns der Widerstand gegen den Neokommunismus und Iliescu, der eigentlich total unpopulär war, obwohl er zweimal die Wahlen gewonnen hat... und als dann die Bergarbeiter nach Bukarest kamen, das war ein Skandal, es gab viele Zerstörungen. Gegen all dies haben wir rebelliert.
Hat Sie damals eine Gruppe besonders inspiriert?
Wir hatten verschiedene Vorbilder, die Hälfte unserer Gruppe hatte sich ursprünglich mit Jazz befasst, aber den haben wir dann beiseite gelassen, weil Rock ernsthafter ist. Jazz ist irgendwie Flower Power geblieben. Vorbilder hatten wir von überall, vor allem britische Bands und alles was Pop Rock und Hard Rock war und heute immer noch gute Musik ist, aber in Rumänien hat uns die Gruppe „Timpuri Noi“ inspiriert. Die sind etwas älter als wir, also irgendwie Vorläufer von uns. Wir waren auch befreundet. Sie sind ein bisschen neidisch geworden, als wir ihnen später die Show gestohlen haben, aber wir sind Freunde geblieben und treten auch heute oft noch zusammen auf.
Wer schreibt eure Texte und wie kam es zu dem Namen eurer Band?
Die Texte schreibt der Hauptbegründer der Gruppe, Florin Dumitrescu. Er war es auch, der darauf bestanden hat, dass es eine rumänische Gruppe wird. Und er hat den Namen vorgeschlagen: Sarmale, weil doch jeder Sarmale mag... Nun ja, aber eben Sarmalele reci.
Aber die schmecken doch gar nicht kalt!
Eben – dieser Widerspruch war der Erfolg dieses Namens! Denn im Kommunismus musste man brav sein, da gab es nur langweilige Namen, die etwas Konkretes bedeuten. Das wollte dann niemand mehr! Insofern waren wir auch ein bisschen Trendsetter.
Brav sein– und doof: Da kommt mir euer Lied „}ara te vrea prost“ (Das Land will dich dumm) in den Sinn. Ist das gerade wieder besonders aktuell? War es jemals nicht aktuell?
Ja, das war die Stimmung damals, überall im Ostblock. Aber mittlerweile hat man festgestellt, dass das auf der ganzen Welt gilt. Ich erinnere mich an eine Journalistin aus Lausanne, die brachte ein Interview mit uns aus Bukarest nach Hause, und als sie den Titel des Liedes übersetzte, rief ihr Chef spontan aus: Ach, das ist ja genau wie bei uns! Diesen Bewusstwerdungsprozess gibt es überall auf der Welt und er ist wichtig. Irgendwann erkennt jeder Mensch für sich, dass man sich nicht nur von den Politikern und den Medien verdummen lassen darf.
Haben sich Ihre Songthemen seit dem Kommunismus verändert, den Zeiten angepasst?
Ja, wir haben zum Beispiel ein Stück über das TV, also dass man vor dem Fernseher eingeschläfert wird, schön träumt und abgelenkt wird von diesem eben genannten Bewusstwerdungsprozess. Zuviel Technik, aber auch Kapitalismus und Wohlstand können verdummen! Aber wir singen auch über Alltagsszenen: In „Violeta“ geht es um ein Mädchen, das den Müll rausbringt und alle Jungs in den umliegenden Wohnblocks beobachten sie, weil sie so sexy ist. Das ist eine Persiflage des berühmten Bossanova-Songs „The Girl from Ipanema“ von Antonio Carlos Jobim, den wir auf rumänische Umstände umgemünzt haben. Eine Anspielung auf die Zeit im Kommunismus, wo man das Gefühl hatte, im Ghetto zu leben, und das Mädchen war das Fenster zu einer Schönheit, die einen die Misere ringsum vergessen ließ.
Sie treten heute Abend bei ProEtnica auf, ein Festival für die Völkerverständigung, für Vielfalt und ein friedliches Zusammenleben. Was bedeutet Ihnen das?
Wir stehen sehr positiv dazu! Die Menschen sind durch die Reisefreiheit offen für andere Kulturen geworden, sie haben gesehen, wie man in Griechenland, in der Türkei, in Österreich oder Italien lebt und dass das auch schön ist. Viele Rumänen arbeiten im Ausland und mussten sich anpassen. Man versteht einander besser als früher. Wir freuen uns also sehr, dass wir bei ProEtnica dabei sind - und außerdem ist es das erste Mal, dass wir in der Festung von Schäßburg auftreten.
Haben Sie für ProEtnica etwas Spezielles vorbereitet?
Ja, wir werden ausnahmsweise auch zwei Songs auf Ungarisch bringen, nur für heute. Das eine ist das zuvor genannte Stück über den Fernseher, das andere eine Ballade, „Daca n-ai fi tu“, das waren die beiden Stücke, die wir für geeignet hielten.
