Anlässlich des 300. Geburtstages von Samuel Freiherr von Brukenthal organisierte der Deutsche Jugendverein Siebenbürgen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde, dem Siebenbürgenforum sowie dem Institut für Auslandsbeziehungen die 35. Siebenbürgische Akademiewoche, in der Studierende und Neugierige das materielle und immaterielle Erbe des europäischen Aufklärers und Freimaurers diskutierten.
In fünf Tagen widmeten sich die 22 Teilnehmenden dem Spannungsfeld zwischen Moderne und Tradition im Erbe des siebenbürgischen Gouverneurs. Dieser wissenschaftliche Austausch fand passenderweise in der pittoresken Brukenthalschen Sommerresidenz statt, einem verspielten und neu renovierten Gartenkomplex im Städtchen Freck/Avrig nahe Hermannstadt/Sibiu. Brukenthal war für die Verwaltung Siebenbürgens mehrere Jahrzehnte lang eine entscheidende Figur, zuletzt als Gouverneur, gefördert von Kaiserin Maria Theresia, unterstützte er das multikulturelle und -konfessionelle Zusammenleben.
Die Akademiewoche, die aus Mitteln des Departements für interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens über das Demokratische Forum der Deutsche in Rumänien sowie aus Geldern des Kulturwerks der Siebenbürger Sachsen mit Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales sowie dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas finanziert wurde, spiegelte sowohl den kulturwissenschaftlichen Blick von Forschenden wider, wie sie auch die Lebensperspektiven von Angehörigen der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft wie in einem Brennglas einfing.
Kunst und Wissenschaft wurden zum Medium der Kommunikation und der Erinnerung – ebenso wie Brukenthals Kunstsammlung den öffentlichen Raum der Galerie zur Ausstellung von Bildern nutzte. Begleitend zu den geographischen Exkursionen der Bildungswoche setzten sich die Teilnehmenden interdisziplinär mit Ortsgeschichte sowie museumspädagogischen, alltagsbezogenen wie auch ethnografischen Perspektiven auf die Lebensrealitäten in Siebenbürgen heute und zu Zeiten Brukenthals aus-einander.
Besucht wurden im Rahmen der Akademiewoche die Dörfer Fägendorf/Mic²sasa und Sâmb²ta de Jos, die sich zwischen den sanften Hügeln des Weidelands verbergen, gesprenkelt mit Heuballen, Kuhherden und saftigen Auenwiesen. Ebenso idyllisch legt sich der Nebel um die morgendliche Silhouette des Brukenthalschen Palastes. Ein Dorf weiter schaut ein Bauer mit Fellweste und Schnurrbart in die Wolken, aber das darf nicht von der prekären sozialen Lage in Zeiten staatlicher Desintegration und knapper kommunaler Gelder ablenken.
Der Bürgermeister von Fägendorf führte die Teilnehmenden durch das dortige Brukenthal-Herrenhaus. Er erzählte, dass das Gebäude in den letzten 30 Jahren mehr und mehr zerfielen und die Mittel für eine Renovierung aber fehlten.
Auf dem Ausflug nach Hermannstadt traten die Zeichen der Zeit subtiler zutage: Im Bruken-thalschen Nationalmuseum und ehemaligen Palais von Hermannstadt werden seit 1817 Bilder aus verschiedenen Regionen Europas gezeigt, die Einblicke in diverse Alltagswelten und in die Kultur und das Kunstverständnis ihres Sammlers geben. Im Deutschen Forum erfuhren die Forschenden, dass die Galerie Brukenthals und die Register der evangelischen Stadtpfarrgemeinde Hermannstadt bis heute als eine der wichtigsten Quellen aus dem 18. Jahrhundert gelten. Für die lokale Kunst- und Sozialgeschichte der Epoche sind sie von einzigartigem Wert, weil die Türen zu ihren Kammern kraft Brukenthals Testament allen Interessierten offenstehen. Nach seinem Tod 1803 sollten die Sammlungen in eine Stiftung eingebracht werden.
Heute besteht ein Nutzungsvertrag zwischen Museum und der Pfarrgemeinde, der dem Zweck dient, Brukenthals Vermächtnis zu bewahren, und der seit den 1990er Jahren auch von den rumänischen Behörden anerkannt und eingehalten wird. Die interessante Debatte wurde dennoch von den Protesten der Partei AUR (Allianz für die Vereinigung der Rumänen) überschattet, die in den vorangehenden Tagen gegen die Errichtung der Statue des Gouverneurs auf dem Großen Ring protestierte – und gegen ein diverses und europäisches Siebenbürgen.
Nach einer intensiven Woche verabschiedeten sich die rumänischen und deutschen Studierenden erfüllt, bereichert an Informationen und Erfahrungen und mit vielen neuen Fragen in den Gesichtern, die wohl die Debatten in den nächsten Monaten vorantreiben werden.