Der Härtetest des Liberalismus ist das Stoppen illiberaler Tendenzen mit demokratischen Mitteln. Das höchste dieser Mittel ist die Straße. Der fehlt aber die Weisheit – ich glaube an keine Weisheit der Straße! Aber sie ist zweifellos ein Instrument der Machtausübung. Nur: Macht ohne Weisheit ist problematisch.
Durch die Diktatur der Parlamentsmehrheit in Rumänien, mittels welcher gezielt Illiberalismus durchgesetzt wird (der neuerdings auch nationalistisch-rechtsextreme und fremdenfeindliche Auswüchse zeitigt – siehe die Äußerungen des „Maschinenpistolen“-Abgeordneten Rădulescu, PSD), setzt sich in der öffentlichen Meinung immer mehr als einzige Hoffnung der Demokratie und des Liberalismus die Hoffnung auf die Macht der Straße durch. Die Macht des geschriebenen oder gesprochenen Wortes, politische Erklärungen, Druck aus Brüssel und von den Hauptalliierten Rumäniens (über deren Botschaften oder Außenministerien) haben sich als zahnlos, als von der Mehrheitsdespotie straflos ignorierbar erwiesen.
Effizient geäußert hat sich die Macht der Straße bisher vor rund einem Jahr, als sie den ersten offenen Versuch des Durchsetzens einer illiberalen Maßnahme, unter der Regierung des Stehaufmännchens Sorin Grindeanu, stoppte. Seither plätschert die Stimme der Straße bemerkbar, aber friedlich und unschädlich vor sich hin, ohne zu beeindrucken, geschweige denn zum Handeln zu bewegen. Zum Beweis: Das Paket der Steuer- und Justizreformen – ein Riesenschritt Rumäniens in Richtung mitteleuropäischer Illiberalität – wurde von der Parlamentsmehrheit praktisch widerspruchslos durchgebracht. Freunde aus dem Ausland fragten bereits an, was denn mit dem öffentlichen Gewissen Rumäniens los sei, dass man sich binnen kürzester Zeit solcherlei politische Enormitäten und einen so unleugbaren Rückfall in Iliescu-Zeiten bieten lässt?
Klar: Wer das egozentrierte illiberale Vorgehen der Lenker der Parlamentsmehrheit aus PSD/ALDE und dem Ungarnverband UDMR auf der Straße mittels Faustrecht oder wabbelfüßigen Klagen vor dem Verfassungsgericht stoppen will, der macht bloß das Spiel der Illiberalität mit, denn er stärkt deren Bild durch unbeabsichtigte Werbung und durch abgewiesene Klagen – was heißt: der Angeklagte hatte eh Recht! Auch die Schuldzuweisung an Mehrheiten, die die gegenwärtige Schieflage durch völlig legitime Wahlen geschaffen haben, ist Blödsinn. Nicht die Wahlsieger zeigen, ob Wahlen demokratisch oder undemokratisch waren (der Parlamentsausschuss, der die Präsidentschaftswahlen von 2009 untersucht, ist deshalb einfach dumm, lächerlich und pure Geldvergeudung). Illiberalität muss an den Wahlurnen besiegt werden. So einfach das klingt, als so schwierig hat es sich erwiesen. Es bleibt aber die einzige demokratisch akzeptable Lösung.
Dazu muss der Liberalismus selber in seinen Exzessen gezügelt werden. Liberale Exzesse ermutigen illiberale Tendenzen. Etwa Exzesse von Brüssel, von dem Illiberale sich emanzipieren wollen. Die „Normalität“, in der die heutigen Wähler aufgewachsen sind, wird von Ideologen und Politpraktikern über die Köpfe des normalen homo civicus hinweg von Erneuerung zu Erneuerung (was oft Verbote oder Beschränkungen heißt) gejagt, bis man die Gefahr heraufbeschwört, dass Otto Normalbürger die Welt weder erkennt, noch versteht.
Das ist Chance und Ansatzpunkt des Illiberalismus. Der Weg zurück. Am besten verständlich ist das mit der „political correctness“ und ihrem Sinn- und Tabuwandel. Oder mit dem Wandel der moralischen Werte der „Familie“. Oder bei der Handhabung der Kommunikationsmittel („fake news“). Es ist wie mit den Ganoven und den Polizisten: Die Ganoven sind den Polizisten immer einen Schritt voraus. Weil sie clever die Fehler der Polizisten nutzen.
Mehr Umsicht im demokratischen Verhalten heißt, die Chancen des Illiberalismus zu beschränken.