Klar, natürlich ist es morgens während der Sommerferien nach Eintreten in die Astra-Bibliothek nicht eben totenstill, wenn zig Kinder von 7 bis 12 Jahren es kaum erwarten, im für sie allein reservierten Parterre einer Zahnärztin oder einem Gendarmen zuzuhören und ihnen Fragen zu stellen. Genauso, wie es kaum verwundert, dass oben im fünften und höchsten Stock derselben Bibliothek unaufgefordert gar nicht erst gesprochen wird – nicht etwa wegen Publikums-Mangel, nein. Fotograf Rareș Helici aber erkennt, woran es liegt, dass den Vierzehn- bis Achtzehnjährigen, die hier sich an 16 Tagen im Juli von bis zu 20 Berufstätigen aus Stadt und Region Statements und sehr praktische Informationen geben lassen, kaum nach Reden zumute ist. Weswegen er es sich auch nicht erlaubt, sie anzuschnauzen, ihnen eine Standpauke zu halten. Als 43 Jahre junger Profi und Freiberufler dafür erzählt er, dass „das Internet gerade erst entdeckt worden war, als ich so alt war wie ihr heute. Beim Surfen musste der Festnetz-Telefonhörer offen liegenbleiben und keiner konnte dich anrufen.“ Und? „Wir verbrachten unsere Zeit nicht am Computer, sondern redeten im Freundeskreis stundenlang miteinander.”
„Wer unter euch noch vor allen anderen mit dem Schüchternsein abschließt, kommt am frühesten vorwärts!”, ermutigt Rareș Helici die am Bildungsprogramm „Astra Adolescent“ der gleichnamigen Bibliothek in Hermannstadt/Sibiu teilnehmenden Teenager. „Was in eurem Inneren steckt, wisst nur ihr allein.“ Wobei es immer auch Schweigen gibt, das sich von der Schüchternheit unterscheidet, und dem Fotografen wie Rareș Helici so dicht auf der Spur sind, als ob es sich für nichts anderes zu leben lohnt: gemeint ist ein Schweigen, das künstlerischen Ausdruck entfalten kann – wenn man sich beim Drücken auf den Auslöser der Kamera oder den Smartphone-Foto-Knopf an gewisse Regeln hält. „Will man ein Foto mit dem Telefon machen, braucht man Geduld, nicht wie die Asiaten“, meint Rareș Helici.
„Urban Life“ heißen seine Workshops für Schülerinnen und Schüler ab der 9. Klasse, denen er gerne zeigt, wie sich mit dem Telefon und einigen Tricks tatsächlich gute Fotos schießen lassen, denen es nicht schadet, dass sie ohne richtige Kamera aufgenommen wurden. Und wer davon noch nicht genug hat, kann sich bei Rareș Helici für den Verein „O Mie“ melden, um tiefer in die Materie einzusteigen und auf Tuchfühlung mit der Art zu gehen, wie Profis ihre Fotos holen. „Dann aber erwarte ich das Dranbleiben über längeren Zeitraum.“ Zwar hat er Wirtschaftswissenschaften studiert, von französischen Freunden das Jonglieren mit brennenden Fackeln gelernt und auch vor Zuschauern praktiziert, sechs Jahre lang eine Bar besessen und betrieben, doch mit 30 zu fotografieren begonnen. „Seit 13, bald 14 Jahren mache ich es leidenschaftlich.“ Gebracht hat Rareș Helici es zum Fotografen des Internationalen Theaterfestivals Hermannstadt (FITS) auf Vertragsbasis, der bloß Intendant Constantin Chiriac auf ein paar ganz wenigen Spitzenbegegnungen zu begleiten hat. „Für das FITS mache ich, was ich möchte und wann ich es möchte, ohne Deadlines, bin privilegiert.“
„Steigt nicht mit falschen Erwartungen ins Geschäft ein. 2019 habe ich der Zeitschrift ´Capital Cultural´ ein Interview gegeben, worin ich arrogant war, und, ja, Rareș hat mich beschimpft“, sagt Tudor Toader, heute 25 und vor neun Jahren als Schüler bei Rareș Helici untergekommen. Umgerechnet 3000 Euro wert ist aktuell nur die Kamera seines Profi-Equipments. „Für das, was ihr euch wünscht, müsst ihr arbeiten, nichts kommt von alleine“, schärft Tudor den Sommerferien-Genießern in der Astra-Bibliothek ein, und „dieses viele Fotografieren auf Hochzeiten ist sehr überdrüssig, verschafft jedoch das Meiste, von dort kommt das Geld.“ Mentor Rareș dazu: „Entweder möchte man über Nacht reich werden oder annehmbar, gut, schön und ohne Chefs leben.“ Damals, im Sommer 2016, darauf bestanden, dass Tudor bei Rareș andere Beschäftigung als mit dem Computer bekommt, hatte dessen Vater. „Er war an der Universität genau der Professor gewesen, den ich am allerwenigsten ausstehen konnte. Als er mit seinem Sohn bei mir stand, habe ich ihn gefragt, ´was suchst du hier noch?´, und danach haben Tudor und ich uns zwei, drei Stunden lang alleine unterhalten. Ohne dass er wie ein Schneeglöckchen dahockte.“
Gerne rät er den Teilnehmern des „Astra-Adolescent“-Programms außerdem, so vieles wie möglich auszuprobieren, „um auch einige Enttäuschungen zu erleben.“ „Das Lernen von Rareș war wie Eins-zu-Eins-Coaching“, bestätigt sofort Fotograf Tudor, für den sich „das Büro in der Stadtmitte wie ein Ausbrechen aus der Höhle von daheim“ angefühlt habe. So in etwa geschieht es, das Ablegen von Schüchternheit, übrigens...
