„Unkenntnis der Gesetze können wir zu unserer Verteidigung nicht anführen”, sagt korrekt ein Schüler der Oberstufe des Gymnasiums am vorletzten Juli-Tag in der Astra-Bibliothek Hermannstadt/Sibiu. Kaum aber, dass er es ausspricht, muss er den Einführungsvortrag für Jugendliche in Rechtsfragen auch schon wieder verlassen, und ob ihm der anschließend sehr differenziert traktierte Stoff wirklich geläufig ist oder sein Statement vielleicht doch nur zufällig erfolgte, lässt sich nicht genau erahnen. Die Begegnung mit Rechtsanwältin Simona Jeflea jedenfalls bringt bis zu zwei Dutzend 14 bis 18 Jahre junge Erwachsene von morgen gleich mehrfach zum Nachdenken, und erschöpft sich kein bisschen darin, dass der auch soziologisch studierte Gast mindestens zweimal statuiert, dass „die Gesetze der Anarchie vorbeugen.”
Lang wird die Liste von in der Verfassung Rumäniens verankerten Rechten, die ein Teilnehmer am Programm „Astra Adolescent” für den Anfang auf eine Tafel schreibt, ehe Simona Jeflea den höchsten Stock der Bibliothek betritt und das Heft der Altersklasse gemäß in die Hand nimmt. Das Verbot von Zwangsarbeit und nicht weniger als 18 Rechte notiert der aufmerksame Zuhörer, den Bibliothekarin Mihaela Dobrescu nach vorne bittet, um mit dickem Stift Punkt für Punkt festzuhalten, was ihm und seinen Programm-Kollegen zum Thema einfällt: zunächst selbstverständlich das im Physischen und Psychischen unantastbare Recht auf Leben, danach das Grundrecht auf Bildung, weiters Rechte wie jene auf Verteidigung, Information, Privateigentum, Gesundheit, Kultur und Sozialschutz, das Recht zu Streik – und mittendrin auch das Recht auf freie Äußerung eigener Meinung, von dem ausgehend Rechtsanwältin Simona Jeflea desto stärker den Nerv mancher Kerngedanken der Jugendlichen trifft, je mehr sich die Diskussion ihrem zeitlichen Limit nähert. Die Rubrik „Pflichten” auf der rechten Sparte der weißen Tafel nämlich enhält bei Eintreten von Simona Jeflea nur drei Punkte, und die Teenager spüren wahrscheinlich, dass Ansprüche nicht für sich allein stehen. „Jedes Recht generiert Pflicht”, hat zuvor schon Mihaela Dobrescu betont.
„Es mag aussehen, als ob wir mehr Rechte als Pflichten hätten, aber so ist es nicht, wir haben auch vielerlei Verantwortlichkeiten”, setzt Simona Jeflea an, vor deren Blick Mihaela Dobrescu aus Höflichkeit die seriös mit Rechten befüllte Tafel gerne auf ihre unbeschriebene Seite gedreht hätte, um der Anwältin keinen unerbetenen Leitfaden an die Hand zu geben. Die jedoch freut sich über das eben Notierte, und merkt an, dass „den grundsätzlichen Rechten Grenzen gesetzt sind”. Beispielgebend etwa für extrem verächtlichen Gebrauch des Rechts auf freien Ausdruck die Causa Vasile Molnar, der seinerzeit mittels Plakaten Hass auf ethnische und sexuelle Minderheiten zu provozieren versucht hatte und die sechsmonatige Freiheitsstrafe, die er sich in Rumänien einhandelte, aufgrund einer Begnadigung nicht absitzen musste. Vasile Molnars Klage gegen Rumänien beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde 2012 wegen Recht-Missbrauchs abgewiesen.
Und die auf Kriterien von Behinderung basierende Minderheit, die vor allem an Rumäniens Schulen oft im Fokus von Mobbing durch Mitschüler steht? „Verschwinde, du Bescheuerter!”, hat auf einem Korridor Simona Jeflea einmal einen Minderjährigen laut ausrufen hören, dem es bestimmt gleichgültig war, dass „anfällige Personen das ein oder andere Recht mehr als nicht anfällige Personen haben.” Aber Achtung: „Das Verteidigen Anfälliger darf nicht um den Preis von Gewalt passieren. Steigt nicht in Schlägereien ein, denn sie sind Straftaten!” Absolut ist in gerechten Gesellschaften das Selbstjustiz-Verbot, während manche Rechte, die auch eine Verfassung wie jene Rumäniens gewährleistet, Verurteilten gekürzt oder gar vollständig genommen werden können. Das Wahlrecht, etwa. Geschehen kann es auch, ohne dass man sich seines eigenen Verbrechens überhaupt bewusst gewesen war, wenn zum Beispiel auf einem Social-Media-Kanal falsche Informationen gestreut wurden, was Strafrechtliches nach sich zieht.
