Kürzlich fand in München die feierliche Eröffnung der Rumänischen Kulturtage 2017 statt. Im Generalkonsulat von Rumänien stellte Brigitte Drodtloff, Vorsitzende des Ge-Fo-Rum, als Moderatorin das Kulturprogramm vor und Generalkonsulin Iulia-Ramona Chiriac sprach über die völkerverbindende Bedeutung dieser Veranstaltungsreihe. Es folgten weitere offizielle Reden und auch Musikstücke von J. S. Bach, George Enescu und Constantin Dimitrescu, interpretiert von Petra Varlan-Hein (Geige) und Oliver Varlan (Kontrabass) sowie vier Kurzfilme („Schaufenster Enkelgeneration – Sprache und Identität“) über junge Vertreter der deutschen Minderheit in Rumänien, vorgestellt von Dr. Gabriela Ghindea vom Goethe-Institut Bukarest.
Den abschließenden künstlerischen Höhepunkt des Abends brachte die Vernissage der Gemäldeausstellung „Verwurzelt – Entwurzelt“ des international bekannten deutsch-rumänischen Künstlers Radu-Anton Maier. Der aus Klausenburg stammende Maler, Grafiker, Zeichner und Buchillustrator zeigte bisher seine Werke in zahlreichen Ausstellungen, unter anderem in New York, Paris, Le Vigan (Gard), Perugia, St. Petersburg, Moskau, Bern, Venedig, München, Bukarest, Essen, Regensburg, Mannheim, Wiesbaden u. a. Er lebt inzwischen in Fürstenfeldbruck (Bayern), wo er zusammen mit seiner Frau Dr. Svetlana Maier vor Jahren seine Galerie – RADUART – eröffnet hat. Nachfolgendes Gespräch mit Radu-Anton Maier führte Claus Stephani für die ADZ.
Es gibt im Rumänischen einen Begriff, der das Land unserer Herkunft mehrdeutig definiert: Patria mumă – Mutter Heimat. Eine Mutter aber, ob arm oder reich, ist und bleibt immer einmalig. Und so finde ich, nebenbei bemerkt, die öfters verwendeten Bezeichnungen, wie „dort die alte Heimat – hier die neue Heimat“ widersinnig. Denn man kann nicht zwei Mütter haben, weil man auch nur einmal geboren wird. So ist auch die Heimat immer einmalig.
Durch Ihre Ausstellung „Verwurzelt – Entwurzelt“ haben Sie sich als Künstler in diesen weitgespannten Themenbereich begeben. Mit Heimatsymbolik und den „Wurzeln“ ihrer Herkunft haben sich immer wieder herausragende Maler befasst, so z. B. Cézanne, der oft in der Landschaft des symbolträchtigen Montagne Sainte-Victoire kreativ unterwegs war, oder Marc Chagall, der sich von der „Verwurzelung“ in seine Heimatorte Liosno und Witebsk nie ganz hat loslösen können. Auch als er längst in Paris lebte.
Was bedeutet für Sie, als deutsch-rumänischer Künstler, diese prägende spirituelle „Entwurzelung“, die in Ihren ausgestellten Bildern sichtbar wird? Ist es das Hineinschauen in kleine, oft minutiös dargestellte Details des Universums Natur?
Das Thema „Verwurzelt – Entwurzelt“ ist an sich vielleicht nicht so neu, und, in extenso, kann man die beiden Begriffe auch vom territorialen-geografischen Bereich auf das sozial-religiöse und auf das philosophische Terrain ausweiten. Meine „Ver“- und meine „Ent-Wurzelung“ fand aber in einem existenziell-politischen Komplex von Gegebenheiten, in denen Terror und Verfolgung herrschten, statt. Der Begriff „Entwurzelung“ als solcher hat einen negativen Touch, weil er voraussetzt, dass eine von außerhalb wirkende Intervention eine Änderung in einem gegebenen Medium vollzogen hätte. Doch in dieser Kunstserie, die jetzt in der Galerie des Rumänischen Generalkonsulats in München zu sehen ist, habe ich nicht die Absicht, eine Aktion sichtbar zu machen, sondern – was mich betrifft – eher die Ergebnisse eines derartigen Prozesses zu signalisieren und strikt persönlich zu definieren. Dabei soll auch gesagt werden, dass ich sicherlich kein isolierter Fall bin. Denn auch ich habe – so, wie auch andere Tausende Künstler Rumäniens, in den 1950er und 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – eine Indoktrinierung über mich ergehen lassen müssen. Es war jene Zeit des sogenannten Sozialistischen Realismus.