Auch Künstlerin Roxana Ionescu, in deren Galerie „Cer Deschis“ ein Vormittag des zwanglosen Projekts stattfindet, glückt es nicht auf Anhieb, ihre 14 bis 18 Jahre jungen Zuhörer zum Sprechen zu bringen. Und doch meint sie es gut mit ihnen. Wahrscheinlich auch wegen ihrer eigenen Biografie, denn mit ihrer Entscheidung als Schülerin, ab der 9. Klasse an das Kunstgymnasium zu gehen, hatte sie mit der Gewohnheit gebrochen, sich am Gheorghe-Lazăr- oder Octavian-Goga-Gymnasium beweisen zu wollen. Geldberufe wie Arzt oder Anwalt, zu denen nicht wenige Eltern ihre Kinder früher oft gezwungen haben – und es in Einzelfällen immer noch tun –, hielt man ohne das Abitur an einer High-Society-Schule für undenkbar. „Eure Einbildungskraft kann niemand quantifizieren“, stellt Roxana Ionescu klar. „Ist glücklich, wer sich von anderen in eine Kategorie zwängen lässt? Ich glaube, nein.“
Die Beziehung zwischen „uns Menschen“ und Instrumenten wie zum Beispiel ChatGPT, von denen Künstlerin Roxana Ionescu überzeugt scheint, dass sie etwas mit „Barcodes“ gemeinsam hätten, bleibt auch nicht außen vor, als planmäßig Paul Mureșan in der Astra-Bibliothek vorbeischaut, um von seiner Arbeit als Chefarchitekt beim Kreisrat Hermannstadt und vom Spezifischen seines Fachs überhaupt zu erzählen. „Niemals dürfen der KI Entscheidungen überlassen werden.“ Doch als Paul Mureșan den Countdown für das Spiel starten lässt, binnen fünf Minuten aus einer begrenzten Anzahl Papierbögen pro Gruppe möglichst viele Schiffchen zu falten, wird zahlreich auf iPhones und Smartphones geschaut – Video-Tutorials statt der Erinnerung an Kindheitstage, als öfter gebastelt wurde. Trotzdem ist es nie zu spät. Jungen Leuten, die gerne und gut zeichnen, empfiehlt Paul Mureșan, „es doch mit einem Architektur-Studium zu versuchen.“ „Schwer“ wäre die Ausbildung, aber wer sie schafft, könne sich auf einen „ziemlich breiten Beschäftigungshorizont“ freuen. „Wir und Klausenburg sind die einzigen Kreisratsbehörden im Land, die das Ausstellen von Bau-Genehmigungen im digitalen Format machen“, erklärt Paul Mureșan stolz.
Mächtig stolz auf ihr Angebot für Kinder, Jugendliche und gerne auch Erwachsene bis ins hohe Alter sind Andreea Matei und das Team vom „Logiclub Smart“ in Hermannstadt, der bei Interesse und Einzahlen einer Kursgebühr Menschen ab 7 Jahren beibringt, wie mit der japanisch analogen Rechenmaschine „Soroban“ auch schwierigstes Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Teilen blitzschnell gelingen kann. Sicher, einfach ist sie dann doch nicht gleich vom Start weg, die Anwendung des Soroban mit seinen 15 Stapeln zu je fünf Knöpfchen, doch wer ihre Schwierigkeitsgrade nach und nach beherrscht, erarbeitet sich ein von Zeigefinger und Daumen neuronal gestütztes Kopfrechnen, das Taschenrechnern Konkurrenz bietet. „Der Druck, den die künstliche Intelligenz auf den Arbeitsmarkt erzeugt, ist fantastisch“, sagt Andreea Matei. In der Kunst des Soroban allerdings geht es „nicht nur um Mathe“, sondern um „Fitness für das Gehirn“ – und auf Nachfrage sogar gezielt anders als in den Schulen Rumäniens üblich, sprich: ganz ohne Angst vor Fehlern. Weil „der Soroban das Gehirn überlistet, nicht alleine zu arbeiten.“ Wenn das mal kein Erfolgsversprechen ist! Neugierig geworden? Einfach mal die App „Simple Soroban“ herunterladen und ausprobieren! In Japan, einem Schlaraffenland für Technik-Freaks, wird seit fünf Jahrhunderten mit dem Soroban gerechnet.