Am Dienstag vergangener Woche fand eine vom Department für Germanische Sprachen und Literaturen der Universität Bukarest veranstaltete ganztägige wissenschaftliche Tagung von Studierenden der Germanistik statt, die aus Gründen der Pandemie nicht in den Räumlichkeiten der Fremdsprachenfakultät, sondern in Form einer Online-Videokonferenz durchgeführt wurde. Im Gegensatz zu den jährlich stattfindenden Studierendenkongressen der Bukarester Fremdsprachenfakultät, die immer in rumänischer Sprache abgehalten werden, wurde diese Tagung ausschließlich in deutscher Sprache veranstaltet.
Die Herausforderung, in einer Fremdsprache wissenschaftlich zu argumentieren und kritisch zu diskutieren, wurde von sämtlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an dieser Tagung hervorragend gemeistert: von den Studierenden im Master- wie im Lizenzstudiengang, von den Studierenden im Haupt- wie im Nebenfach, von den Studierenden der Germanischen Philologie wie auch von den Studierenden in den Studiengängen „Moderne Angewandte Sprachen“ und „Übersetzen und Dolmetschen“.
Eine große Sorge der Veranstalter im Vorfeld der Tagung war, ob nicht durch deren Abhaltung in einem Online-Medium die Spontaneität der Diskussion, die Ungezwungenheit der Kommunikation, kurzum der wissenschaftliche Austausch behindert werden würde. Und in der Tat ist es nicht sehr inspirierend, wenn man, anstatt den Teilnehmenden leibhaftig als einem interessierten Kreis oder einer fröhlichen Korona junger Menschen zu begegnen, ihrer vielmehr medial in Form eines mit Passfotos beklebten Adventskalenders ansichtig wird.
Andererseits hat die Veranstaltung einer Tagung im audiovisuellen Online-Medium auch Vorteile. Da man sich von Anbeginn an bereits im medialen Kontext bewegt, fallen die Probleme automatisch weg, die auf herkömmlichen Kongressen immer von der Arbeit ablenken: das zeitraubende Hantieren mit Laptops, USB-Speichersticks, Video-Beamern und Mikrophonen. Im Online-Medium ist man eben nur einen Klick von einem Film, einem Bild oder einem Text entfernt, welche man dem Publikum qua Screen-Sharing, d. h. mittels der synchronen Übertragung des eigenen Bildschirminhaltes, sogleich zugänglich machen kann.
Eröffnet wurde die deutschsprachige Studierendentagung der Bukarester Germanistik am Vormittag des 2. Juni 2020 durch ein Grußwort der Prodekanin der Bukarester Fremdsprachenfakultät, Frau Doz. Dr. Ileana-Maria Ratcu, die bei dieser Tagung gleich in mehrfacher Funktion in Erscheinung trat: als wissenschaftliche Betreuerin beitragender Studierender, als technische Ko-Betreuerin der Online-Konferenz und als Mitglied des Organisationskomitees.
Auf ihre Begrüßung folgte die erste Session, die von Frau Prof. Dr. Ioana Crăciun-Fischer moderiert wurde. Bogdan Burghelea sprach in dieser thematisch zusammengestellten literaturwissenschaftlichen Session über die kindliche Perspektive auf die Erotik im Roman „Wa-rum das Kind in der Polenta kocht“ von Aglaja Veteranyi, [tefania Stoica analysierte die Kameraperspektive auf die weibliche Sexualität in der Wedekind-Verfilmung „Die Büchse der Pandora“ von G.W. Pabst, Ioana Mărăndici untersuchte das Verhältnis von historischer Realität und literarischer Fiktion in Rolf Hochhuths Roman „Eine Liebe in Deutschland“ wie in dessen gleichnamiger Verfilmung durch Andrzej Wajda, und Cipriana Matei beleuchtete die Kassandra-Figur in der Weltliteratur am Beispiel von Texten Homers, Schillers und Christa Wolfs.
Auf diese thematisch bestimmte Session folgten drei sprachwissenschaftliche Vorträge, die von Frau Doz. Dr. Ileana-Maria Ratcu moderiert wurden. Beatrice Manole sprach über deutsche Entlehnungen im Rumänischen am Beispiel der Historismen, also über Wörter wie „felcer“ (<Feldscher), „Șoltuz“ (<Schultheiß) oder „hatman“ (<Hauptmann), Roxana Cremenescu stellte terminologische Überlegungen zum Thema ‚Lärmbelästigung’ an (Wie übersetzt man „einen Heidenlärm machen“ ins Rumänische?), und Miruna Ivanov analysierte Produktnamen in pragmatischer Hinsicht am Beispiel der Benennung rumänischer Süßigkeiten wie etwa „Eugenia“ oder „Măgura“.