Nachdem ich dann aber in Westeuropa Fuß gefasst hatte, gelang es mir, diese dunkle Periode meines Lebens, introspektiv und feinfühlig zu analysieren. Dabei ergaben sich solche Fragen, wie z. B.: Ist nun alles, womit man als Künstler in den Jahren des Sozialistischen Realismus theoretisch „gefüttert“ wurde, ein Wegwerfpaket, oder kann man – selektiv! – einige Eckdaten und Lösungen weiter kontinuierlich und konstruktiv einsetzen?
Darauf kann es, meiner Meinung nach – selbst nach einer eventuellen „Entwurzelung“ – eine bejahende Antwort geben. Man darf aber nicht vergessen, dass die damalige Kunstwelt Rumäniens durch große Persönlichkeiten, wie Corneliu Baba, Alexandru Ciucurencu, Dan Hatmanu, oder Ion Jalea und viele andere, geprägt wurde. Diese Welt hatte ihre bleibenden Spuren in meiner Erziehung hinterlassen – womit ich aber jetzt definitiv Schluss machen wollte. Denn es war auch der ideologische Ballast (vermischt mit einer politischen Klassenkampf-Diarrhöe), den ich immer als eine einengende Schranke empfunden habe. Da musste nun irgendwie eine „Entwurzelung“ stattfinden.
Die surreale Ästhetik Ihrer vieldeutigen „meditativen Landschaften“ – wie z. B. „Spiegelungen“, „Himmelswurzeln“ oder „Taifun“ – verrät, dass es vor dem kreativen Akt eine lange Phase von Meditation und Konzentration gegeben hat. Ich erlaube mir, hier an einen tiefsinnigen Künstler und Theoretiker aus Rumänien zu erinnern: Hans Mattis-Teutsch. Der saß manchmal stunden- und sogar tagelang in einem Lehnstuhl und blickte aus seinem Atelier zum Fenster hinaus in den weiten Garten. Auf die Frage seiner Frau Marie, was er da tue, antwortete er: „Ich arbeite, ich denke nach. Ich muss eine Lösung finden.“
Darf ich fragen, ob bei Ihnen der eigentliche kreative Akt ähnlich meditierend wie bei unserem siebenbürgischen Landsmann vorbereitet wird?
Also, ohne eine beträchtliche Meditationszeit kann – zumindest was meine Person betrifft – kein signiertes Werk die Staffelei verlassen. Ich weiß nicht, inwieweit bei meinem berühmten Kollegen Mattis-Teutsch auch atmosphärische Koordinaten in seine oft stimmungsreichen Bilder Zugang hatten. Was mich betrifft, erlaube ich mir, nachträglich zu konstatieren, dass die Wetterlage in meiner kreativen Existenz, nicht nur klimatisch bzw. meteorologisch, sondern auch politisch, sozial, finanziell und vor allem aber religiös, eine entscheidende Rolle spielt. Überhaupt wird man heute – weitaus öfter als im vergangenen 20. Jahrhundert – mit unserem Kosmos, unserem Planetensystem und selbstverständlich mit dem Universum und unausweichlich mit dem Begriff „Unendlichkeit“ konfrontiert. Dass man darauf keine befriedigende Antwort findet, lässt bei mir immer häufiger inspirierende Momente entstehen.
Ihre Kunst wurde manchmal mit der „Lyrischen Abstraktion“ in Verbindung gebracht – einer Kunstbewegung, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris als „Abstraction Lyrique“ geboren wurde. Richtiger wäre es, meine ich, Ihre Bilder in den poetischen Bereich des traumhaft wirkenden phantastischen Realismus einzuordnen. Wie beurteilen Sie diese surreale Ästhetik Ihrer Landschaften?
Die Künstler des „Après-guerre“ und die Autoren, die zu jener Zeit über „Abstrac-tion Lyrique“ geschrieben haben, bildeten damals eine willkommene geistige Oase in einem vom Weltkrieg zerstörten Frankreich. Ich würde gern einmal eruieren, wie man Lyrismus mit Ab-straktion konfliktlos verbinden könnte. Das heißt, wie viele Elemente dafür notwendig wären und wie viele zusätzliche Appendixe auf diesem Terrain erscheinen würden. Als Wortkonstruktion ist „Abstraction Lyrique“ eigentlich eine Verrenkung, und das hört sich – für mich jedenfalls – eher wie ein Notsignal an. Und weniger wie eine künstlerische Strömung.
Ihre Wortkonstruktion „surreale Ästhetik“ gefällt mir sehr, weil sie sich nicht wie eine Definition anhört, sondern wie ein allumfassender gemeinsamer Nenner – ein Nenner mit elastischen bzw. dehnbaren Limits. Und überhaupt, eine surreale Ästhetik kann auch ein Instrumenten-Depot für andere Kunstzweige wie Musik und Film sein.
