Die neue Regierung versucht mit Austerität und Strukturgesetzen ein Rekorddefizit zu bändigen. Doch die Reformen treffen vor allem die Ehrlichen, die Justiz streikt, das Bildungswesen rebelliert – und Präsident wie Premier drohen an den Erwartungen zu scheitern. Rumänien geht in einen Herbst, der härter wird als vielen lieb ist. Die neue Bolojan-Regierung versucht, ein ausuferndes Defizit in den Griff zu bekommen – das höchste in der EU – und hat dafür mehrere, in Tranchen geschnürte Austeritäts- und Strukturpakete durch das Parlament gebracht und jüngst sogar mehrere Misstrauensvoten überstanden. Das Volumen der Maßnahmen ist beachtlich; Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen, Stellenabbau im öffentlichen Dienst und heikle Eingriffe in Sonderpensionen bilden das Gerüst. Politisch (relativ) klug portioniert, rechtlich anfechtbar, sozial explosiv.
Die bittere Pointe: Diese Steuerreformen scheinen nur die Ehrlichen zu treffen – Angestellte, kleinere Unternehmen, Mittelstand – während im großen Stil weiter getrickst wird. Die jüngste Recorder-Enthüllung legt das schonungslos offen: Eine als Baukonzern auftretende Phantomfirma, von den Steuerbehörden zeitweise gar in die Top-100 der Branche geführt, existierte real nicht. Sitz: eine öffentliche Toilette. Unter Namen wie „RICHRBT 1 SRL“ diente das Konstrukt als Drehscheibe für Steuerhinterziehung in Millionenhöhe; die Behörden sahen monatelang zu, obwohl Hinweise vorlagen. Erst nach Veröffentlichung reagierte das Finanzministerium mit Ermittlungsankündigungen – zu spät, zu halbherzig.
Die Justiz hat bereits gezeigt, wie groß der Widerstand ist: Staatsanwälte und Richter arbeiten vielerorts nur noch im Notbetrieb; offiziell heißt das „Protest“, faktisch ist es ein Streik. Auslöser sind vor allem die Eingriffe in Pensionsrechte und die schrittweise Anhebung des Ruhestandsalters – ein Tabu in einer Berufsgruppe, die sich auf Unabhängigkeit beruft und deren Sonderrenten seit Jahren politisches Streitobjekt sind. Auch das Bildungssystem steht quer. Zum Schuljahresbeginn mobilisieren die Lehrerverbände gegen die Spargesetze; in Bukarest marschierten bereits Tausende. Die Leidtragenden sind die Schüler – und eine Volkswirtschaft, die seit Jahren an Qualifikationsengpässen laboriert.
Es kommt eine andere Dimension hinzu: Verantwortungslosigkeit ehemaliger Spitzenpolitiker. Der frühere Finanzminister Marcel Bolo{ erklärt, er habe den damaligen Premier Marcel Ciolacu wiederholt – erstmals im August 2024 – schriftlich und mündlich vor dem steigenden Defizit gewarnt. Doch die Antwort sei eine derbe Kaltauslegung gewesen, geäußert im privaten Gespräch: Ciolacu bestreitet zwar, solche Worte benutzt zu haben. Doch wenn sie gefallen sind, sind sie mehr als bloße rhetorische Entgleisungen: Sie stoßen an die Grenzen dessen, was ministeriale Verantwortung bedeutet. Ein Regierungschef, der eine existenzielle Budgetkrise ins Lächerliche zieht, ja sie bewusst in Kauf nimmt oder, richtiger, sie bewusst herbeiführt, unterminiert nicht nur die Glaubwürdigkeit seiner Regierung, sondern verletzt das Rechenschaftsprinzip, das jeder parlamentarischen Demokratie zugrunde liegt. Es geht nicht nur um die politische Verantwortung, Ciolacu und Bolo{ sind nicht mehr im Amt, sondern auch um die (straf)rechtliche Verantwortung im Sinne des Gesetzes Nr. 115/1999 über die Ministerverantwortlichkeit und des Gesetzes Nr. 69/2010 über die Steuer- und Haushaltsverantwortung.