Auf diese sprachgeschichtlichen bzw. sprachwissenschaftlichen Beiträge folgten dann vor der Mittagspause noch zwei literaturgeschichtliche Vorträge, die beide die Barockzeit zum Gegenstand hatten und dabei zugleich den Bogen zur Gegenwart schlugen: Cristina Pătrașcu analysierte barocke Figurenlyrik (Gedichte in piktographischer Form etwa einer Sanduhr oder eines Kreuzes) im Vergleich mit Texten der Konkreten Poesie, und Georgiana Măgurean reflektierte über ‚Fake News’ in der Barockzeit am Beispiel des ironischen Epigramms „Auff die Zeitung-Schreiber // die ihre Zeitungen mit Lufft-Gesichtern anfüllen“ von Daniel Georg Morhof.
Nach der Mittagspause moderierte Frau Lekt. Dr. Cristina Dogaru zwei weitere literaturgeschichtliche Vorträge: Mihail-Lucian Florescu sprach über Dichterideale bei Friedrich Hölderlin und Walter Benjamin, wobei der Vortragende den beiden Begriffen ‚Ethnos’ und ‚Ethos’ besondere Beachtung schenkte, und Diana Simulescu analysierte den Verfremdungseffekt in Bertolt Brechts epischem Theater, indem sie unter anderem auch Fotos von Brecht-Inszenierungen bzw. -Uraufführungen präsentierte.
Darauf folgten unter der Moderation von Frau Doz. Dr. Ruxandra Cosma zwei linguistische Beiträge: Maria Cârnici sprach über die Synonymreihe für die Verben ‚nerven’ und ‚irritieren’, nicht zuletzt im Hinblick auf rumänische Übersetzungsäquivalente, und Elena-Luiza Duțu dachte über Besonderheiten der juristischen Terminologie im deutsch-rumänischen Sprachvergleich nach, wobei es ihr auf dem Gebiet der Fachsprachenforschung gleichfalls um adäquate Übersetzungen ging, etwa um die korrekte Übertragung juristischer Fachtermini wie ‚Verjährung’ oder ‚Umgangsrecht’.
Den Abschluss der Online-Tagung bildete eine literaturwissenschaftliche Session über Franz Kafka, die von Frau Prof. Dr. habil. Mihaela Zaharia moderiert wurde. Alexandra Păun untersuchte Zeichnungen, die aus Franz Kafkas Feder stammen und sich in seinen Tagebüchern finden, im Hinblick auf ihre Bedeutung für das literarische Oeuvre Kafkas, und Lavinia Liță stellte einen Vergleich zwischen Franz Kafka und Albert Camus an, indem sie die Wirklichkeitsauffassung von Josef K. und Sisyphos, den beiden Protagonisten von Kafkas Roman „Der Prozess“ sowie von Camus’ Essay „Der Mythos von Sisyphos“, im Hinblick auf deren Erfahrung des Absurden analysierte.
Eine solchermaßen gelungene Tagung ist freilich nicht nur das Verdienst der beitragenden Studierenden, die allesamt auf ihre, noch dazu in einer Fremdsprache erbrachten, wissenschaftlichen Leistungen stolz sein können, sondern auch das Verdienst etlicher Hochschullehrender der Bukarester Germanistik, die, oft in mehreren Aufgabenbereichen zugleich, zum Erfolg dieser Studierendentagung beigetragen haben. Neben den bereits genannten Lehrenden sind hier zu nennen: Frau Doz. Dr. Hermine Fierbințeanu im Bereich der wissenschaftlichen Betreuung, Frau Lekt. Dr. Alexandra Nicolaescu im Bereich der technischen Vorbereitung wie der medialen Tagungsbegleitung, und Frau DAAD-Lektorin Elisa Moczygemba im Bereich der Organisation.
In den Bereichen der Organisation wie der wissenschaftlichen Betreuung wirkte auch der Direktor des Departments für Germanische Sprachen und Literaturen, Herr Prof. Dr. Gabriel H. Decuble, mit, der am Ende der Online-Konferenz auch das Schlusswort sprach, in dem er allen Teilnehmenden, Studierenden wie Lehrenden, zum Erfolg der wissenschaftlichen Veranstaltung gratulierte und die Studierenden außerdem zur Teilnahme an künftigen Kongressen ermunterte, die dann hoffentlich wieder im realen Raum lebensweltlicher Begegnung stattfinden können. Wer möchte schon gemeinsam auf das Gelingen einer Tagung anstoßen, indem er mit einem Glas gegen einen Computerbildschirm stößt?