Freiheit ist nicht selbstverständlich. Freiheit will aktiv verteidigt werden. Niemand weiß dies besser als die Menschen in Rumänien, die noch den Eisernen Vorhang erlebten. Oder die ausgewanderten Siebenbürger Sachsen, dem Kommunismus entflohen und selbst nach der Wende noch in Massen emigriert, aus Angst, die geöffnete Tür könne vielleicht auch wieder zugehen. Freiheit lockt, lässt Risiken eingehen – nicht nur im politischen Bereich. Den siebenbürgischen Bauernsohn Albert Ziegler, 1888 in Zeiden/Codlea geboren, der schon als Kind vom Fliegen träumte, verlockte die Freiheit über den Wolken. Er wurde Siebenbürgens erster Flugzeugbauer und Flugpionier. 1913 kreiste er mit seinem Eindecker auch über Zeiden. 112 Jahre später wird dort zum 35. Sachsentreffen, das unter dem Motto „Freiheit macht den Unterschied“ steht, eine Gedenkplatte an seinem Geburtshaus in der Langgasse/ Strada Lungu 133 enthüllt… Die Sachsen vergessen ihre Helden nicht.
Bis zum Juni 1914 ist Albert Ziegler 90 mal vom Boden abgehoben. Auch ein Absturz – bei Schässburg, mit glimpflichem Ausgang – konnte ihn nicht entmutigen. Über den Traum vom Fliegen und seinen Träumer, der als Junge mit Regenschirmen oder zwei Hanklichbrettern Ikarus nachzueifern suchte, sich in der Schweiz, Frankreich, Deutschland und Österreich ausbilden ließ und als Motorenbauer den Preis der Handelskammer errang, erzählt Rainer Lehni, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, in seinem Vortrag am Freitag.
Im Foyer des Zeidner Kulturhauses konnte man Zieglers beeindruckende Flugapparate in großformatigen Bildern bewundern. Seine Geschichte ist auch im Zeidner Stadtmuseum im Eingangsturm zur evangelischen Kirche ausführlich dokumentiert.
Wenn Freiheit fehlt...
„Besonders aber schätzt man die Freiheit, wenn sie fehlt“, erinnert des Flugpioniers Namensvetter Winfried Ziegler, Geschäftsführer des Siebenbürgenforums, das unter dem Vorsitzenden Radu Nebert das Sachsentreffen in Zeiden am 19. und 20. September 2025 organisiert hat.
Die Tänzerin und Choreografin Heike Schuster „erzählt“ davon auf ganz andere Weise - mit ihrem Körper. In ihrer Performance „Gleis 3“, die an 80 Jahre seit der Russlanddeportation der Deutschen aus Rumänien erinnert, hautnah miterlebt von Rosa Lukesch, der Großmutter der Tänzerin, werden vier Kleidungstücke wie Häute abgelegt und in Rahmen pittoresk festgepinnt. Zum Schluss ein neues, glänzendes Kleid übergestülpt, doch der alte Unterrock bleibt an: Es gibt immer etwas vom Trauma, das man nicht ablegen kann... „Irgendetwas in meinem Körper erinnerte sich an das, was meine Großmutter erlebt hatte“, gesteht Heike Schuster in der anschließenden Gesprächsrunde mit Historikerin Hannelore Baier und ifa-Kulturmanagerin Christiane Böhm. Der Tanz, der am 12. Dezember in Freiburg uraufgeführt werden soll, ist ihr persönliches Herzensprojekt.
„Prüft alles und behaltet das Gute“
„Freiheit macht den Unterschied“ – zu diesem Motto beglückwünschte Bischof Reinhart Guib das Siebenbürgenforum in der evangelischen Kirche von Zeiden am Samstag. Bei anderem Ausgang der diesjährigen Präsidentschaftswahlen wäre es fraglich gewesen, „wie wir uns noch hätten begegnen können“ – die Siebenbürger Sachsen im Inland, im Ausland und mit den rumänischen Partnern – fügt er an. „Als Gemeinschaft müssen wir uns voll einsetzen“. Die Kirchenglieder lud er zum „konstruktiven Mitgestalten“ und zur Teilnahme an den für November anstehenden kirchlichen Wahlen ein. Das Strategiekonzept der evangelischen Kirche, von diakonischer Fürsorge bis zum Einsatz für Bildung und Kultur im Sinne von Freiheit, passt zur Jahreslosung 2025: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ Ein denkwürdiges Motto für eine Kirchengemeinschaft: Denn prüfen bedeutet nicht nur glauben, sondern Freiheit auch im Denken.