Noch schwerer wiegt aber, dass die groß angekündigte Verwaltungsreform praktisch zum Scheitern verurteilt scheint. Der Premierminister will Gemeinden zusammenlegen und in den Kommunalverwaltungen Personal abbauen. Doch die Widerstände in den eigenen Reihen sind massiv. Sowohl Sozialdemokraten als auch Liberale hängen an ihren lokalen Patronage-Netzen, in denen Bürgermeisterposten, Ratsmandate und Parteistrukturen überleben, solange jede Kleinstgemeinde ihren eigenen Apparat unterhält. Ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt das Ausmaß des Problems: Rund 70 Prozent der sogenannten „Städte“ haben weniger als 10.000 Einwohner, viele Munizipien liegen deutlich unter der Schwelle von 40.000. Hunderte Gemeinden zählen nicht einmal 1500 Menschen. Die Statistiken, auf die sich die Regierung stützt, sind geschönt – Papierrealität statt Demografie. In manchen Landgemeinden gibt es keinen festen Hausarzt mehr, öffentliche Dienste brechen zusammen, Schulen und Infrastruktur verfallen. Rein rechtlich gäbe es längst Kriterien, die eine Fusion erzwingen müssten. Politisch aber wird blockiert, verschoben, verwässert. Eine echte Reform bleibt damit Illusion. Für die Provinz-Netzwerke der PSD und der PNL ist es lebenswichtig, dass an der seit 1968 bestehenden Verwaltungsstruktur nicht gerüttelt wird, denn nur so kann die immer breiter gewordene Klasse der Kommunalpolitiker, ihrer Verwandten, Freunde und Freundesfreunde überleben. Der Staat ist deren Geisel und Bolojan weiß das nur zur gut, kommt er doch ebenfalls aus der Kommunalverwaltung.
Ökonomisch bleibt der Ausblick trüb. Ohne Konsolidierung drohen Herabstufung und blockierte EU-Mittel; mit harter Konsolidierung drohen Rezessionsrisiken und eine neue Protestwelle – ein klassisches Policy-Dilemma. Außenpolitisch bleibt Rumänien Nebendarsteller – solide verankert in EU und NATO, aber ohne großen Hebel. Außenministerin Oana }oiu versucht, die Pflichtkontakte zu pflegen, von Washington bis Kiew; Symbolik und Bündnistreue stimmen, doch strategische Initiativen bleiben rar. Als Ministerin ist die USR-Politikerin eindeutig eine Fehlbesetzung.
Der Koalitionszoff frisst derweil Regierungsenergie: Die große Mehrheit im Parlament kaschiert nicht, dass die Partner unterschiedliche politische Ökonomien vertreten – die Liberalen wollen die Ausgabenbremse, die Sozialdemokraten fürchten den sozialen Preis. Oder tun als ob. Präsident und Premier müssen moderieren, statt sich wechselseitig zu überhöhen. Zur Person des Premierministers: Ilie Bolojan gilt als Macher mit Verwaltungskanten – sein Ruf gründet auf lokalpolitischen Erfolgen. National wird ihn das Versprechen der „effizienten Verwaltung“ nur so weit tragen, wie die Zahlen halten und die Reformen greifen. Die Erwartungen sind überzogen; ein Verwaltungsreformer ist noch kein Konjunkturmagier.
Und der Präsident? Nicu{or Dan, der unabhängige Mathematiker im Cotroceni-Palast, hat die Wahl als Antipode zum nationalistischen Lager gewonnen. Doch jenseits des proeuropäischen Grundtons wirkt seine Präsidentschaft bislang blass; einen eigenen Ton, eine Leitidee für Innenpolitik, sucht er noch. Seine Annäherungsversuche an die Nationalisten wirken skurril, was der Präsident will, scheint nicht einmal ihm selbst klar zu sein. Eine Ausnahme bildet die Republik Moldau: Hier sitzt die Sprache, hier stimmt das Programm, hier zeigt Bukarest Gesicht – mit klarer Rückendeckung für Chi{in²us EU-Kurs.
Die Regierung wird ihre Pakete weiter durchs Parlament manövrieren – wahrscheinlich in kleineren Bissen, um juristische Fallstricke zu umgehen. Der soziale Druck nimmt zu: Justiz und Bildung bleiben mobilisierungsfähig; weitere Berufsgruppen könnten folgen. Die Koalition hält, aber mit Haarrissen. Außenpolitisch bleibt Rumänien verlässlich, ohne Taktstock – einzig die Schiene nach Chi{in²u bringt sichtbare Punkte. Für die Wirtschaft heißt das: Konsolidierung „um jeden Preis“, gedämpftes Wachstum, steigende politische Volatilität. Wenn Bolojan liefert und Dan seinen Ton findet, kann der Winter ungemütlich, aber nicht desaströs werden. Wenn nicht, wird 2026 zum Jahr der Gegenrechnung.