Ion Chiricuţă, der 1918 in Bârlad geboren wurde und 1988 in Klausenburg/Cluj starb, war seiner Profession nach Arzt, onkologischer Spezialist und langjähriger Direktor des Klausenburger Instituts für Onkologie, das heute auch seinen Namen trägt. Er war Schüler von Iacob Iacobovici, der zu den Mitbegründern der Klausenburger Medizinfakultät zählte, und errang durch seine wissenschaftliche Tätigkeit und sein chirurgisches Können internationalen Ruhm und weltweite Anerkennung.
Seine Liebe galt, neben der Wissenschaft der Medizin und dem ärztlichen Beruf, der rumänischen wie der europäischen Kunst, insbesondere der Malerei. Im Laufe seines Lebens sammelte er zahlreiche Kunstgegenstände, die er dem Museum „Vasile Pârvan“ seiner Geburtsstadt im Rahmen einer Schenkung hinterließ. Die Sonderausstellung im Bukarester Museum der Kunstsammlungen (Muzeul Colecţiilor de Artă) in der Calea Victoriei 111, die noch bis zum 9. September dieses Jahres täglich (außer donnerstags und freitags) von 11 bis 19 Uhr besucht werden kann, resultiert aus der Kooperation der genannten Museen in Bârlad und Bukarest und geht auf eine Initiative des Sohnes des Sammlers, Ion-Christian Chiricuţă, in Verbindung mit der Firma Argo Art Consulting, speziell mit dem Kunsthistoriker Adrian Buga, zurück, die auch beide gemeinsam den umfassenden Ausstellungskatalog und Sammlungsdokumentationsband verfasst haben (Argo Art Publishing 2014).
Die Bukarester Ausstellung, die in drei Räumen im Erdgeschoss des rechten Flügels des Museums der Kunstsammlungen zu sehen ist, umfasst 65 Kunstgegenstände: Gemälde, Skulpturen, Möbelstücke, kunsthandwerkliche Objekte und Teppiche. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Kunst des 20. Jahrhunderts, die Werke der europäischen Kunst, die vor allem im dritten und kleinsten Raum ausgestellt sind, reichen dagegen teilweise bis ins 17. Jahrhundert zurück.
Der erste und größte Ausstellungsraum ist hauptsächlich der rumänischen Malerei der klassischen Moderne gewidmet. Die Hängung der Gemälde wurde nicht nach Motiven, Stilen oder Kunstrichtungen, sondern nach deren Schöpferpersönlichkeiten vorgenommen. Auf ein Einzelwerk des rumänischen Malers und Designers Francisc [irato (1877-1953) mit einer Landschaft aus Baltschik folgen drei Gemälde von Nicolae Tonitza (1886-1940), alle mit Porträtcharakter, unter denen das Porträt von Steluţa Trembinski aus dem Jahre 1933 besonders hervorsticht: Das Gesicht der blonden botticellihaften Schönheit ist umgeben von frei im Raum schwebenden Ornamenten, die vielleicht einer Tapete zuzuordnen sind, vielleicht aber im Stile von Henri Matisse sich bereits von ihrem gegenständlichen Rahmen emanzipiert haben und abstrahierend eigene Formen entfalten.
Auf zwei Bilder von Ştefan Dumitrescu (1886-1933) mit authentischen Interieurs aus typischen rumänischen Bauernhäusern folgen mehrere Gemälde von Theodor Pallady (1871-1956): vier Stillleben, das Porträt einer Frau in Rot sowie eine Ansicht von Paris mit einem Lastkahn auf der Seine und grauen Häusern. Insbesondere die vier Blumenstillleben evozieren eine stark sinnbildliche Dimension. Die diversen Blumenvasen sind umgeben von Federn, Büchern, Fächern, Dolchen, Brillen und anderen symbolträchtigen Gegenständen. Das Stillleben „Das schwarze Kästchen“ besticht durch den Kontrast des schwarzen Holzes mit den gelben Zitronen und dem daneben liegenden weißen Handschuh sowie durch das Spiegelbild des gesamten Ambientes im oberen Bildhintergrund.