Den Festgottesdienst zelebrierten mit Bischof Guib: Bischofsvikar Daniel Zikeli (Bukarest), Pfarrer Danielis Mare (Zeiden) und Dechant Pfr. Alfred Dahinten (Mühlbach), der in seiner Predigt anhand des Grimm-Märchens „Der Fischer und seine Frau“ vor Augen führte, was Segen ganz gewiss nicht ist: das Überfrachten des Lebens mit materiellen Wünschen - oder frei nach Sören Kierkegaard: „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“
Unter 252 Lutherrosen der hölzernen Kassettendecke, vor dem barocken Altar aus dem Jahr 1713, murmeln Hunderte Seelen gemeinsam mit Pfarrer Zikeli das Nizänische Glaubensbekenntnis, 1700 Jahre nach dem ersten ökumenischen Konzil von Nizäa (325), auf dem Bischöfe aus der ganzen damals christianisierten Welt auf Einladung von Kaiser Konstantin die Grundlagen des noch jungen christlichen Glaubens beschlossen.
Den Abschluss des Festgottesdienstes krönte eine Musikmeditation von Organist Klaus Dieter Untch auf der prachtvollen Orgel von Johannes Prause aus dem Jahr 1783. Die Kirchenführung von Untch verpassen leider jene, die der nachmittäglichen Festveranstaltung im Kulturhaus beiwohnen wollen. Dabei lohnt sich ein Detailblick auf das interessante Gotteshaus, immerhin das größte im Burzenland. Wir werden ihn nachholen auf einer Tourismusseite der ADZ und stellen schon mal die Rätselfrage: Wer findet die einzige Deckenkassette, auf der keine Rose, sondern das Porträt des Künstlers prangt?
Identität und Interkulturalität erleben
„Glaubet an das Licht, auf dass ihr des Lichtes Kinder seid“ – wie passend der Spruch über der Kirchentür, durch die die Menschen nach draußen strömen – hinein in die strahlende Herbstsonne! Gleich werden die Tanz-, Musik- und Trachtengruppen stolz durch das Zentrum des Städtchens defilieren, das für zwei Tage wieder den Siebenbürger Sachsen gehört. Aus Bistritz, Sächisch-Regen, Hermannstadt, Schäßburg und Deutschland sind sie angereist, zeigen ihre Fahnen, zeigen, wer sie sind - oder wen sie repräsentieren, denn unter ihnen sind viele Rumänen, die deutsche Schulen besuchen und mit Freude die deutsche Kultur mitfeiern. Auch das ist Freiheit! Interkulturalität erleben.
Passanten winken, Besucher knipsen, Herzen fliegen ihnen entgegen vor dem großen roten Herzen, das als „O“ im heutigen Ortsnamen, Codlea, figuriert.
Die vielen Gesichter der Freiheit
Freiheit zeigt sich in vielen Facetten. Diese einzufangen versuchte Benjamin Jozsa, Geschäftsführer des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), als Moderator der Podiumsdiskussion zum Motto des Sachsentreffens. Auf der Bühne diskutieren: Radu Nebert, Rainer Lehni, I.E. Angela Ganninger, Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland, DFDR-Vorsitzender Dr. Paul-Jürgen Porr, Wiebke Oeser, deutsche Konsulin in Hermannstadt, Ilse Welther, die Vorsitzende der HOG-Verbände, und Konsulent Manfred Schuller, Bundesobmann der Siebenbürger Sachsen in Österreich.
„Früher war Freiheit eine Nische - Familie, Freunde“, hebt Dr. Porr an, der rund ein „halbes Leben in Unfreiheit“ verbringen musste. „Man durfte frei denken – aber was nütze es einem, wenn dem nicht die Freiheit des Handelns folgen konnte“, philosophiert er. Wer hätte gedacht, dass die Freiheit einmal wieder gefährdet sein könnte - durch antidemokratische Kräfte im Parlament. „Freiheit ist ein Gut, das durch Gebrauch wächst, durch Nichtgebrauch dahinschwindet“, zitiert er warnend den deutschen Physiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker.
An die Folgen der Unfreiheit erinnert sich Rainer Lehni, der kurz vor der Wende im März 1989 – noch ahnungslos – mit seinen Eltern ausgewandert ist, zugegeben, mit Tränen in den Augen, bekennt er. In Deutschland musste er erstmal lernen, mit Freiheit umzugehen: Einen gut gefüllten Laden zu betreten. Die Meinung zu sagen. Doch „man lernt die Vorteile der Freiheit schnell schätzen“, weiß Lehni.
An die Freiheit, zu gehen oder zu bleiben, erinnert sich Benjamin Jozsa. Er ist einer der Hiergebliebenen – jenen, denen die Ausgewanderten gelegentlich süffisant den Spitznamen „Zurückgebliebene“ verpassen. Sein ganz persönliches Aha-Erlebnis hatte er jedoch im Kreise gleichaltriger, ausgewanderter Männer, die im Gespräch miteinander beklagten, wieviel ihnen die Auswanderung genommen hatte…
Ilse Welther vergleicht als ehemalige Leistungssport-Handballerin Mentalitätsunterschiede der Trainer, die sich z.B. in unterschiedlichen Disziplinarstrafen manifestierten.
Manfred Schuller hingegen hat die Auswanderung der meisten seiner Landsleute 1944 nach Österreich nicht mehr erlebt. Auf die Frage, was seine Eltern über Unfreiheit erzählten, schockiert er mit der Antwort: „Gar nichts! Deswegen hinken wir ja mit der Aufarbeitung der Geschichte so hinten nach…“
Was die deutsche Botschafterin zum Thema Freiheit zu sagen hatte, lesen Sie (unter anderem) im „Interview der Woche“in der ADZ am 1. Oktober...
