„Mit Herta Müller hatte ich das unangenehmste Telefonat meines Lebens“

Beim Forschen in den CNSAS-Archiven hat Germanistin Valentina Glajar 27 Informanten gezählt

„Der Text der Akte ist zum Wichtigsten geworden. Gelesen habe ich ihn anders als ein Historiker, da ich Literaturwissenschaftlerin bin”, erklärte Valentina Glajar am 2. Juli in Hermannstadt ihren Bezug zu der Überwachung Herta Müllers durch die Securitate. Foto: Klaus Philippi

Erst 1993 wurde ihre Akte geschlossen. Denn der Reflex, Rumänien ausländisch unter keinen Umständen in ein schlechtes Licht rücken zu wollen, habe die Securitate überdauert, betonte Literaturwissenschaftlerin Valentina Glajar Anfang Juli in der Humanitas-Buchhandlung Hermannstadt/Sibiu, wo sie die rumänische Übersetzung ihres 2023 im US-amerikanischen Camden House Verlag aufgelegten Buchs über die Securitate-Akte der Überwachung von Herta Müller vorstellte. 

Und weil sie damit „keine Sensationslust, keinen Skandal” befeuern wollte, hat sie die von Geschichtsforscherin Alina Pavelescu für den Polirom-Verlag ausgearbeitete Traduktion „mehrmals” gelesen, um sich davon zu überzeugen, dass die rumänische Fassung „gut” ist. Ausschließlich „packenden” Inhalt würden Kritiker in den USA ihrem neuen Buch bescheinigt haben, doch wusste Valentina Glajar, dass Übertragung aus der englischen in ihre eigene Muttersprache eine unbedingt zu  beachtende Dosis Kulturtransfer erfordert. Mit sich selbst muss sie ihn als Germanistik-Diplom-Trägerin der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj und promovierte Professorin an der Texas State University schon lange nicht mehr ausmachen. Rumänien aber tut sich mit seiner Vergangenheitsbewältigung nach wie vor deutlich schwer, und 2014 soll bei Ausstrahlung des binnenkritischen Films „Criulic – Drumul spre dincolo” von Anca Damian während eines Kinoabends im Berliner Standort des Rumänischen Kulturinstituts (ICR) eine Sparte der Diaspora ungnädig auf den besagten Streifen reagiert haben. „Wird das ICR dem Außenministerium überlassen, werden wir keine Filme mehr sehen, die das Image Rumäniens ins Wanken bringen”, unkte Schriftsteller Radu Vancu zur Stunde der öffentlichen Veranstaltung mit Valentina Glajar in der Humanitas-Buchhandlung Hermannstadts. Auch hätten im kommunistischen Rumänien sogar die deutschsprachigen Zeitungen Herta Müller als „Nestbeschmutzerin” verrissen, ergänzte am Vorstellungs-Podium Valer Cosma, der Direktor der Lucian-Blaga-Universitätsbibliothek. Gefilzt wurde Herta Müller ab 1973, ihrem 20. Lebensjahr, und von der Securitate ab 1983 schließlich auch aktenkundig verfolgt. „Setzt Literatur heute noch darauf, ein Regime zu stürzen?”, fragte Cosma rhetorisch in den Raum hinein. Dass einem ZDF-Fernsehteam 1982 von der Securitate das Einreisen nach Rumänien untersagt worden war, überrascht nicht.

„Wörter geraten unter jedem autoritären Regime zur Gefahr”, und „in diesen Kreisen waren auch nicht gerade die rationalsten Köpfe am Werk”, so Radu Vancu bezüglich der Securitate im Fall Herta Müller. Valentina Glajar für ihren Teil hat sich zehn Jahre lang mit der Materie beschäftigt, ehe der Band in den USA gedruckt wurde: „Es ist mein Pandemie-Buch.  Ich erhielt für mein Zuhause-Bleiben ein Stipendium für ein ganzes Jahr. Die ‘Niederungen’ haben ihren restlichen Lebensweg vorgezeichnet.” Entscheidende Hilfe erhalten hat Valentina Glajar von Müllers 2023 verstorbenem Ex-Ehepartner Richard Wagner, und recherchiert, dass ein von der Securitate unter dem Decknamen „Maier” geführter und 1989 beim Niedergang des Eisernen Vorhangs 77 Jahre alter Informant als Wachtmeister im KZ Auschwitz-Birkenau gedient hatte. „Viel eher Berichte geschrieben haben die Securitate-Agenten, statt sich um anderes zu kümmern”, weiß Valentina Glajar zu entzaubern, und doch war sie am 2. Juli in der Hermannstädter Humanitas-Buchhandlung überaus glücklich, bekanntgeben zu können, dass „ich heute vom Nationalen Rat für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS) verständigt wurde, am 15. Juli die Akte von Păduraru einsehen zu dürfen.” Ein Name, der niemand anderen als den Securitate-Offizier Neculai P˛duraru meint, bei dem als „Mastermind” die Fäden der Überwachung von Herta Müller zusammenliefen. „Keiner der Securitate-Offiziere auf Ebene Temeswars konnte Deutsch.” Radu Vancu hingegen wusste mit dem Fakt zu punkten, dass Herta Müller eine Woche vor ihrer Auszeichnung mit dem Literatur-Nobelpreis 2009 vor 23 Personen in Hermannstadt aus ihrem Werk vorgelesen hatte. „Ich würde ihn umarmen”, soll sie auf die Frage nach ihrer Art des Umgangs mit dem drei Jahre zuvor verstorbenen Oskar Pastior entgegnet haben. „Mit Herta Müller hatte ich das unangenehmste Telefonat meines Lebens”, erzählte Anfang des Monats in Hermannstadt Valentina Glajar. Ungleich schwerer selbstverständlich wiegt es, dass aktuell „die Welt wie auf Eiern geht.”