Niemals hat sie Schulgebäude, Lehrerzimmer und Klassenräume so pikfein bekleidet betreten wie besonders eifrige von ihren ungefähr 30 Kolleginnen und Kollegen in sechs Städten Nordwestrumäniens, Siebenbürgens und des Banats, deren Unterricht sie als Hospitantin im ersten Halbjahr 2022 besuchen konnte. Auch nicht im Rheinland und der Bundesrepublik Deutschland, wo sie aufgewachsen ist und ihren Berufsalltag als Pfarrerin im Schuldienst an einer Einrichtung der evangelischen Kaiserswerther Diakonie bestreitet. Es ist Gunda Wittich kulturell fremd geblieben, auf das eigene Äußere zu achten, als ob man vor einer Schulklasse stünde wie an einem Vortragspult vor gewählt akademischem Publikum. Einordnen jedoch wollte sie den gern übertriebenen Dresscode genauso wie den Erfolg und das Absurde des Unterrichtens von Religion nach Maßstäben ethnisch-konfessioneller Minderheiten in Rumänien; und am Schlusspunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch für Laien steht einschließlich manches Binnenkritische fest, was Leserinnen und Lesern mit wie ohne Insider-Wissen hadern machen kann – nur Theologin Gunda Wittich nicht.
Geschrieben hat sie diese an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Paderborn angenommene Dissertation zum heißen Thema, um ihren eigenen Ärger fundiert zu Ende zu denken. Zwar liegt er schon bis zu sechs Jahre zurück, hat sich gelegt. Gereift und entstanden ist nachträglich dafür eine Doktorarbeit, die seit beinah zwei Monaten in broschierter Buchform beim Schiller Verlag Bonn-Sibiu des Erasmus Büchercafés Hermannstadt vorliegt und fast 300 Seiten gewinnbringender Lektüre verspricht. Die Überschrift: „Der schulische Religionsunterricht der Minderheiten in Rumänien. Eine Wahrnehmung und Deutung im europäischen Bildungskontext aus evangelischer Perspektive”. Dass der demokratische Gedanke dabei mitschwingt, nennt Gunda Wittich nicht gleich schon bei der ersten Gelegenheit explizit beim Namen, ist aber bei einer Bearbeitung des Themas Religionsunterricht durch westeuropäische Hände ohnehin unvermeidbar und auch kein bisschen überraschend. Geboren wurde Gunda Wittich 1963 in Duisburg.
Hatten Sie womöglich noch nicht auf dem Schirm, dass seit ein paar Jahren bereits an der ein oder anderen staatlich finanzierten Schule, wo das gesamte Spektrum von Stundenplänen teils gar exklusiv auf Deutsch unterrichtet wird oder sein möchte, Religionsunterricht auf Deutsch nach orthodoxem Lehrplan zur Wahl steht und auch in der Tat ganze Klassen von Kindern und Jugendlichen ihn besuchen? Es muss Gunda Wittich, die ab 2019 drei lange Jahre in Hermannstadt zugebracht hat, von Anfang an klar gewesen sein, dass Rumäniens orthodoxe Leitkultur nicht außen vor gelassen werden kann. Auch und gerade bei dem Misstrauen, womit sie als bundesdeutsche und für Progressives offene Protestantin der Kirche von über 80 Prozent der Bevölkerung im Gast- und Zielland sehr kritisch begegnet. Der Habitus einer gewissen Sparte von Klerikern, die das konservative Rumänien zu lenken verstehen, lässt sich wirklich in dem verorten, was Elias Canetti vor 45 Jahren im „wachsenden Thron des Kaisers von Byzanz” seines Traktats „Masse und Macht” dem Christentum östlicher Prägung ankreidete. Grundsätzlich gut auf die Orthodoxe Kirche Rumäniens (BOR) zu sprechen ist Gunda Wittich eher nicht. Mindestens einen hingegen von ihren auf Deutsch unterrichtenden Religionslehrern, der im Ausleben seines pädagogischen Auftrags zum Säkularen der modernen Welt nicht Nein sagt, hat sie kennen und schätzen gelernt.
