Vom Eichhörnchen bis zur Matura

Die Burgenländischen Kroaten in Wien wollen eine zweisprachige Schule gründen – In der Hauptstadt greift aber kein Minderheitenschutz

49 Kilometer sind es von Pandrof/Parndorf bis in die Schwindgasse im vierten Wiener Bezirk. Es ist nur eine Dreiviertelstunde mit dem Auto, aber für Burgenländische Kroaten eine Reise in eine andere Welt: In Parndorf und in den anderen Ortschaften ihres Siedlungsgebiets im Burgenland genießt die Minderheit einen gewissen, wenn auch völlig unzureichenden Schutz, in Wien dagegen, wo immerhin 15.000 Burgenländische Kroaten leben, hat sie gar nichts. Nicht einmal eine Schule mit kroatischer Sprache. Aber das will das Kroatische Zentrum, das seinen Sitz in der Schwindgasse 14 hat, jetzt ändern. 
 
„Wir waren noch nie so weit; noch nie hatten wir so viel Konkretes“, sagt Gabriela Novak-Karall. Die Geschäftsführerin des Kroatischen Zentrums in Wien ist auch die Vorsitzende des vor einem Jahr gegründeten kroatischen Schulvereins Rešetaric. Sein Ziel ist die Gründung einer Privatschule in Wien, in der zweisprachiger Unterricht vom Kindergarten bis zur Matura angeboten werden soll. Das ist ein ehrgeiziges Vorhaben. 

Warum gibt es in Wien bisher keine Schule mit kroatischer Unterrichtssprache? Der Grund ist simpel, aber einigermaßen absurd und trifft in ähnlicher Weise auch eine Vielzahl anderer Minderheiten in Europa, von den Ladinern in Südtirol bis zu den Sorben in der Lausitz: Wien (kroatisch Bec), obwohl nicht weit davon entfernt, liegt außerhalb des Siedlungsgebiets, in dem die kroatische Volksgruppe Minderheitenschutz genießt, denn dieser gilt nur im Burgenland (Gradišce). Dabei lebt weit mehr als ein Drittel der auf 50.000 bis 60.000 Angehörige geschätzten Volksgruppe in der Bundeshauptstadt. Der Grund für die Abwanderung, die schon vor vielen Jahrzehnten eingesetzt hat, ist die schwache wirtschaftliche Lage im Burgenland.

Da der Minderheitenschutz in Wien nicht greift, sind die dort lebenden Kroaten auf Eigeninitiative angewiesen, um Sprache, Kultur und Traditionen zu bewahren und weiterzuführen. Ihr Stützpunkt ist das Kroatische Zentrum. Dort gibt es seit 1993 die zweisprachige Kindergruppe „Viverica“ (Eichhörnchen) mit derzeit 14 Kindern. „Zahlreiche Versuche, weiterführende kroatische Bildungsangebote zu schaffen, sind in der Vergangenheit gescheitert. Deshalb verlieren viele Kinder die kroatische Sprache“, sagt Gabriela Novak-Karall. 

Dagegen wollen sie und ihre Mitstreiter ankämpfen. „Wir orientieren uns an der tschechischen Privatschule Komensky in Wien“, erläutert Novak-Karall. Diese Schule hat einen sehr guten Ruf: „Er beruht auf dem Lehrplan, aber auch auf den vielen Aktivitäten, die angeboten werden: Theatergruppen, hochwertige Sportangebote und sogar ein TV-Sender sind darunter. Unsere Schule kann nur so eine sein!“, sagt Novak-Karall. „Die Ausbildung muss besser sein als in anderen öffentlichen Schulen, sonst fragen sich die Eltern, warum sie ihre Kinder zu uns schicken sollen“, ist sich auch Petar Tyran im Klaren, der pensionierte langjährige Chefredakteur der kroatischen Wochenzeitung „Hrvatske Novine“. 

Um die Schule auf den Weg zu bringen, war die Gründung des Schulvereins Rešetaric die Grundvoraussetzung. Dann folgten Gespräche mit den Behörden, um die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen abzustecken. Dabei waren die Burgenländischen Kroaten nicht allein: Tschechen, Slowaken, Ungarn, Kroaten, Slowenen und Roma arbeiten eng zusammen, um zweisprachige Bildungseinrichtungen außerhalb ihrer traditionellen Siedlungsgebiete möglich zu machen, beispielsweise in Graz für die Slowenen in der Steiermark. 

