Reschitza und die Remote-Nomaden

Neues Leben im 80 Jahre alten ehemaligen Mädchenheim von Reschitza

Reschitza – In den 1950er Jahren gab es in Reschitza einen kleinen kommunistischen Bauboom, durch den der durch und durch und traditionell sozialdemokratischen Stadt die Vorteile des Kommunismus und der Zugehörigkeit zur „richtigen“ Partei vor Augen geführt werden sollten. Mit Staatsgeldern baute man den Reschitzaern das erste Großkaufhaus vor die Nase – das „Alte Universal“ (heute verlassen und noch nicht ganz ein Ruin), das Gewerkschaftskulturhaus (bis heute eines der größten Rumäniens – auch noch nicht ganz ein Ruin), den „800ter Block“ (ein Ledigenheim für 800 junge Männer, die ihre Lehrlingszeit abgeschlossen hatten und jetzt „Industriearbeiter der ersten Generation“ wurden – heute teilrenoviert und stückchenweise privatisiert) und ein „Mädchenheim“ (für Schülerinnen und angehende Industriearbeiterinnen – bis vor vier Jahren eine Fast-Ruine) – alldas neben Krankenhausbauten und Wohnungen für Bestarbeiter („Stachanowisten“). Was nach der Wende nicht privatisiert wurde, ist heute entweder in schlechtem Zustand oder ein Vorzeigebau geworden.

Wie das Mädchenheim am Rande der ehemals den Stachanowisten vorenthaltenen Straßenzüge mit Duplex-Häusern oder den soliden und auch heute begehrten Wohnblocks der bis 1958 hier eingenisteten sowjetischen Garnison. Dazu hat die Stadt, die das Heim von den Reschitzaer Werken aufgrund von Steuer- und Abgabenschulden übernommen hat, EU- und Eigenmittel bereitgestellt und aus der Bauruine einen Standort für zahlreiche NGOs, aber auch bestausgestattete Arbeitsräume für die immer zahlreicher auftauchenden „IT-Nomaden“ bereitgestellt, die hier unter gut vertretbaren Bedingungen beste Arbeitsbedingungen auf Zeit vorfinden. 

Die Anwesenheit dieser „Remote-Nomaden“ wird bereits von der Stadt als einer der größten „Neben- oder Kollateralerfolge“ ihres eh erfolgreichen Generalsanierungsvorhabens des ehemaligen „Mädchenheims“ angesehen, aber auch als eine „überraschende Entwicklung“: Bürger aus den diversesten Herkunftsländern, die sich einmieten in den modern und freundlich ausgestatteten Büros und von dort aus online arbeiten. Ruhe, Freundlichkeit und Zugänglichkeit werden beim Co-Working von diesen IT-Nomaden geschätzt und sie sagen, dass sie genau das an Reschitza angezogen hat. So sei ihre Fernarbeit produktiv, behaupten sie. Zudem gibt es im Haus mehrere überschaubar große Konferenzsäle, aber auch Entspannungsmöglichkeiten, wo man sich zusammensetzen und austauschen kann, wo Raum für Sozialisierung ist. Das Hochgeschwindigkeits-Internet ist eine der erfüllten Voraussetzungen für die Attraktivität des Standorts. Deswegen gibt es hier auch Graphik-Designer, Digitales Marketing, Consulting, sogar Online-Bildung. Es treffen sich in Reschitza zur Zeit Deutsche, junge Russen, Asiaten. Interessant, dass sie in ihrer Freizeit auch Interesse aufbringen für die Tätigkeiten mehrerer Dutzend NGOs, die hier ihren Sitz haben und sich sogar aktiv in deren Tätigkeiten engagieren. Gelebte Internationalität, aktiver und immanenter Erfahrungsaustausch sind an der Tagesordnung. Menschlichkeit wird hier großgeschrieben.

Der Umbau und die Generalsanierung hat acht Millionen Lei – rund 1,6 Millionen Euro – gekostet. Er hat sich ausgezahlt. Bürgermeister Ioan Popa: „Unsere Absicht war, der Gemeinschaft Räumlichkeiten zurückzugeben, die nicht nur schön sind sondern auch Nutzen bringen, relevant sind und offen. Heute wachsen hier Ideen, es begegnen sich hier (junge) Menschen, hier wird Zukunft gebaut. 27 NGOs und Stiftungen haben hier ihre Sitze, haben drei Konferenzräume zur Verfügung, zwei Multifunktionsräume, Werkstätten (Gastronomie, Handarbeit, Töpferei, Musik), ein Amphitheater, einen Co-Working-Raum und acht individuelle IT-Büros, alles auf Kommodatbasis, ohne Mietzahlungen. Ich glaube, uns ist hier etwas Vorbildliches gelungen.“