„Früher haben die Leute die Kommunikation der gedruckten Presse und des Fernsehens genutzt und der Konkurrenz von Social-Media-Kanälen nicht standhalten müssen”, schärft in der Astra-Bibliothek Juristin Simona Jeflea ihren Zuhörern ein.
„Habt ihr mit 14 Jahren die Kompetenz, zu sehen und zu überprüfen, ob online gestellte Informationen wahrheitsgemäß sind? Nachschauen müsst ihr an den Quellen.” Und durchschauen, dass „in der letzten Wahlkampagne die Kandidaten einander ohne Grund verleumdet haben. Sind wir wirklich erzogen und gebildet? Die Leute verstehen die Limits nicht.” Gültig auch für die Freiheit des Ausdrucks, was eigentlich drei verschiedene Freiheiten in sich birgt: die Freiheit eigener Meinung, des Erhalts von Informationen und Ideen und des Kommunizierens von Informationen und Ideen an Dritte.
Die konkreten Szenarien, die Rechtsanwältin Simona Jeflea mit den Jugendlichen ausdiskutiert, spielen sich alle wie in ihrer Gegenwart ab. Zunächst besprochen wird das Anliegen einer Neuntklässlerin, die an einer publiken Debatte über sexuelle Gesundheit teilnehmen möchte und sich von einem Lehrer, dem sie ihre Absicht beschreibt, ein Verbot anhören muss. Sie wäre „noch zu jung, das ist nichts für dich.” Welches Recht er dabei missachtet? Die Freiheit zur eigenen Meinung, klar! Und die Freiheit des Erhalts von Informationen und Ideen und die Freiheit des Kommunizierens von Informationen und Ideen an Dritte gleich mit. „Kollegen, die sich gegen Einschränkung ihrer Freiheit wehren, solltet ihr unterstützen, nicht beneiden.”, sagt Simona Jeflea.
Als der unvermeidbare Eltern-Begriff fällt, fährt sie ihr parteiisches Eintreten für die unbedingte Achtung von Freiheit deutlich zurück. Denn ein kurz vor der Volljährigkeit stehender Jugendlicher, der an einem öffentlichen Protest gegen die umweltpolitisch sehr dürftige Regierungspolitik mitmachen möchte, kann seine Eltern bei bestem Willen nicht überzeugen, alleine hinzugehen. Obwohl in Rumänien das Streiken ab 16 Jahren gestattet ist. „Ein Protest jedoch ist etwas anderes”, hält Simona Jeflea ein, und berücksichtige gleich mehrere Konditionen: „Kein Stören anderer, das Anmelden des Protests, der Erhalt der Genehmigung und letztlich die Begleitung durch Polizei-Kräfte.”
Dass der von seinen Eltern übervorsichtig an der Protest-Teilnahme gehinderte Minderjährige ärgerlichst damit hadert, versteht Simona Jeflea als Rechtsanwältin sehr gut. „Wäre der Protest ad-hoc geführt und zuvor nicht genehmigt worden, hätten die Eltern den Teenager tatsächlich davon abhalten können. Trotzdem ist es angezeigt, sich das Risiko einer Schlägerei vor Augen zu führen. Protestieren darf nur friedlich passieren. Obwohl ein demokratisches Land, sind wir in Rumänien leider noch nicht soweit, einander sicher vertrauen zu können. Wollte mein 16 Jahre altes Kind an einem Protest beteiligt sein, würde ich entweder persönlich mit ihm hingehen oder dazu raten, auf anderen Wegen zu protestieren”, unterstreicht Simona Jeflea.
Auch Jugendlichen, deren Eltern täglich streng das Mobiltelefon ihrer bald erwachsenen Kinder auf Gefahrenherde kontrollieren, legt sie Geduld ans Herz. „Ihr solltet entspannt sein, solange ihr nichts zu verbergen habt.” Sicher, das Recht auf privaten Raum schließt das Korrespondenz-Geheimnis ein, und nichts ist einer dünnen Trennlinie zwischen Schutz und Kontrolle dienlicher als „ausgeglichenes Überwachen”, dem Anwältin Simona Jeflea sich nur anschließen kann. Doch „Vorsicht, was ihr auf euren Handys alles laufen habt, denn aus Cache-Speichern ist es nie mehr wieder zu löschen.” Das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Schutz am besten für sich aushandeln könne übrigens, wer mit seinen Eltern darüber spricht. „Bringt ihr Argumente vor, werden sie sich nicht wie Menschenfresser verhalten. Kommunikation ist der Schlüssel für alles zwischen euch und ihnen.”