Kennen Sie Reinhard Eugen Heydrich? Er war SS-Obergruppenführer und der „Schlächter von Prag“.
Kennen Sie Artur Phleps? Er war SS-Obergruppenführer der Division „Prinz Eugen“ und Birthälmer Sachse.
Ja, aber ... Für Dienstgrade gibt es keine Relativierung. Der Rang des SS-Obergruppenführers entspricht jenem eines Generals. Ja, aber er war bei der Waffen-SS. In den Nürnberger Prozessen – also zu damaliger Zeit – wurde festgestellt, dass die Waffen-SS eine verbrecherische Organisation war, da sie maßgeblich an Kriegsverbrechen und an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt war.
Ja, aber ... Der Nationalismus verdient keine Relativierung. Aus einer Fachpublikation der Freien Universität Berlin wird Carl Bethke zitiert, der jenen Artur Phleps als Gründer und Leiter der volksdeutschen SS-Division „Prinz Eugen“ wie folgt wiedergibt: „Eine fanatisierte Bevölkerung, besonders serbischer Nationalität, verträgt keine von Humanitätsduselei beeinflusste, duldende Behandlung. Sie respektiert nur brutale Gewalt.“
Ja, aber ... Der Angriffskrieg verdient keine Relativierung. Bei den Nürnberger Prozessen wurde am 6. August 1946 bezeugt: „Ende Mai 1943 kam die Division ‚Prinz Eugen‘ nach Montenegro in die Gegend von Niksic (...). Die Opfer wurden erschossen, abgeschlachtet und gefoltert oder in brennenden Häusern verbrannt. (....) Die eingeleiteten Ermittlungen haben ergeben, dass bei dieser Gelegenheit 121 Personen, meist Frauen, darunter 30 Personen im Alter von 60 bis 92 Jahren und 29 Kinder im Alter von 6 Monaten bis 14 Jahren, auf die oben geschilderte grausame Weise hingerichtet wurden. Die Dörfer (und dann folgt die Liste der Dörfer) wurden niedergebrannt und dem Erboden gleichgemacht.“ Mit deutschen Truppen kurzen Prozess machen und alles rasch beenden.
Ja, aber ... Die Evakuierung aus Nordsiebenbürgen verdient keine Relativierung. Am 12. Juli 2025 wurde auf einem einschlägigen Internetportal berichtet, wonach Dr. phil. Ernst Christian 1992 festgestellt habe, Arthur Phleps sei „kein militärischer Haudegen“ gewesen, sondern „ein aus hartem Holz geschnitzter geistig brillanter Generalstäbler.“ Weiter wird in jenem Beitrag mit Foto jenes SS-Obergruppenführers von hohen Auszeichnungen berichtet, das Ritterkreuz sei verliehen worden. Untermauert wird all das mit unkommentierten, selektiven Tagebucheinträgen von Arthur Phleps, wie jener für die „Evakuierung der in Nordsiebenbürgen lebenden Deutschen die Trecks und insbesondere die Eisenbahntransporte“ durch „Herkunft und Dienststellung“ ermöglicht habe. Am 6.9.1944 hat er notiert: „Vom Führer erneut der telegrafische Befehl an H. G. und mich alles für die Rettung der Deutschen Siebenbürgens und des Banates daran zu setzen.“ Für den 14.9.1944 heißt es: „Hätten wir dt. Truppen gehabt, so wäre der Spuk rasch beendet gewesen.“ In Südsiebenbürgen gab es solche „Evakuierungen“ nicht, das Gemeinschaftsleben überdauerte Deportationen und Kommunismus.
Ja, aber ... Krieg verdient keine Relativierung, auch wenn aus dem Angriffskrieg letztendlich ein Verteidigungskrieg wurde, zugefügtes Leid zu erlittenem Leid. Ist deshalb die unreflektierte Veröffentlichung von Tagebucheinträgen eines veritablen Kriegsverbrechers mit ehrfürchtiger Darstellung seiner Evakuierungsmaßnahmen aus Nordsiebenbürgen nach 80 Jahren angebracht? Dabei mit Waffengewalt kurzen Prozess machen wollen und für „Ordnung“ sorgen in einer Welt, die durch die gleiche Waffengewalt ins Chaos gestürzt worden ist, bedarf einer kritischen zeithistorischen Einordnung.
Ja, aber ... Flucht verdient keine Relativierung. Die „Evakuierung“ war tatsächlich eine Flucht, für die meisten Nordsiebenbürger Sachsen ohne Heimkehr. Sie gründeten im Nachkriegsdeutschland Siedlungen, wie jene bei Wiel-Drabenderhöhe, Dank Robert Gassner, der die Treckeinteilung und Notwendigkeiten bereits im Herbst 1943 geplant haben soll. Jener Nazi war sich bereits früh bewusst, dass die Rote Armee anrücken wird und man in Siebenbürgen auf sog. verlorenem Posten stand, während viele der volksdeutschen Männer bereits im Krieg jener Waffen-SS gefallen und verschollen waren. Statt zur schrittweisen Beendigung des Krieges zumindest beizutragen, wurden frühzeitig Umsiedlingspläne geschmiedet, die absehbar das Ende der angestammten Gemeinschaft zur Folge hatten.