Dabei gab es einige dicke Bretter zu bohren, herrscht in Österreich doch ein Kompetenzdschungel: Für die Lehrpersonen vom Kindergarten bis zur Primarschule ist das Land zuständig, für die Sekundarstufe aber der Bund, und für die Volksgruppen ist grundsätzlich der Bund zuständig. „Da gibt es Probleme, und deshalb muss auch der Bund für den Pflichtschulbereich in die Pflicht genommen werden“, fordert Novak-Karall. „Solch eine Schule bringt der öffentlichen Hand keine zusätzlichen Kosten, im Gegenteil: Sie nimmt ihr Arbeit und Kosten ab“, ist sie überzeugt.

Die Vorstellungen davon, was die Volksgruppen benötigen, lagen zu Beginn weit auseinander. „Die Beamten im Bildungsministerium wollten uns in ein Konzept für eine Europaschule stecken, das im Entstehen ist; das könnte man ja verbinden, meinten sie“, sagt Novak-Karall und betont: „Das geht total an dem vorbei, was wir brauchen.“

Inzwischen aber ist die Verständigung gelungen. „Es gibt nun ein Protokoll, in dem schriftlich festgehalten ist, dass das Ministerium dieses Vorhaben befürwortet“, schildert Novak-Karall, „denn es geht dabei um Nachbarschafts- und kleine Sprachen. Das ist ein Desiderat der EU, und damit wäre auch die europäische Ebene gegeben.“ 

Die kroatische Schule in Wien soll eine Privatschule öffentlichen Rechts sein, sodass die Schule entscheiden kann, wen sie einstellt. Der Hintergrund ist die Situation im öffentlichen Minderheitenschulwesen im Burgenland: „Obwohl es dort ein sehr gutes Gesetz gibt, haben die Lehrer vielfach nur unzureichende Sprachkenntnisse; es ist eine Katastrophe“, sagt Gabriela Novak-Karall. Die Schule in Wien wird auf Lehrer aus Kroatien zählen müssen. Bewerbungen von dort auf Schulen in Österreich gibt es immer wieder.

Zündstoff birgt die Frage, welches Kroatisch in der Schule gelehrt werden soll, denn das Burgenländische Kroatisch unterscheidet sich beträchtlich vom Standardkroatischen. „Es wird die Standardsprache sein. Das muss sein, damit unsere Abgänger wirklich eine Zukunftschance haben“, sagt Gabriela Novak-Karall. In der Volksgruppe, die ihr Standbein im Burgenland habt, gibt es dagegen starke Vorbehalte; dort zögen nicht wenige das Burgenländische Kroatisch vor. „Aber die burgenländische Variante wäre nur auf das Bundesland beschränkt“, entgegnet Novak-Karall. Ganz außer Acht gelassen werden soll sie dennoch nicht: Sie wird Gegenstand im Lehrplan sein. 

Mittlerweile werden Gespräche mit den politischen Parteien geführt, damit das Vorhaben in die Koalitionsprogramme im Bund und im Land Wien aufgenommen wird, schildert Petar Tyran. „Alle wissen: Das ist das Thema Nr. 1 für die Volksgruppen“, sagt Tyran. Aber die größte Hürde steht noch bevor: Verfassungsjuristen müssen prüfen, welche Gesetze geändert werden müssen, und dann muss das Ganze durch das Parlament gebracht werden.

Das wird einige Zeit brauchen. Im besten aller Fälle könnte der Unterricht schon im Schuljahr 2026/27 beginnen. „Aber das hängt von der Politik ab“, sagen Novak-Karall und Tyran. 


Die Burgenländischen Kroaten

Sie kamen im 16. Jahrhundert aus Dalmatien und dem Gebiet an der heutigen Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Von dort waren sie vor den Osmanen geflohen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Minderheit auf drei Staaten aufgespalten: 30.000 Kroaten leben im Burgenland, 8000 jenseits der Grenze in Ungarn und 2000 im Südwesten der Slowakei; dazu kommen noch die rund 15.000 Kroaten in Wien. Ihre rechtliche Situation ist sehr unterschiedlich: In Ungarn genießen sie großzügige Rechte, in der Slowakei sind die Regelungen sehr viel restriktiver, und in Österreich sieht es nicht viel besser aus: „Würde man Artikel 7 des Staatsvertrags von 1955, in dem die nationalen Minderheiten behandelt werden, nicht so restriktiv umsetzen, wären 98 Prozent der Probleme gelöst“, sagt dazu der in Zeljezno/Eisenstadt lebende Jurist Andreas Palatin.