2018 feierte Rumänien das Jubiläum der „Großen Vereinigung“ von 1918. Die Rumänische Orthodoxe Kirche spielt seither im damals neu geformten Staat eine gewichtige Rolle und kann auf eine noch längere Geschichte zurückblicken. Im Rahmen einer Tagung der Universität München beleuchteten 2018 internationale Referenten die Rolle der Kirche für Rumänien in Geschichte und Gegenwart und besonders in den letzten hundert Jahren. Ein Themenheft der Fachzeitschrift „Orthodoxes Forum“ bietet nun alle verfügbaren Vorträge. Die gut lesbaren wissenschaftlichen Aufsätze offerieren ein facettenreiches Bild der Kirche von der Geschichte des Mönchtums bis zu Theologen des Exils.
Der rumänische orthodoxe Metropolit Serafim (Joant˛) von Deutschland, Zentral- und Nord-europa (Nürnberg) liefert eine programmatische Einführung zum Thema „Was hat die rumänische Orthodoxie Europa heute zu bieten?“ (S. 17-26). Er warnt vor einem Verlust nationaler Identität im Zuge der Globalisierung, sofern nicht mehr zwischen Integration und Assimilation unterschieden werde, und erinnert an die identitätsprägende Rolle der Orthodoxie für die Rumänen. Sie habe „das Wesen der Rumänen geformt und profund deren Kultur und ganze Geschichte geprägt.“
Der Diasporabischof beschreibt die Rumänen als friedliebendes und gastfreundliches Volk, dessen „volksnahes Christentum“ tief im Bewusstsein des Volkes verwurzelt sei. Als größte Gabe der rumänischen Orthodoxie für Europa markiert Metropolit Serafim deren ökumenische Offenheit bis hin zum friedlichen und guten Zusammenleben mit dem Islam in der Dobrudscha als Modell für Europa. Die asketische Frömmigkeit wie-derum sei eine Alternative zur Konsumgesellschaft.
Der Bukarester Kirchenhistoriker Mihail-Simion Săsăujan beleuchtet die Neugestaltung der Rumänischen Orthodoxen Kirche nach dem Ersten Weltkrieg (S. 27-34). Nach einem Überblick zur Staatsbildung und historischen Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert erläutert S˛s˛ujan, wie die Kirche nach 1918 aus verschiedenen Metropolien zusammenwuchs und dabei auch sehr unterschiedliche Kirchenstatuten unter einen Hut zu bringen hatte. Er hält zutreffend fest: „Das wesentliche Problem (…) war das der Vereinheitlichung der kirchlichen Organisation.“ (S.30)
Săsăujan referiert die variierende Kultusgesetzgebung und Verfassungsbestimmungen, die der Orthodoxen Kirche zwar eine ihrer geschichtlichen Bedeutung durchaus entsprechende dominierende Rolle zuwiesen (wie übrigens auch der Griechisch-Katholischen Kirche), gleichzeitig aber schon früh staatliche Gängelung und Kontrolle präjudizierten. Und er macht die Einbindung der Kirche in alle relevanten internationalen ökumenischen Institutionen des 20. Jahrhunderts deutlich.
Viorel Ioniță beleuchtet den Beitrag des großen rumänischen Theologen Dumitru Stăniloae für den internationalen ökumenischen Dialog (S. 109-119), den er zu Recht den „bedeutendsten rumänischen orthodoxen Theologen aller Zeiten“ nennt (S. 109). Er würdigt ihn als einen der „recht wenigen orthodoxen Theologen, die eine kirchliche Identität der anderen christlichen Konfessionen anerkennen“, zeigt aber auch Einseitigkeiten in dessen Wahrnehmung des Protestantismus auf, die lutherische Vertreter bei Dialogen deutlich moniert haben.
Der Religionshistoriker Mihai Grigore vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz bringt den Herrscher der Walachei Neagoe Basarab (16. Jahrhundert) ins Gespräch mit den europäischen Geistesgrößen Erasmus von Rotterdam, Martin Luther und Niccolň Machiavelli, allesamt Zeitgenossen, zum Thema „Doxologie und Herrschaft“ (S. 35-45). Basarab, Luther und Erasmus hätten dabei viel gemein trotz unterschiedlicher Akzente – unter anderem die Zentralität des Gebets, den Herrscher als Zentrum der politischen Gemeinschaft und als Verantwortlicher für das Heil seiner Untertanen. Auf der anderen Seite stehe Machiavelli mit seinem Werk „Il Principe“, der im Blick auf den Fürsten „von der Normativität des Christseins nichts mehr wissen möchte“ (S. 44).