Ehre wem Ehre gebührt...
Inzwischen hat sich die Kluft zwischen den Ausgewanderten und Hiergebliebenen geschlossen. Was zählt, ist die Gemeinsamkeit. Für besondere Verdienste um den Zusammenhalt und die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen wird auf dem Sachsentreffen jedes Jahr die Honterusmedaille verliehen – diesmal an den Osteuropa-Historiker Harald Roth, geboren in Schäßburg, seit 2008 Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa in Potsdam. Die humorige Laudatio hält Benjamin Jozsa, der gesteht, dass er „Gott über die Schulter zu schauen“ versuchte, um zu sehen, wie ein Historiker gemacht wird, denn der „Geehrte mag Aufhebens um seine Person überhaupt nicht“ - „stiefmütterlichste Voraussetzungen für eine Laudatio“. „Man nehme also: ein gesundes Mannsbild und blase ihm ein: Respekt vor historischen Quellen und dem Geschriebenen im Allgemeinen, eine enge Freundschaft zu Büchern … und die Liebe zur Heimat, auch wenn Zeitläufe die geographische Ferne zur Heimat mitbrachten. Man gebe eine kräftige Prise trockenen Humors dazu, der dazu führt, dass man Merkwürdigkeiten der Archive, Staats- oder andere, mit Gelassenheit erträgt.“ Heraus kommt eine Vita, bei der die Ehrungen nicht ausbleiben: „Außer der heutigen Honterus-Medaille ist Harald Roth Träger des Ernst-Habermann-Preises, des Georg-Dehio Förderpreises und des Siebenbürgisch-Sächsischen Ehrenpreises. Doch die Ehrung, die dem mit-Herz-und-Seele-Kronstädter wohl am meisten bedeutet hat, war sicherlich die Ehrenbürgerschaft der Stadt Kronstadt im Jahr 2011.“
Die zweite Ehrung versteckt sich im Programm hinter einer „Retrospektive der siebenbürgisch-sächsischen Jugendvereine“. Wie sonst konnte es gelingen, den Mitorganisator höchstpersönlich zu überraschen! Andrea Rost, stv. Vorsitzende des Siebenbürgenforums, macht es sichtlich Vergnügen, dem völlig überrumpelten Winfried Ziegler den Siebenbürgisch-Sächsischen Jugendpreis 2025 ans Revers zu heften, Würdigung seines Einsatzes beim Aufbau der Jugendarbeit im deutschen Forum. Seit seiner eigenen Schulzeit ist „Winfried Ziegler Ratgeber und Anlaufstelle für junge Menschen“, so Rost.
Vom Historikerstreit zum Wunderkreis
Während die Historiker Harald Roth und Thomas Șindilariu noch über „Alternative Wahrheiten: 800 Jahre Deutschordensstaat Grußkumanien“ streiten – meisterhaft geschauspielert, mit mehreren Perspektivwechseln, wobei es u.a. um die Frage ging, ob der Deutsche Orden von den Siebenbürger Sachsen vertrieben wurde, die andernfalls ihre Rechte eingebüßt hätten, vielleicht geschickt instrumentalisiert von König Andreas II., Urheber des Ende 1224 ausgestellten sogenannten „Andreanums“, das die Privilegien der Siebenbürger Sachsen verbriefte... verpassen wir den Dokumentarfilm von Eduard Schneider zum Großen Sachsentreffen 2024. Ähnlich geht es den Besuchern des Theaterstücks auf Sächisch, „Droa Frondjerkniecht“ (drei Hochzeitsgesellen) von Hans Lienert, gespielt von der seit 46 Jahren bestehenden Theatergruppe Geretsried. Die Freiheit, sich zu entscheiden, fällt manchmal schwer.
Krönender Abschluss des Sachsentreffens ist dann der Lauf durch den „Wunderkreis“ – ein alter lokaler Schulbrauch, an den sich manche Teilnehmer noch amüsiert erinnern. Zum Schulfest, gleichzeitig Kronenfest, liefen die Schüler, angeführt von den Kindergartenkindern mit ihren „Tanten“, im Gänsemarsch durch die in die Erde der Schulfestwiese eingegrabene Spirale, begleitet von den Klängen des Postillion-Marsches. Am Ende gab es für jeden einen Kipfel – daher auch der Spitzname „Kipfelmarsch“.
Die Männer aber erwartete eine andere Herausforderung: In der Badehose musste man den Kronenmast erklettern, um von dort oben Hochprozentiges oder Schokolade für die Liebste zu ergattern.
Klettern muss heute niemand mehr. Doch durch den Wunderkreis drängen sich alle begeistert im Gänsemarsch: Erwachsene, Kinder, Gäste. Lachen, Fröhlichkeit, Knipsen - und riesige, fluffige Kipfel, solange der Vorrat reicht.