Warum nicht auch auf Deutsch?
Das haben wir in Wuppertal gemacht, dort habe ich einen Refrain oder eine Strophe auf Deutsch gesungen, aber es ist schwer, unsere Texte zu übersetzen, deswegen machen wir das nicht gerne. „Traduttore“ ist „tradittore“ - der Übersetzer ist Verräter (lacht). Und wir wollen uns nicht unbedingt sympathisch machen. Wir wollen durch unsere Musik wirken.
Wer sind Ihre Fans und wie hat sich die Fangemeinde im Laufe der Zeit entwickelt?
Anfangs gab es eine feste Fangemeinde, die uns entdeckt und unterstützt hat, Studenten, die gebildetere Schicht. Dann blieben die weg und es kamen auf einmal ganz neue Fans. Und jetzt stellen wir fest, dass viele aus der ersten Fanwelle Eltern geworden sind und ihre Kinder kommen zu unseren Konzerten und geben sozusagen die Staffette weiter. Das Durchschnittsalter bei unseren Konzerten bleibt aber ungefähr gleich, so zwischen 20 und 30 Jahren. Einige alte Fans kommen auch mit ihren Kindern, so zwischen 8 oder 11, sie singen mit und sagen ihren Kindern, das ist gute Musik, die wir lieben. Im Kommerz dominiert heutzutage leider schlechte Musik...
Was halten Sie von öffentlich finanzierten Gratis-Konzerten, schaden sie der Musikbranche?
Es gab um 2000 herum eine Tendenz, dass lokale Veranstalter, Bürgermeister usw., solche Gratis-Konzerte finanziert haben, um sich Sympathien zu sichern. Das war eine Zeit lang tatsächlich schädlich, weil die Menschen keine Ahnung hatten, wer auftritt, sie haben die Musik nicht geschätzt, sondern einfach nur konsumiert. Einmal wurden wir nach einer solchen Veranstaltung in eine Bar hineingerufen, um Autogramme zu geben. Und als wir fragten, wisst ihr eigentlich, wer wir sind, haben sie gesagt: „Direcția 5“. Da sind wir dann einfach wieder gegangen...
Treten Sie auch im Ausland auf?
Selten, aber es gab ein paar Gelegenheiten. Es waren immer kulturelle Festivals, die uns eingeladen haben. Zum ersten Mal waren wir in Wuppertal zu den rumänischen Kulturtagen, das war neun Monate nachdem wir unseren ersten Auftritt hatten. Wir waren dort mit Maia Morgenstern, Dan Perjovschi, Mircea Dinescu usw. Wir waren die jüngsten und so eine Art Maskottchen, die „niedlichen Jungs“.
Später kamen andere Einladungen, etwa nach London zu einem Studentenfestival, dort wollte man die rumänische Kultur vorstellen. Oder zu den Tagen der rumänischen Minderheit in Saragossa, Spanien. Da kamen 10.000 Menschen an einem Tag, es gab drei bis vier Tage Kulturprogramm und Musik, und als wir die Veranstalter fragten, wie sie denn ausgerechnet auf uns gekommen seien, haben sie gesagt, sie haben einfach auf YouTube geguckt und genommen, wer ihnen gefallen hat. Wir sind niemals Protegés von jemandem gewesen.
Wo treten Sie üblicherweise auf und wann ist Ihr nächster Auftritt?
In Clubs, aber wir sind auch Stammkunden in bestimmten Lokalen, und auf Festivals. Als nächstes spielen wir in Bukarest am 13. September bei „Terasa Florilor“.
Leben alle Bandmitglieder tatsächlich von der Musik?
Ja, wir leben alle davon. Das ist eher selten... Aber das ist für uns alle eine große Freude und eine stille Bestätigung, dass wir gut gewählt haben. Dass wir keine Kompromisse eingegangen sind in all den Jahren.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Haben Sie ein Lebensmotto?
Ja, aber das ist eher mit einer geistigen Schulung verknüpft als mit Musik. Das genauer auszuführen würde den Rahmen dieses Interviews sprengen, aber die Idee in einem Satz: Wir sind mehr als wir scheinen und sollten danach streben, dies zu entdecken –, dass wir Menschen Geistwesen sind und der Geist alles veredelt und die Evolution vorantreibt. Dieses Motto lebe ich, aber sehr diskret, denn man hat heutzutage Zugang zu allerlei New Age Praktiken, die Vielfalt ist für manche verwirrend, und die Gefahr besteht darin, dass man sie aus Neugierde oberflächlich ausprobiert. Man muss für sich selbst ernsthaft entdecken, was dahintersteckt. Nur das zählt.