Ja, aber ... Menschlichkeit verdient keine Relativierung. All das war alternativlos, entsprach den Gegebenheiten jener Zeiten im Krieg und jene Taten gelten heute als Kriegsverbrechen – stimmt nicht einmal ansatzweise. Damaliger Kenntnisstand braucht nicht verharmlosend mit vorgeblich erst heutiger Sichtweise relativiert werden. Und welche Alternativen bestanden damals für die sog. Volksdeutschen im Ausland? Umsiedlung der Bessarabiendeutschen und Dobrudschadeutschen mit ethnischer „Säuberung“ in den faschistischen Vasallenstaaten, Flucht aus Nordsiebenbürgen vor der Roten Armee aus Angst vor der Rache für die sog. brennenden Dörfer der SS und Wehrmacht, Ausharren in Südsiebenbürgen mit Gottvertrauen? Oder einfach keine Division „Prinz Eugen“ mit Volksdeutschen aufstellen, dann kann auch keine solche Division Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Alternativen waren gegeben – nicht erst aus nachträglicher heutiger Sicht.
Ja, aber mein Großvater war Teil jener Geschehnisse, was das Gespräch über die damalige Zeit erschwert. Er war Teil eines jahrhundertelangen Stammbaums von Siebenbürger Sachsen aus Heltau. Genealogen führen den Familiennamen auf das lateinische „boni facere“ zurück und sind der Überzeugung, jene Siedler kamen mit dem dritten Treck im 12. Jh. in die Gegend von „villa hermani“, dem heutigen Hermannstadt. Deutscher geht nicht im Rumänien von 1945. Natürlich fühlte sich mein Großvater jenen deutschen Wurzeln verbunden; natürlich freute er sich über den damaligen starken Arm aus Berlin, nachdem zunächst Budapest die Magyarisierung und ab 1921 Bukarest rumänische nationalistische Maßnahmen vorantrieben. Natürlich? Nein, denn das Gemeinschaftsleben der Siebenbürger Sachsen war schon immer von einer sächsischen Loyalität nach innen und gleichzeitig einer Loyalität zum König/Kaiser gekennzeichnet, egal ob jener in Budapest, Wien oder Bukarest residierte. Dass sie in einer fremden SS-Armee gedient haben, anstatt der rumänisch königlichen, geschah häufig nicht widerspruchslos.
Es gab allerdings konträre politische Lager und regelrechte Saalschlachten zwischen Befürwortern der Berliner Ideologie und Traditionalisten innerhalb Rumäniens. Mein Großvater entschied sich damals für die Achse aus Berlin. In deren Krieg zog er allerdings nicht, sondern zog aus Hermannstadt nach Kronstadt, um im Zentrum der dortigen faschistischen deutschen Volksgruppe leitend den Fuhrpark zu betreuen. Das hat zumindest die acht Jahre ältere Schwester meines Vaters erzählt, der seinen Vater nicht mehr erleben konnte. Der besonders deutsch geprägte Mann ließ seine Frau und drei Kleinkinder im Stich. Er floh nach Wien. Dachte er daran, seine Familie nachzuholen? Nach drei Jahren entschied er sich, in die USA zu ziehen, Bundesstaat Ohio. Als dessen dortige Nachfahren von meiner Tante ausgemacht worden sind, nahm sie 1991 aus Deutschland Kontakt auf. Eine Antwort erhielt sie nicht. Ob mein Großvater in Ohio die deutschen im Nachkriegsrumänien Verbliebenen als Kommunisten, als radikal Linke beschrieb? Uns Kinder hatte man im kommunistischen Rumänien erzählt, jener Opa sei im Krieg verschollen. Darüber reden fiel schwer und die Kinder sollten sich an der falschen Stelle nicht verplappern, was Schwierigkeiten mit sich gebracht hätte.
Was können wir denn dafür?
Sind wir nicht alle irgendwie Nachkommen schicksalhafter Ereignisse? Eine gewisse Verantwortung tragen wir als Nachfolgegeneration dennoch. Eine Verantwortung, die der gewählte Parlamentsabegordnete Ovidiu Gan] wahrnimmt, der u.a. mit seinem jüdischen Parlamentskollegen Silviu Vexler zusammenarbeitet, so wie auch der gebürtige Agnethler Bernd Fabritius in Deutschland als Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung u.a. mit dem Bauftragten der Bundesrepublik für jüdisches Leben, Felix Klein, kooperiert. Sich für die deutschen Landsleute einzusetzen ebenso wie für andere, stellt kein Dilemma dar; über zugeführtes und erlittenes Leid zu reden auch nicht.
Wir gedenken am Heimattag zu Pfingsten der 80 Jahre seit der Massendeportation Deutscher in sowjetrussische Arbeitslager. Wir gedenken der 75 Jahre seit Verabschiedung der Charta der Heimatvertriebenen in Deutschland mit deren Absage von Revanchismus. Wir beteiligen uns 35 Jahre nach dem Fall der kommunistischen Diktatur am demokratischen Parlamentarismus in Rumänien und in Deutschland. Kulturelle Leistungen im Sinne der Gemeinschaft, wie auch ideologische Fehlentwicklungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sollen mitsamt deren persönlichen Aufzeichnungen wissenschaftlich, z.B. vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas – IKGS in München, methodisch aufgearbeitet werden. Das ist dort bereits bezüglich Heinrich Zillich (Verleger, Publizist, Verbandsfunktionär) im Gange. Eine solche Verantwortung obliegt uns für alle relevanten Zeitzeugnisse, wie auch den Tagebüchern des Artur Phleps.
Dieser Beitrag wiederspiegelt die Meinung von Ortwin-Rainer Bonfert. Welches ist die Ihrige? Wir müssen reden.