Meine surrealen Landschaften, fast immer in Mischtechnik auf Leinwand, setzen sich manchmal aus den im Unterbewusstsein entstandenen Visionen, aus Ängsten und unmittelbar spannungsgeladenen Ereignissen zusammen. Ich spiele mit Perspektiven, kontrastiere Landschaften mit Vernetzungen, verwische die Grenzen zwischen Himmel und Erde und schaffe so surreale Universen. Das System der Symbole, mit denen ich arbeite, bringt signifikante Leitmotive traumhafter Herkunft – fantastische Welten aus Braun-, Grün- und Blautönen – mit sich.
In der ostkarpatischen Volksmythologie wird am Beispiel des Lebens- und Weltenbaumes immer wieder eine tellurisch-astrale Verbindung hergestellt. Es sind die zwei primären symbolischen Ebenen Himmel und Erde. Hinzu kommt dann manchmal noch eine dritte Ebene: nämlich die Unterwelt. Über diesen Weltenbaum („arbore ceresc“) gibt es z. B. in der Ostmaramuresch eine Reihe von überlieferten Mythen. Es heißt, dass die Wurzeln dieses Baumes tief in die Erde reichen und dass „seine Wipfel den Himmel berühren oder tragen“. Ich denke jetzt an einige Ihrer tiefsinnigen Bilder, wie z. B. „Himmelswurzeln“, „Verwurzelung“, „Entwurzelung“ oder „Astraler Mythos“. Gibt es hier einen bewussten oder vielleicht unbewussten Bezug zu jenen ostkarpatischen Mythen?
Der „Weltenbaum“ – ein sprechendes Symbol – ist auch in der ostkarpatischen Volksmythologie vorhanden und instrumentalisiert. Zu erwähnen wäre hier ein inspirierter Mönch aus Deutsch-Weißkirch/Viscri, der im 13. oder 14. Jahrhundert das Motiv in einer inzwischen stark verwitterten Freskomalerei dargestellt hat. Das Symbol ist nicht nur als Wendepunkt-Markierung, sondern – als Inspirationsquelle – auch bei vielen Kirchen- und Fresko-Malern auf dem Balkan vorhanden.
Selbstverständlich haben die zahlreichen Kontakte, die ich nicht nur zu rumänischen Klosterfresken, sondern auch – vereinzelt – zu siebenbürgischen Kirchenburgen hatte, bei mir einen unmittelbaren Bezug zu einer derartigen Allegorie entwickelt. Das inspirierte mich zu einer Bildsprache, die ich als symbolisch-mythologischen Surrealismus bezeichnen würde.
Im Mittelpunkt meiner Bilder stehen dominante Wurzelelemente, bewacht von monumentalen, trüben oder tiefgreifenden Sonnenuntergängen, die vielfältige und kontrastreiche Begegnungen bilden. Die oben genannten Bilder zeigen Reflexionen, die sich langsam und stumm zwischen Himmel und Wasser bewegen, oder im Himmel verankert sind und ausgetrocknete Äste suggerieren, die sich im Himmel auflösen.
Vor einigen Jahrzehnten, das heißt 1989, wurden Sie in einer Monografie von Titu Popescu mit dem Ausspruch zitiert: „Der Künstler schneidet die Probleme an – er löst sie nicht“. Ist es nicht schon eine ungewöhnliche Leistung, „die Probleme“ unserer Zeit überhaupt erst einmal anzuschneiden, bzw. zu benennen? So wie z. B. in der Bilderfolge „Venedig – Laguna malata“ oder „Porta desserto“? An die Lösung dieser Probleme müssten sich dann jene heranwagen, die sich hauptberuflich unter dem weiten Mantel „der Politik“ verbergen. Wie sehen Sie die Rolle des Künstlers hier und heute?
Wie ich die Rolle des Künstlers hier und heute sehe? Das ist die Problematik, mit der ich in meiner Galerie RADUART (www.raduart.de) im Gespräch mit Kunstliebhabern, Sammlern, jungen Künstlern und Kritikern konfrontiert bin.
Erstens können sich die Künstler selten „eine Rolle“ aussuchen. Denn sie werden meistens in eine Rolle hineingedrängt, oder anders gesagt, zu einer Rolle verurteilt, die sie dann auf ihre Weise als kreative Künstler spielen müssen. Möchte man die Existenz als Kunstmaler, nach mehr als sechs Studienjahren mit Abschluss einer Kunstakademie, als anerkannte Persönlichkeit seines Fachs definieren, muss man wissen, dass es vorher eine mühselige, meist mit enormen Hindernissen behaftete, sich lang, bzw. oft viel zu lang, dahinziehende Periode gegeben hat. Danach versucht der Künstler die Problematik unserer Zeit „anzuschneiden“, das heißt auf das hinzuweisen, was ihn bewegt hat. Wenn ihm das dann gelingt, hat er mehr getan, als die ihm vorher zugedachte Rolle zu spielen.
Vielen Dank für dieses Gespräch.