Nach einer ersten Runde Anhörungen durch die Staatsanwälte, die sich mit der plötzlichen Vermehrung der Ortschaften befassen, wo es in den Umsturztagen vom Dezember 1989 Tote, Verwundete und Verhaftete gab und die den Ehrentitel „Oraş-Martir/Märtyrerstadt“ zugesprochen bekamen, stehen auch in Reschitza 228 Personen im Verdacht, durch Bestechung und/oder andere unlautere Mittel zum Titel „Kämpfer mit entscheidender Rolle/Luptător cu rol decisiv“ gekommen zu sein, was sie in die Lage versetzt, seit dem 1. Januar 2015 monatlich eine steuerfreie staatliche Zuwendung von 2020 Lei zu bekommen.
Im Banater Bergland sind für die unter Verdacht stehenden 228 Personen aus Reschitza und Herkulesbad seither „ungerechtfertigterweise 10.132.320 Lei ausgezahlt worden“, behauptet in einem Kommuniqué die Generalstaatsanwaltschaft Rumäniens, die diesen Fall untersucht. In den anderen vier Städten mit betrügerischen „Revolutionären“ sieht die Lage, welche die Staatsanwaltschaft zeichnet, folgendermaßen aus: In Konstanza sind an 157 Personen ungerechtfertigterweise 6.977.080 Lei ausgezahlt worden, in Craiova an 125 Personen 5.555.000 Lei, in Arad an 68 Personen 3.019.200 Lei, in Kronstadt an 330 Personen 14.665.200 Lei.
Ein Federstrich – 13 neue Märtyrerstädte
In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft heißt es, seit 2015 seien 13 Ortschaften in Rumänien zu den ursprünglichen Städten hinzugekommen, die 1989 durch die damaligen Fernsehübertragungen für jedermann ersichtlich eine entscheidende Rolle beim Sturz Ceauşescus gespielt haben (Temeswar, Bukarest, Hermannstadt, Klausenburg u. a.). Den Titel „Märtyererstadt“ tragen nun auch Konstanza, Craiova, Reschitza, Arad, Kronstadt, Piatra Neamţ, Hunedoara, Suceava, Deva, Buzău, Herkulesbad, Târgovişte und Brăila. Diese Titel seien in sechs Fällen (den oben genannten Reschitza, Herkulesbad, Craiova, Konstanza, Arad und Kronstadt) auf unlauteren Wegen, aufgrund diverser Interventionen und Bestechungen der Vergeber verliehen worden, nachdem der Titel zur Ernennung von angeblichen „Kämpfern mit entscheidender Rolle“ berechtigt hat, was für diese zu lukrativen Zusatzeinkünften aus der Staatskasse führte. Die Titel wurden durch das „Staatssekretariat zur Anerkennung der Verdienste der Kämpfer gegen das in Rumänien zwischen 1945 und 1989 herrschende kommunistische Regime vergeben“.
Dieses habe seine Dienstbefugnisse missbräuchlich genutzt, indem es das Gesetz 341/2004 übertreten habe. Dieses schreibe für das Staatssekretariat bloß vor, Gesuche von Ortschaften für die Aufnahme auf die Liste der Märtyrerstädte („Städte, in denen Menschen getötet, verletzt oder widerrechtlich eingesperrt wurden, bis der Diktator floh“) zu überprüfen, zu genehmigen oder abzuweisen, womit im Falle von sechs der 13 neu hinzugekommenen Städte eindeutig Missbrauch getrieben wurde. In den restlichen sieben Städten gäbe es berechtigte Zweifel an der Korrektheit der Titelvergabe. Diese Zweifel seien der Grund, weshalb am 16. November 2016, aufgrund von gerichtlichen Genehmigungen, 21 Hausdurchsuchungen vorgenommen wurden, sowohl bei betroffenen Personen, als auch in öffentlichen Institutionen. Anschließend sind laut Generalstaatsanwaltschaft gegen mehrere Personen Präventivmaßnahmen getroffen worden. „Gegenwärtig werden die Untersuchungen vertieft und ausgeweitet, um die strafrechtliche Verantwortung der Verdächtigten genauer festlegen zu können“, sagte Ramona Bulcu, die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Rumäniens, den Medien.
