Es muss keine Terrororganisation wüten und kein Krieg ausbrechen.Es braucht nicht Syrien und auch nicht der Irak zu sein. Manchmal verschwindet Kulturerbe auch heimlich, still und leise. Und es ist schwer, mit dem Finger auf einen bestimmten Schuldigen zu zeigen. Dass genau dies gerade in Rumänien geschieht, versuchten Tudor Sălăgean (Projektmanager) und Dragoş Neamu (Kurator) mit der Ausstellung „Verlorene Museen“, organisiert vom Nationalen Netzwerk der Museen in Rumänien, im Bukarester Bauernmuseum aufzuzeigen. Was man dabei verliert, ist nicht zu vermitteln – höchstens als Gefühl: Unmutig starrt man im Dunkeln auf eine mehrfach durchlöcherte Kiste, aus der ein schwacher Lichtschein dringt. Ihren Inhalt kann man nur erahnen. Mit Mühe lassen sich durch die winzigen Öffnungen Blicke auf Details von verschiedenen Exponaten erhaschen. Das soll eine Ausstellung sein? Die Frustration ist beabsichtigt, betont Museumsdirektor Virgil Niţulescu.
Kostbare Obdachlose
„Ich bin eine Bibel, gedruckt in Bukarest 1688, die erste Übersetzung in rumänischer Sprache“, liest man mit zusammengekniffenen Augen, die Nase unbequem an die Holzwand gepresst. „Das Museum, in dem ich wohnte, wurde uns genommen“, fährt der Text fort. „Aber vielleicht ist das ja nur eine Probe, auf die Gott uns stellen will.“ Durch das Loch irrt der Blick in der erleuchteten Kiste herum. Irgendwo muss sie doch zu sehen sein, die Bibel! Daneben grüßt eine leichter auszumachende Gestalt in Öl auf Leinwand: „Meine Lieben! Ich bin Dr. Adolf Grünau, gemalt von meinem Großvater Constantin David Rosenthal in Paris.“ Auch er bekennt sich als obdachlos. Der Grund: Über 110 Museen im ganzen Land sind von der Rückerstattung ihrer Gebäude oder Kollektionen betroffen. Museen, buchstäblich auf die Straße geworfen. Ihr kostbarer Inhalt wird in Kisten verstaut und in irgendeinem dunklen Keller begraben. Begleitet vielleicht vom Requiem sonorer Tropfen eines darüberliegenden Rohrbruchs, dem Rascheln der durch Packpapier huschenden Nagetiere, dem Flüstern verschlagener Gestalten auf der Suche nach dem, was andere offensichtlich nicht mehr brauchen...
„Der Museumsdirektor ist verantwortlich für seine Exponate – aber es gibt kein Geld“, klagt Niţulescu und verweist auf die paradoxe Rechtslage, die vorschreibt, wie Kulturerbe zu lagern und zu sichern ist. „Die Stücke, die heute stellvertretend für Tausende andere Exponate mit ähnlichem Schicksal in der Kiste sind, sehen Sie zum letzten Mal“, fügt er an. Von Politikern kämen Lippenbekenntnisse, wie bedeutend Kulturerbe sei, sonst nichts. Es mangelt an politischem Willen zu einer Lösung, die sowohl für die Alteigentümer wie auch für die Kulturinstitutionen annehmbar wäre. „Es ist eine Tour de Adio“, bekräftigt auch Constantin Goagea, der Architekt, der die unspektakuläre Ausstellung zusammen mit Anastasia David umgesetzt hat. Das Gefühl des Unmuts, das sie auslöst, ist gewollt.
Drohende Evakuierung
Ein Beispiel, stellvertretend für das Schicksal vieler Kollektionen, das darüber hinaus die Komplexität so mancher Fälle verdeutlicht, ist die Lage der Sammlung für Apothekergeschichte des Nationalen Museums der Geschichte Siebenbürgens (MNIT) in Klausenburg/Cluj-Napoca. Seit 1573 ist sie in einem Gebäude, das 2008 den Erben des einstigen Besitzers zurückerstattet wurde, untergebracht. In diesem Jahr hat der neue Inhaber, der das Museum nach der Rückerstattung auf Räumung verklagt hatte, in letzter Instanz Recht bekommen. Carmen Ciongradi, Direktorin des MNIT, appellierte daraufhin an das Klausenburger Rathaus, das Gebäude käuflich zu erwerben. Verhandlungen seien im Gange, der Besitzer fordere eine Million Euro, hieß es am 9. November laut Mediafax. Doch selbst im Falle einer Einigung ist fraglich, ob es eine rechtliche Basis für die Zuweisung einer so hohen Summe aus dem lokalen Budget gibt, zumal die Ausstellung nur eine Etage des Gebäudes belegt, der Rest sind Wohnungen. Freilich wäre auch die Verhandlungsposition des Rathauses eine ganz andere, wenn es zumindest ein Vorkaufsrecht auf das denkmalgeschützte Gebäude gäbe, gibt Ciongradi zu bedenken.
Für den schlimmsten Fall hat das Klausenburger Rathaus nun eine Ersatzräumlichkeit für die Unterbringung der wertvollen Sammlung bereitgestellt. Die Apothekenausstellung verzeichnet über 10.000 Besucher pro Jahr und ein Verlust wäre in Anbetracht der Kandidatur Klausenburgs als Europäische Kulturhauptstadt 2021 völlig undenkbar. Ein Glück, das andere Kollektionen nicht unbedingt haben. Trotz des vorhandenen Ersatzraums ist dennoch eine Evakuierung von einem Tag auf den anderen unmöglich, erklärt die Direktorin: „Wir brauchen mindestens sechs Monate für einen Umzug.“ Unter den über 3000 Exponaten befinden sich kostbare, teils bemalte Apothekermöbel, pharmazeutische Gefäße, Retorten und Fläschchen, alte medizinische Bücher und Manuskripte aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, medizinische Geräte, darunter der erste Elektrokardiograf in Rumänien, aber auch berühmte Ingredienzien wie z. B. Mumienstaub. Das Gesetz für Kulturerbe verlangt, dass die Stücke fachgerecht behandelt werden: Es gibt Normen für das Mikroklima, für die Sicherung gegen Einbruch und die Bewachung. Eigentlich darf es also gar nicht sein, dass Museen auf der Straße landen.
Allianz im Ausland
Der Aufschrei aus der rumänischen Museumswelt scheint zumindest außerhalb der Landesgrenzen Gehör zu finden: Die amerikanische Allianz der Museen (American Alliance of Museums) hat bereits eine Einladung für die Ausstellung nach Washington lanciert, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ist zumindest dort sicher. Eine Studie über die Lage der bedrohten Museen Rumäniens wird zudem derzeit ins Englische übersetzt und an die EU-Kommission übersandt.
„Hoffentlich wird die Ausstellung auch ein Echo in der rumänischen Gesellschaft auslösen – und den Menschen bewusst machen, dass unser Kulturerbe unsere Identität repräsentiert!“ appelliert Niţulescu an das Kulturbewusstsein der Besucher. Constantin Goagea plädiert: „Macht Bilder durch die Löcher und Schlitze und postet sie auf Facebook! Sorgt für Aufruhr im ganzen Land!“ Im Hintergrund des Ausstellungssaals flackern bewegte Bilder über eine seltsam geknickte, hölzerne Leinwand. Dort ist Pacman, das uralte Computerspiel, zu neuem Leben erwacht: Gierig schnappen die gesichtslosen Kiefer nach den grafischen Symbolen für Kulturerbestätten auf der rumänischen Landkarte. Zurück bleibt ein großes schwarzes Loch.