Anfang 30 ist er, ein Anwärter auf das Priester-Amt und „steht für den modernen orthodoxen Religionsunterricht der Zukunft.” Kein Zufall, dass Gunda Wittich just sein Fallbeispiel an den Beginn der Schilderungen von elf Hospitationen setzt, die das zweite von fünf Kapiteln und den Kern ihrer Doktorarbeit ausmachen. Trotz all der Anerkennung von Offenheit jedoch, die dieser Religionslehrer sehr bewusst praktiziert, behandelt sie seine Causa auch mit Hinweisen auf den schon eingangs erwähnt oft überreizten Dresscode und die regional nur unter zähestem Widerstand schwindende Vorliebe für Frontalunterricht, von dem man in Deutschland und dem liberalen Westen überhaupt schon lange abgekommen ist. Eine Doktorarbeit zu etwas Religiösem, mit der lesend selbst Nicht-Theologen einiges anfangen können sollen? Gekonnt hat Gunda Wittich genau diesen Weg gewählt. Ihr Buch beim Schiller-Verlag ist nicht auf Schonung von Filterblasen angelegt.
Einem Affront gleich kommt es nicht, dass als Gegen-Beispiel zum Ökumene-freundlichen orthodoxen Religionslehrer auf Deutsch in Hermannstadt eine Temeswarer Kollegin auftritt, die ohne jegliche Aufforderung durch Gunda Wittich leider ein stereotypes Bild der BOR schützt: „Katholiken” und „Atheisten” wären gleichermaßen „Gegenstand negativer Kommentare gegenüber der Hospitantin, sogar gegenüber der ganzen Klasse.” Lesern aus deutschem Kreis mag das kaum sauer aufstoßen – man ist es doch gewohnt, unter bestimmter Kondition von der größten Konfessionsgemeinschaft nicht immer für voll genommen zu werden – , wohl aber Deutsch verstehenden Gemeindemitgliedern, Priestern, Bischöfen und gar Metropoliten der Mehrheitskirche im Land, denen die Bereitschaft zur Binnenkritik abgeht.
Ob allein das dem Religionsunterricht der Minderheiten und ihrer Konfessionen eine Qualitäts-Urkunde ausstellt, die man sich nicht erst erarbeiten muss? Schulmeisterisch der katholische Unterricht, den eine „kleine, resolute Frau Anfang 50” Grundschulklassen am Temeswarer Nikolaus-Lenau-Gymnasium im März 2022 gab, ohne dass die Kinder im Mittelpunkt gewesen wären. „Die Lehrerin hat nur wenige Kolleginnen im ganzen Land, die wie sie auf Deutsch katholischen Unterricht erteilen. Man kennt sich, tauscht sich auch aus, aber fühlt sich doch sehr einsam auf verlorenem Posten”, hat Gunda Wittich eindeutig herausgefunden. „Fachlich und sprachlich zugespitzte Fortbildungen gibt es für sie nicht. Das erklärt vielleicht auch, warum sie die europaweite Wende vom Lehren zum Lernen gar nicht wahrgenommen hat. Eine Zukunfts-Perspektive nimmt die Lehrerin auch nicht wahr. ´Ich mache das, solange Schüler da sind und ich das kann. Danach gibt es das nicht mehr.´, stellt sie fatalistisch fest.”
Anders weiß und pflegt man es dagegen am römisch-katholischen Szent-László-Romai-Gymnasium in Großwardein/Oradea. Häufig und gerne zur Anwendung gelangt hier die Franz-Kett-Pädagogik, und Religionslehrer wie dort wären eigentlich allen Schulen in Rumänien mit Bildungsangebot auf Deutsch sehr zu wünschen. Den Eindruck jedenfalls verschafft sich, wer Gunda Wittichs Doktorarbeit liest und Erziehung zur Demokratie gerade im Fach Religion nicht missen möchte. Ansprechend aufgestellt ist es auch an Schulen, die reformierte Kirchengemeinden ungarischer Sprache bedienen, und erstaunlich gute Bedingungen herrschen am unitarischen János-Zsigmond-Gymasium Klausenburg/Cluj – das einschließlich die reformierte Theologin Dr. Angéla Deák, aktuell die Beauftragte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) für Religionsunterricht, zu ihrem Lehrkörper zählt. Beschäftigung solcher Kräfte tut gut.
