„Mein zweites Leben fing mit 15 Jahren im Exil an“

Schriftsteller C²t²lin Dorian Florescu weiß auch von einem anderen Exil, worin er sich nicht wiederfand

Lesungen von und mit Cătălin Dorian Florescu sind anspruchsvoll. Sogar den eigens von den Veranstaltern bestellten Fotografen und eine Zuhörerin, die leider vergessen hatte, ihr Mobiltelefon stumm zu schalten, wies der Schriftsteller persönlich und für alle sehr gut hörbar zurecht. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – Schreiben wäre für ihn „das Schaffen von Erde zwischen den Inseln“, klärte Cătălin Dorian Florescu sein Publikum Montagabend, am 21. Oktober, im Gong-Theater auf, bevor er zum Lesen aus seinem neuen Roman „Der Feuerturm“ schritt und rasch zuvor auch noch eingestreut hatte, „sehr wenig“ zu wissen, sooft er sich mit einem Buch auf den Weg begebe. „Was ich aber habe, sind Inseln.“ Und der „Foișorul de Foc“ an einem Verkehrsknotenpunkt der Bukarester Innenstadt, den eingefleischte Hauptstädter wegen seines umständlichen Umfahren-Müssens nicht leiden könnten, ist für den 1967 in Temeswar geborenen Psychologen und Autor (die ADZ hatte fälschlicherweise über Bukarest als seine Geburts- und Kindheits-Stadt informiert; Anm. d. Red.) auch zweieinhalb Jahre nach dem Erscheinen seines bislang letzten Buches und trotz „drei bis vier Jahre“ dauernder Recherchen gewiss immer noch eine Insel, von der ausgehend sich packende Fiktionen kreieren und literarisch genießen lassen. Die, das weiß auch Cătălin Dorian Florescu, ihrem Realitätsbezug rechenschaftspflichtig sind. Aber der 1982 mit Vater und Mutter in die Schweiz emigrierte Schriftsteller besteht zurecht darauf, dass die rumänische Fassung seines „Feuerturms“ entgegen des rumänischen Eigennamens Leser mit dem Titel „Turnul de foc“ (Humanitas-Verlag) anspricht. Mariana Bărbulescu übrigens fertige stets „großartige“ Übersetzungen seiner Romane an, und außerdem erlebe er sein eigenes Arbeiten mit Stoffen und Sprache vom jeweils ersten Wort an „wie einen Tanz mit dem Text“, meinte Gast Cătălin Dorian Florescu in Hermannstadt/Sibiu zu Start seiner Reise durch vier Städte in Rumänien.

„Wie entsteht diese Magie?“, fragte er rhetorisch in das Parterre des Gong-Theater-Hauptsaals hinein, um einige Male mit dem Hinweis auf den „ersten Satz“ das Wichtigste überhaupt im-mer wieder neu zu unterstreichen. Mit dem ersten Satz schließlich geschehe „schon sehr viel“, er lehre ihn, „was er braucht“, und sei nichts anderes als „die Geburt des Kindes“, des Texts. Denn zu bestimmten Zeitpunkt seiner Lesung in Hermannstadt musste Cătălin Dorian Florescu die Wahl jener Romane aus eigener Hand treffen, woraus er nicht mehr hätte vortragen können, da andernfalls die Veranstaltung merklich zu lange gedauert hätte. „Was überspringe ich jetzt? Das ist immer schwer für einen Autor, wie das Überspringen eines Kindes.“ Eine Entscheidung dafür, und noch dazu eine recht frühe mit lohnenden Folgen, hat er nicht treffen müssen. „Ich folgte meinen Eltern“, wie der im westeuropäisch-deutschen Sprachraum bestätigte Erzähler von über 100 Jahren Bukarester Zeitgeschichte aus der Perspektive des „Feuerturms“ und dessen Wächter sich an das Emigrieren in die Schweiz 1982 erinnert. „Mein zweites Leben fing mit 15 Jahren im Exil an.“

Darüber, dass man als Immigrant „immer erst einmal Opportunist“ wäre, ist Cătălin Dorian Florescu sich natürlich im Klaren. Doch sie hätten ihn „über-haupt nicht gebrochen“, die Immigration und der gern stiefmütterlich totgeschwiegene Osten. „Ich entfremdete mich in der Emigration nicht von mir selbst“, und „das Rumänische zu verlernen, hätte mich von innen heraus von mir entfremdet, dann wäre ich tatsächlich im Exil gewesen“. Die Option, über Rumänien zu „staunen“, hat er sich nicht verbaut. „Ich fiebere hier mit.“ Auf die Schnelle nicht verändern kann er in seiner Geburtsheimat allein die vergleichsweise kürzere Bereitschaft zu Aufmerksamkeit: „Im deutschsprachigen Raum sind 40 bis 45 Minuten Lesen üblich. Aber ich weiß, in Rumänien haben die Leute weniger Geduld. Trotzdem, 20 Minuten müssen schon sein.“ Im aufhorchenden Gong-Theater tat sich niemand schwer damit. Deutschlehrerin Andreea Dumitru-Iacob vom Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium, die den Gast aus Zürich als einen „Reisenden zwischen zwei Welten par excellence“ vorstellte, und Ana-Maria Daneș als Leiterin des Hermannstädter Deutschen Kulturzentrums brauchten sich ob des Erfolgs nicht zu sorgen. Die Rechnung ging auf.