Neue Forschungsergebnisse decken Baugeschichte auf

Traditionelle und moderne Methoden miteinander vereint

Vor einem zahlreichen fachkundigen Publikum stellten Marius Moldovan und Cedric Siffermann die Ergebnisse ihrer Forschung in Deutsch-Weißkirch vor. | Foto: Radu Pescaru – Foton

Der Turm der Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch diente nie als Wohnturm, wie bisher in der Fachliteratur angenommen. Er wurde also nicht als Gräfensitz errichtet, sondern um 1473 als Glocken- und Wehrturm an das Kirchenschiff angefügt. Ganze 170 Jahre später entstand der Dachstuhl des Kirchenschiffes, der noch heute zu bewundern ist. Entgegen bisheriger Annahmen, wonach Gespärre, Stuhlkonstruktion und Dachbalken verschiedenen Bauphasen zugeordnet wurden, können diese als ein einheitlicher Abbund-Prozess angesehen werden, der um 1642/43 datiert ist.

Diese und weitere aufschlussreiche Erkenntnisse, sowie neue Hypothesen zur Baugeschichte der Kirche präsentieren am Montag, dem 26. Mai, Marius Liviu Moldovan und Cedric Angel Siffermann vom Masterstudiengang Denkmalpflege/Cultural Heritage der Otto-Friedrich-Universität Bamberg vor einem fachkundigen Publikum in Deutsch-Weißkirch. Die Befunde fassten sie in ihrer Untersuchung „Bauforschung und Gefügeanalyse am Dachwerk der Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch/Viscri“ (2024 im Honterusverlag erschienen) zusammen, das von Dr. Ing. Dipl.-Holzwirt Thomas Eißing (Uni Bamberg) und Prof. Dr. Olaf Huth (Hochschule Coburg) betreut wurde. Die beiden Masteranden haben zwischen 2020 und 2021 eine präzise Datierung des Dachwerks durchgeführt und somit einen bedeutenden Beitrag zur bauforscherischen Aufarbeitung des Kirchendachwerks und der Baugeschichte der Kirche geleistet.

Traditionelle und moderne Methoden miteinander vereint

Für ihre wissenschaftliche Arbeit haben sie außer den historischen Quellen und stilistischen Vergleichen, vor allem die Auswertung der entdeckten Befunde und die Dendrochronologie angewendet. Das ist eine naturwissenschaftliche Methode, die eine genaue Altersbestimmung der Fälljahre von historischen Hölzern ermöglicht. Erst die Verbindung traditioneller und moderner Methoden ermöglichte ein tieferes Verständnis der Baugeschichte des Dachwerks. „Die neuen Methoden und Ansätze haben eine Zeitreise zu den Anfängen ermöglicht”, unterstrich Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen an der Regierung Rumäniens (DRI) bei der Buchvorstellung.

Die Arbeit umfasst eine präzise Dokumentation des Dachtragwerks, mit Zeichnungen, Fotografien, Dokumenten und einer Plangrundlage. „Einen genauen Plan zu erstellen bedeutet, das Gebäude sprechen zu lassen. Und das ist hier hervorragend gelungen“, erklärte am Montag Thomas Eißing, Dozent am Lehrstuhl für Denkmalpflege und Leiter des Labors für Dendrochronologie und Gefügekunde der Uni Bamberg. Darüber hinaus bietet die Masterarbeit aber auch eine Interpretation der Ergebnisse. „Diese Kombination aus modernen Aufnahmemethoden, klassischen Interpretationsmethoden und Neubewertung eines Gebäudezusammenhangs bilden die Prägnanz dieser Arbeit.“ Er schätzte auch die Motivation und den Ehrgeiz der Forscher, so eine Arbeit zu erfassen, „weil Motivation durch den Raum und die Kirchenburg selber erzeugt wurde”.

Das Buch ist eine für Siebenbürgen bislang einzigartige Veröffentlichung , welche geschichtliche Daten mit wissenschaftlichen Befunden aus neuen Methoden vereint. 

Bedeutung für die Denkmalpflege

„Infolge dieser Masterarbeit haben wir die Sicherungs- und Restaurationsarbeiten der Kirchenburg begonnen“, erklärt Dietmar Gross, Mitglied des Kirchenvorstands in Deutsch-Weißkirch, Forstdirektor i.R. und großer Unterstützter und Organisator der Forschungsarbeiten am Dachtragwerk. Er ist seit 2019 in das Projekt eingebunden, als Studenten und Fachleute bei einer gemeinsamen Siebenbürgen-Studienreise der Universitäten von Coburg und Bamberg unter anderem auch das UNESCO-geschützte Baudenkmal der Kategorie A besichtigte. Marius Moldovan, gebürtiger Temeswarer, entschied sich damals mit seinem Kommilitonen Cedric Siffermann für die Untersuchung des Dachstuhlwerks in Deutsch-Weißkirch.