Schlechter bestellt ist es um Facetten des Religionsunterrichts von Minderheiten, die sich der Abhängigkeit vom orthodoxen Muster nicht entziehen können. Obschon es unfair wäre, die Gewohnheit etwa, ausschließlich Bestnoten zu vergeben, nur an der BOR und ihren Ansichten festmachen zu wollen; politische Korrektheit hat durchaus Vorteile. Manches aber, was im rumänisch-orthodoxen Unterricht gang und gäbe ist, färbt wiederum auf den im Auftrag der EKR ab: Gunda Wittich hat erforscht, dass die evangelischen Lehrpläne sich teils noch zu sehr an den orthodoxen orientieren, und der rumänische Staat zu wenig Förderung bereitstellt. „Dort”, so bemängelt sie in ihrer Doktorarbeit, „wartet man darauf, dass sich dieser Religionsunterricht selbst erledigt, und lässt bis dahin geschehen, was geschieht.”
Also kommt es auf ein Selbstmanagement an, das die EKR gerne den Einzelnen überlässt und eine Spannbreite generiert, die vom Religionsunterricht eines Kantors mit wöchentlich 20 oder noch mehr Schulstunden im Nebenjob bis zu jenem einer Jugendwerk-Gestalterin in Vollzeit und mit Neigung zu Evangelikalem reicht. Dass „auch vollkommen unqualifizierte Menschen den Auftrag zum Unterricht erhalten”, behauptet Gunda Wittich mit gleicher Nüchternheit wie die Statistik nicht-evangelischer Kinder, für die Deutsch nicht Muttersprache ist, die aber die Publikums-Mehrheit des evangelischen Religionsunterrichts stellen. Weil er auf Deutsch erteilt wird und ausschließlich gute Noten bringt. Sicher, ein derart umkämpftes Politikum sollte Bildung nicht sein dürfen. Aber sie ist es nun mal doch, und das deutschsprachige Schulwesen Rumäniens besonders heikle Projektionsfläche für unterschiedliche Ansprüche, die kaum miteinander vereinbar scheinen. Die Doktorarbeit Gunda Wittichs schneidet es an.
Beruhigt seien zu guter Letzt auch Nörgler, die ihrerseits nicht vom akribischen Suchen nach wunden Punkten lassen wollen: klar, man kann Gunda Wittich das „Zentrum für Europäische Theologie Ost” schon übelnehmen, denn richtigerweise meint das Kürzel „ZETO” die „Evangelische” Theologie, und beim Umreißen geschichtlicher Rahmendaten dürften sich Historiker kritisch davon auf den Plan gerufen fühlen, dass Siebenbürgen zu Ende des Ersten Weltkriegs „unfreiwillig” Rumänien angegliedert wurde. Es besteht aber auch die Option, das Gunda Wittich nachzusehen und sich neugierig an einem populärwissenschaftlich geeigneten Fachbuch zum pikanten Thema Religionsunterricht in Rumänien zu erfreuen. Erdacht und verfasst wurde es aus dem Blickwinkel eines Wohlstand-Lands im Westen Europas, wo das öffentliche Ausdiskutieren linksliberaler Gedanken auch im Religiösen, Christlichen und Kirchlichen seine Tradition hat. Rumänien wäre nicht übel beraten, sich davon eine dicke Scheibe abzuschneiden. Bescheid wissen und reden können sollte man auch über das, womit man nicht einverstanden ist. Der Demokratie zuliebe.