Es folgen fünf Gemälde von Gheorghe Petraşcu (1872-1949): ein Interieur mit Hund, zwei Stillleben mit Büchern, eine Strandlandschaft und eine Ansicht der venetischen Stadt Chioggia. Weitere Stillleben, Landschaftsbilder und Seestücke stammen von den Malern Marius Bunescu (1881-1971) und Dumitru Ghiaţă (1888-1972). Eine venezianische Stadtlandschaft mit Häusern, Gondel, Kanal und einer für die Lagunenstadt typischen Brücke von Rudolf Schweitzer-Cumpăna (1886-1975) sowie zwei Landschaften von Ştefan Luchian (1868-1917) setzen den Reigen der Gemälde fort, der durch sieben Werke von Alexandru Ciucurencu (1903-1977) weitergeführt wird.
Gemälde von Iosif Iser (1881-1958) und Corneliu Baba (1906-1997) beschließen die Bildervielfalt des ersten Ausstellungssaales, die durch zwei wunderschöne Wandteppiche, darunter ein Kelim aus Oltenien, eine Mitgifttruhe mit folkloristischer Bemalung und eine Porträtbüste George Enescus von Ion Irimescu (1903-2005) bereichert wird.
Ion Chiricuţăs Vorliebe für Stillleben manifestiert sich auch im zweiten Saal der Bukarester Sonderausstellung. Man erblickt dort zwei Stillleben von Constantin Piliuţă (1929-2003): das eine mit zwei Blumenvasen, einer Birne und der Scheibe einer Wassermelone, das andere mit einem Glas und einer blauen Siphonflasche. Ein sehenswertes Gemälde von Iosif Rosenblut (1894-1975) aus dem Jahre 1958 zeigt eine Bukarester Straßenszene: ein Pferdefuhrwerk, niedrige Häuser und eine dahinter übermächtig aufragende orthodoxe Kirche.
Des Weiteren finden sich in diesem Ausstellungssaal das Porträt eines alten Mannes von Octav Băncilă (1872-1944), drei Stillleben von Vasile Grigore (1935-2012), ein Stillleben und ein Frauenporträt von Gheorghe Vân²toru (1908-1983) sowie zwei Bilder von Ion Ţuculescu (1910-1962): die Komposition „Kinder im Garten“ und das rätselhafte Bild „Melancholie“, das einzige abstrakte Gemälde der Sammlung. Ein Kelim aus der Moldau, ein kunstvoll besticktes Tuch zur Bedeckung liturgischer Kultgeräte (rum. pocrovăţ) sowie weitere Mitgifttruhen runden die Präsentation der Sammlung von Ion Chiricuţă ab, die im dritten Ausstellungsraum noch durch einen mit Cordoba-Leder beschlagenen Sessel aus geschnitztem Holz, zwei französische Gobelins, eine imposante Tischuhr in Boulle-Technik, diverse Truhen und durch zwei anonyme Kopien berühmter Werke der europäischen Kunstgeschichte ergänzt wird.
Wer wissen möchte, wie der Sammler als Person ausgesehen hat, kann dies entweder aus zwei in der Ausstellung gezeigten Porträts Ion Chiricuţăs von Corneliu Baba ersehen, die den Arzt und Kunstliebhaber im fortgeschrittenen Alter zeigen, oder einem Foto im Ausstellungskatalog entnehmen, auf dem der Sammler als attraktiver junger Mann von knapp dreißig Jahren abgebildet ist. Im Ausstellungskatalog, der leider unerschwinglich ist (man kann ihn für einen vierstelligen Betrag bei der Firma Argo Art Publishing erstehen), finden sich nähere Angaben zur Biografie Ion Chiricuţăs, sein sammlerisches Credo, ein Essay über den Kunstliebhaber, ein weiterer Essay mit dem emblematischen Titel „Potius mori quam foedari“, Aufsätze über rumänische Malerei und europäische Kunst, ein Gesamtinventar der Sammlung von Ion Chiricuţă sowie eine umfangreiche Bibliografie.
Man kann sich durch den Besuch der Chiricuţă-Ausstellung außerdem dazu inspirieren lassen, anschließend durch weitere Räume des Bukarester Museums der Kunstsammlungen zu flanieren, etwa durch die Sammlung „Corneliu Baba“, um die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der dort gezeigten Objekte sowie den besonderen und je spezifischen Geschmack der diversen Kunstsammler zu genießen, nicht zuletzt im Bewusstsein dessen, dass andere europäische Großstädte froh wären, ein solches Museum zu ihren Attraktionen zählen zu dürfen.