„Dank der Daten, die wir erhalten haben, können Statiker genau festlegen, welche Arbeiten am dringendsten an der Kirchenburg sind. Derzeit wird daran gearbeitet, das Dach stabil zu erhalten und die Mauern vor Einsturzgefahr zu sichern“, erklärt Dietmar Gross. Es werde nach Prioritäten und von oben nach unten gearbeitet. Die Stabilisierungs-und Renovierungsarbeiten werden sich über einige Jahre hinausstrecken und sehen auch die Freilegung der von Restaurator Loránd Kiss entdeckten Wandmalereien vor. Dank der vorliegenden Analyse wird man auf Befunde achten können, die neu entdeckt oder bewertet wurden, wie beispiels-weise ein Treppengang der vom Turm ins ehemalige Dachwerk führt.

Auch wird die Inschrift am Triumphbogen im Innenraum der Kirche irgendwann korrigiert werden. Die Forscher stellten fest, dass die Kassettendecke nicht von 1743 stammt, wie es derzeit angegeben ist. Quellen des Archivs von Deutsch-Weißkirch zeigen, dass auf derselbe Schrift noch ein zusätzliches römisches Zahlzeichen „L“ erscheint, das für 50 Jahre steht. Das bedeutet, dass die Datierung der Kassettendecke über dem Langhaus also 1793 sein muss.

Wunsch, auch weitere Kirchenburgen zu untersuchen

Die beiden Forscher haben begonnen auch die Wehrgänge und die übrigen Gebäude des Baudenkmals zu dokumentieren und hoffen, diese ebenso präzise erforschen zu können wie das Dachtragwerk.

Zu wünschen wäre es auch, dass andere mittelalterliche Schätze in Siebenbürgen, wie es die Kirchenburgen sind, so detailliert erfasst werden. Es gibt allerdings noch kein konkretes Projekt dafür. Es werden aber Vorbereitungen für eine neue Sommerschule 2026 oder 2027 gemacht. Vielleicht könnte in dessen Rahmen ein neues großes Projekt zustande kommen. 

Martin Bottesch, ehemaliger Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen, das die Veröffentlichung des Buchs durch Mittel des DRI ermöglichte, gratulierte den Autoren im Namen des Forums. 

Weitere Anwesende an der Buchvorstellung waren außer Mitgliedern der Evangelischen Kirche A.B. und Vertretern des Siebenbürgenforums, Architekten, Historiker, Denkmalschützer, Restauratoren und Geschichtsliebhaber. Sebastian Bethge von der Stiftung Kirchenburgen und Ruth István, ehemals bei derselben Stiftung, Bischovsvikar und Dechant des Bezirkskonsistoriums in Kronstadt, Dr. Daniel Zikeli, Caroline Fernolend, Vorsitzende des Mihai Eminescu Trust, Marlies Markel-Gherghiceanu, Kuratorin der Kirchenburg Deutsch-Weißkirch und Gerhild Gross, Verwaltungsleiterin der Kirchengemeinde, sowie Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde des Dorfes, aber auch die Leiterin der Kronstädter Kreisdirektion für Kultur, Ruxandra Ștefan verfolgten die Präsentation mit Interesse, ebenso auch Martin Rill, Historiker und Autor mehrerer Monografien zur Geschichte Siebenbürgens. Statik-Experte Ing. Csaba Bodor und Ferenc Mihály, Statiker und Spezialist für Baudenkmäler gehören neben Eugen Vaida, Architekt und Leiter des Vereins Monumentum, der sich dem Schutz gefährdeter Baudenkmäler in Rumänien widmet und einem Freiwilligen-Team, das an der Kirchenburg in Sommerburg tätig ist, zum Fachpublikum, ebenso wie Richard Sterner, zuständig für Bauangelegenheiten in der Immobilien-Abteilung der Honterusgemeinde, der sich mit der Erhaltung kirchlicher Bausubstanz beschäftigt, und sein Team. 

Die Studie ist ein Pionierbeispiel für den erfolgreichen Einsatz moderner Methoden in der Denkmalpflege Siebenbürgens. Sie könnte als Modell für weitere Projekte dienen. Die Masterarbeit ist kostenlos im Hermannstädter Forum sowie in der Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch erhältlich. Die Pläne sind online unter https://masterarbeit.biserica-fortificata-viscri.ro abzurufen.