Mit dem Hermannstädter Metropoliten Andrei [aguna beschäftigt sich Ciprian Streza (S. 47-60). Streza beschreibt präzise Anliegen, Leben und Lebenswerk des Hierarchen. [aguna amtierte zwischen 1846 und 1873. Er setzte sich nachhaltig und erfolgreich für die Rechte der Rumänen und der Orthodoxen in Siebenbürgen ein, baute die Metropolie von Siebenbürgen wieder auf, gründete Volksschulen, Gymnasien und eine Druckerei, organisierte die Lehrerausbildung sowie die Priesterausbildung grundlegend neu und entwickelte ein regelrechtes orthodoxes Bildungsprogramm. Dabei erstaunt, dass Streza das deutschsprachige Standardwerk des evangelischen Theologen Johann Schneider („Der Hermannstädter Metropolit Andrei von [aguna. Reform und Erneuerung der orthodoxen Kirche in Siebenbürgen und Ungarn nach 1848“, Studia Transylvanica 32) von 2005 weder erwähnt noch berücksichtigt.
Gut recherchiert, erfreulich kompakt und gleichzeitig hintergründig ist der Beitrag des katholischen Theologen Pablo Argárate von der Universität Graz zur Geschichte der rumänischen orthodoxen monastischen Spiritualität (S. 61-72). Er hält fest: „Zentral für die rumänische Ausprägung des Christentums ist in jedem Falle die monastische Erfahrung.“ (S. 61) Argárate entwickelt das Thema von der Antike und Persönlichkeiten wie Johannes Cassian her bis zur Gegenwart und schildert dabei auch Besonderheiten der Regionen. Dabei werden Strömungen wie der Hesychasmus und prägende Personen wie Nicodim von Tismana († 1406) und Paisij Velickovskij (1722-1794) gleichermaßen dargestellt.
Den Bukarester Gebetskreis „Rugul Aprins“ („Der brennende Dornbusch“) beschreibt Krastu Banev von der Universität Durham in Großbritannien (S. 73-90). Banev schildert, wie der Gebetskreis 1943 in Czernowitz entstand. Von 1944 bis 1948 gab es Treffen im Bukarester Kloster Antim. Von Generälen über Professoren und Geistliche bis zu Dichtern, Malern, Musikern und Studenten reichte die Bandbreite der Intellektuellen, die zu diesem Gebetskreis zählten. Zwar war dies kein bewaffneter Widerstand wie bei den orthodoxen Karpaten-Partisanen, doch betrachtete das kommunistische Regime auch diese Gebetsbewegung als Gefahr, löste sie 1948 zwangsweise auf, wichtige Akteure landeten später im Kerker. Der 1896 geborene Initiator Daniil (Sandu) Tudor selbst starb 1962 als Mönch und Märtyrer im Arbeitslager von Aiud.
Spannend ist der Beitrag von Radu Constantin Miron, der „Prolegomena für eine Theologiegeschichte des rumänischen Exils“ skizziert (S. 97-108) und auch frühe inoffizielle Beziehungen zwischen dem Patriarchat und der Katholischen Kirche auf internationaler Ebene vor 1989 thematisiert. Weitere Beiträge behandeln den bilateralen Dialog der Rumänischen Orthodoxen Kirche mit der Evangelischen Kirche in Deutschland/EKD (Martin Illert, S. 91- 96) und theologische Spezialthemen wie die Anthropologie bei Dumitru Stăniloae (Karl Christian Felmy, S. 121-126). Mircea Basarab schließlich würdigt einen orthodoxen rumänischen Katechismus aus Siebenbürgen von 1544 und zeigt dabei auch Wechselwirkungen zur Reformation (S. 141-147).
Dieses Themenheft der Zeitschrift „Orthodoxes Forum“ gibt gute Einblicke in oft wenig behandelte Themen der Rumänischen Orthodoxen Kirche. An der Ostkirche interessierte Leser werden auch den abschließenden Teil des Bandes mit Gewinn lesen (S. 149-227). Dort gibt es neben einem Rezensionsteil das Statut der Orthodoxen Kirche Georgiens sowie eine Chronik zu Ereignissen der orthodoxen Kirchen 2018.
100 Jahre rumänische Einheit: Rumänische Orthodoxie und Europa, in: Orthodoxes Forum/OFo (Zeitschrift des Instituts für Orthodoxe Theologie der Universität München, Themenheft), Hefte 1-2, 33. Jg./2019, ISSN 0933-8586, EOS Verlag St. Ottilien