Es mag älteren Menschen, die die rumänische Revolution von 1989 erlebt haben, schon mulmig zumute gewesen sein, als das Zentrum von Temeswar zum ersten Mal seit der Wende wieder mal so richtig bebte. Die Bombe hatte die am 11. Dezember 2016 gewählte rumänische Regierung gelegt, die sich sozialdemokratisch nennt, ihre Wurzeln aber fest genug im Kommunismus verankert hat. So fest, dass sie am 31. Januar 2017 per Eilverordnung ein Amnestie- und Begnadigungsgesetz verabschieden wollte. Ein Gesetz, das unter anderem vorbestraften Politikern zugute kommen würde – allen voran dem Vorsitzenden der Regierungspartei PSD, Liviu Dragnea.
Der sogenannte „schwarze Dienstag“, an dem die rumänische Regierung spät abends zusammengekommen war, um die Eilverordnung Nr. 13 (sic!) anzunehmen, lockte noch am selben Abend Tausende und Abertausende Bürger aus ihren Häusern. „Ich habe geschlafen, aber jetzt bin ich wach“, war auf den Schildern zu lesen, die die Menschen in Temeswar wie auch in anderen rumänischen Städten, allen voran in der Landeshauptstadt Bukarest, zu den Demos mitbrachten. Eine Aussage, hinter der eigentlich viel mehr steckt: Denn tatsächlich hat die PSD-ALDE-Regierungskoalition die Eilverordnung abends verabschiedet, als viele Menschen schon in ihren Betten lagen, doch „geschlafen“ haben die Wähler in erster Linie am 11. Dezember 2016. Damals hätten sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen müssen, wie sich das in einer Demokratie gehört. Ihre Stimme gaben in Rumänien 7,2 Millionen Bürger ab – das sind nicht einmal 40 Prozent aller Wahlberechtigten. Das Ergebnis war im westrumänischen Temeswar mehr als überraschend, denn zum ersten Mal seit 1989 holten die Sozialdemokraten in diesem Landes-teil die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen. Der Sieg der PSD – eine Partei mit fester Wählerschaft, die keinen Urnengang versäumt – ist vor allem der Absenz der Bevölkerung bei den Wahlen zu verdanken.
Groß angelegte Protestaktionen fanden seit der Bekanntgabe der Eilverordnung Nr. 13 überall in Rumänien statt. 20.000 bis 40.000 Menschen machten allein in Temeswar ihrem Ärger über die umstrittenen Neuregelungen zum Strafgesetzbuch Luft. „PSD – Ciuma rosie” – auf gut Deutsch: „die rote Pest”, oder auch „DNA, sa vină să vă ia” (übersetzt: die Antikorruptinsbehörde DNA soll euch holen) schrien die Leute. Zu 90 Prozent waren es junge Leute an die 30, die bei der Revolution von 1989 nur paar Jahre alt gewesen waren, inzwischen jedoch soweit politisch gebildet sind, dass sie Korruption und Vetternwirtschaft nicht mehr gelten lassen wollen. Schließlich hat es bereits in den vergangenen Jahren fragwürdige Gesetze gegeben, doch zu großen Protesten ist es nie wirklich gekommen. Der Protest-Funke war erstmals ausgebrochen, als am 30. Oktober 2015 64 Menschen im Bukarester Club „Colectiv“ ums Leben kamen. Vage formulierte Gesetze, die interpretierbar sind und Illegales zulassen – den schlummernden Bürgern Rumäniens ging plötzlich ein Licht auf. Und sie gingen massenweise auf die Straße. Die Regierung wurde gestürzt und auch dem Volk war es sofort klar: Die Macht haben nicht die Politiker, sondern die Menschen.
Die Eilverordnung Nr. 13 wurde wenige Tage später von Premier Sorin Grindeanu, der aus Westrumänien stammt, zaghaft zurückgenommen. Doch die Proteste gehen in Temeswar und in anderen rumänischen Städten weiter. Ermutigende Slogans wurden in Temeswar gerufen: „Bukarest, kämpfe Bukarest“, schrien die Protestierenden und ließen erstmalig die sonst typische Abneigung der Provinz gegenüber Bukarest beiseite. „Wir behalten euch im Auge”, heißt es seitens der Protestierenden. Das Land hält zusammen wie noch nie. Rumäniens amtierender Staatspräsident Klaus Johannis, der während der Proteste auch selbst neben den Demonstranten marschiert ist, fordert als ausgesprochener Verteidiger des Rechtsstaats von der PSD-ALDE-Regierung, die „Krise” zu lösen. „Eure erste Sorge war, euch um eure eigenen Dossiers zu kümmern”, sagte Klaus Johannis vor dem Parlament. „Erarbeitet Gesetze für Rumänien, nicht für eine Reihe von vorbestraften Politikern”, hieß es weiter.
Leicht wird es die PSD-ALDE-Koalitionsregierung sicherlich nicht haben. Auch wenn seit dem EU-Beitritt Rumäniens etwa drei Millionen Bürger das Land verlassen haben – auf der Suche nach einem besseren Leben in Westeuropa – so sind immer noch genug da, um auf die Straße zu gehen. Für die Protestierenden gibt es jetzt nur noch eine Möglichkeit: „Rezist!” – „Ich halte durch!”