Falsche Revolutionärszertifikate
Die Untersuchungen gegen den ehemaligen Chef der „Revolutionärsbehörde“, Adrian Sanda, und gegen zwei hohe Beamtinnen des Staatssekretariats, Denisa-Corina Tănase und Cristina-Valentina Chechi, laufen inzwischen weiter. Der Fall, kurz betitelt „Causa der falschen Revolutionärszertifikate“, wird nach wie vor von der Staatsanwaltschaft des Hohen Gerichts- und Kassationshofs (ÎCCJ) untersucht. Der vorläufige Vorwurf gegen die Betroffenen: Amtsmissbrauch, Übertretung der Amtsbefugnisse mit schweren Folgen, die sie in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Ausschusses für die Anwendung des Gesetzes 341/2004 begangen haben. Als solche haben sie mehrere Protokolle bzw. schriftliche Entscheidungen verfasst, die mehrere Ortschaften auf die Liste der „Märtyrerstädte“ setzten, wobei sie die rechtlichen Vorschriften dazu übertraten. Im Falle der sechs genannten Städte ist dies offensichtlich, bei den anderen bestehen noch gewisse Zweifel, es ist aber wahrscheinlich.
„Drei klare Fälle von Amtsmissbrauch konnten im Falle der Städte Piatra Neamţ, Hunedoara und Suceava festgestellt werden“, schreibt die Staatsanwaltschaft. Rechte und Interessen Rumäniens wurden missachtet, indem dem Staatshaushalt geschadet wurde. Die unkorrekte Festlegung der Dankbarkeitspflicht des Staates gegenüber natürlichen Personen durch Nichtrespektierung der klaren Bestimmungen für die dazu Berechtigten hat starke soziale Auswirkungen und hat die Staatsautorität verletzt.“ Im Falle von Deva, Buzău, Târgovişte und Brăila werden die Untersuchungen fortgesetzt.
Entscheidender Revolutionär – ein Fallbeispiel
Am 16. November gab es beim ehemaligen Generaldirektor des Kurorts Herkulesbad, Ilie Cristescu, eine der damaligen 21 Hausdurchsuchungen durch die Staatsanwälte des Obersten Gerichts. Auch er – einer der wendigsten und windigsten Bewohner des Banater Berglands nach der Wende – steht auf der Liste der 228 falschen Revolutionäre des Verwaltungskreises Karasch-Severin.
Zur Verteidigung seines Status als „Revolutionär mit entscheidender Rolle“ beim Gelingen der „Revolution“ – auch Cristescu bekommt, zusätzlich zu seinen vielfachen Einkünften als Rentner und Hochschullehrer an zeitweilig bis zu fünf privaten Universitäten, die 2020 Lei monatlich – legt er eine Bestätigung vor, die vom seinerzeitigen Chefermittler der Revolutionsereignisse, Justizgeneral a. D. Dan Voinea, unterzeichnet ist. Darin steht: „Infolge Ihres Gesuchs teilen wir Ihnen mit, dass aus unserer Untersuchungsakte 97/P/1990 hervorgeht, dass Sie am Abend des 21.12.1989 einer der Leader der Revolutionsbewegung in Herkulesbad waren. In dieser Eigenschaft haben Sie am 22. Dezember 1989 die demonstrierenden Massen organisiert und zum örtlichen Rathaus geleitet, das Sie besetzt haben. Zu gleicher Zeit haben Sie sich zweimal an die Menge gewandt und diese aufgefordert, die antikommunistische Bewegung in Herkulesbad fortzusetzen. (...)“ Wohlgemerkt: Im Papier des Generals a. D. der Militärjustiz steht nichts von Tod, Verwundung oder Verhaftung – den drei Kriterien, die laut Gesetz geltend gemacht werden können für die finanzielle Dankbarkeitsgeste des Staates. Laut Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichts reicht das also nicht, um zum „Kämpfer mit entscheidender Rolle“ erhoben zu werden – was Cristescu und noch eine Person aus Herkulesbad sind... Und sein Leben hat er sicher nur theoretisch aufs Spiel gesetzt, denn in Herkulesbad verlief im Dezember 1989 alles grundsätzlich ruhig und friedlich.
Genauso wie in Deva, Târgovişte, Brăila und Buzău auch.