Ein edles Glas Wein löst Zungen und öffnet Herzen: Zum „Plingg“ langstieliger Gläser mit aromatischem Riesling, Grauburgunder oder Neuburger lässt es sich trefflich über alte Zeiten plaudern, lachen, philosophieren, Freundschaften schließen oder gemeinsam Pläne schmieden. Weinlese, Weinseminar und Weinprobe läuteten am Freitag, den 12. September, das erste Bogeschdorfer Weinfest auf dem Weingut „Terra Regis“ ein. Am nächsten Tag geht es auf den Friedhof, wo die Geschichte des Weinguts begann: 2006, als der gerade 70 Jahre alt gewordene Heinrich Gaber, der die Gräber seiner Vorfahren besuchte, vom Hügel aufs Dorf herunterschaute und seine Söhne mit der Bemerkung schockierte, er wolle alles Land, das einmal der Familie gehört hatte, wiederhaben… Das war vor fast 20 Jahren. Inzwischen führt Sohn Helmuth in Bogeschdorf aus der Ferne ein pros-perierendes Weingut plus Bio-Landwirtschaft auf rund 250 Hektar. Enkel Konstantin hat die letzten beiden Jahre als Geschäftsführer vor Ort verbracht. Und es gibt weitere, ehrgeizige Pläne...
Viel mehr als nur fröhliches Weintrinken ist am Wochenende vom 12. bis 14. September in dem traditionellen sächsischen Weinbaudorf angesagt: Neben der Promovierung lokaler Weinkultur und Enotourismus bietet das Weinfest, das künftig jährlich stattfinden soll, vor allem Gelegenheit, die sächsische Kultur wieder aufleben zu lassen, sächsisches Brauchtum zu feiern und ausgelassen zu tanzen. Gemeinsam tummeln sich ausgewanderte und hiesige Siebenbürger Sachsen mit ungarischen und rumänischen Trachtenträgern und den prachtvoll, in rot- oder grünsamtene Kutten gekleideten, ungarischen „Weinkavalieren“ auf dem Hof von Terra Regis. Die ganze Straße entlang bis zur Kirchenburg hinunter duftet es an den Ständen draußen nach allerlei Köstlichkeiten: gekochte Maiskolben, Mici… Drinnen im Hof: Gulaschkanone, Krautsalat, Kartoffelbrot und Hanklich, frisch aus dem Ofen. Das kleine Bogeschdorf/B²gaciu ist zum Leben erwacht – und feiert!
Was es alles zu feiern gibt...
Gründe zum Feiern gibt es viele – allen voran die Gemeinsamkeit. Werner Kloos, der stv. Bundesvorsitzende des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und Ehrenvorsitzende des Landesverbandes Bayern, ist mit stolzen 58 Leuten aus Deutschland angereist. Mit von der Partie: die Siebenbürgisch-Sächsische Jugendtanzgruppe (SJD), die Tanzgruppe und die Blaskapelle der „Projektgruppe Haferland“ aus Bayern. Im Hof des Weinguts bieten sie mit der Tanzgruppe des Deutschen Forums und der Lehrertanzgruppe aus Hermannstadt/Sibiu ein schmissig-schwungvolles Programm, zusammen mit rumänischen und ungarischen Formationen und Roma-Musikern - ein Fest für alle, die in Siebenbürgen seit Jahrhunderten zusammenleben! Am Abend sorgt die Band „Trio Saxones“ für lockere Stimmung. Jetzt können alle das Tanzbein schwingen.
Grund zum Feiern liefert aber auch die sächsische Weintradition der Region: Nicht nur, dass das siebenbürgische Weinland auf dem Breitengrad der Toskana und von Bordeaux liegt, also in klimatisch bester Region für teure Weine. Weltweit einzigartig ist eine über 500 Jahre durchgehende Dokumentation im Mediascher Stadtbuch der evangelischen Kirche, wo die Quantitäten, die Qualität und der Weinrichtpreis notiert sind. Wein, auch aus Bogeschdorf, wurde überregional verkauft – gar bis Ulm, Augsburg und Nürnberg – und galt in der Region als Ersatzzahlungsmittel. Einzigartig ist aber auch die weltweit erste Fachschule für Weinbau der Familie Ambrosi in Mediasch, erzählt Helmuth Gaber auf der Weinprobe (mehr dazu in der ADZ, 20. August: „Mentalitätswandel, Weinfest, ökumenisches Mitein-ander. Eine Vision für Bogeschdorf gewinnt an Kontur“).
Wein hat Bogeschdorf reich gemacht: Kein Wunder, kostete doch ein Fass zehn Gulden – so viel wie zwei Ochsenpaare.
Wohlstand dank Weinbau
Den Wohlstand sieht man auch an dem kostbaren, 507 Jahre alten Marienaltar, erklärt Historiker Martin Rill am nächsten Tag in der Kirche. Geschaffen wurde er von keinem geringeren als Johannes Stoß, Sohn des berühmten Veit Stoß, der sich in Schäßburg/Sighi{oara niedergelassen hatte. 27 Altäre in der Region stammen aus dessen Werkstatt. Bei dem Bogeschdorfer Flügelaltar handelt es sich um einen sogenannten Festtagsaltar, der nur an hohen Feiertagen geöffnet wurde. Zur Feier des Tages entfaltet Konstantin Gaber die Flügel. Die biblischen Szenen des Altars, aber auch der Wandmalerei, sollten den Gläubigen die Bibelgeschichte näher bringen, denn vor Martin Luther gab es das heilige Buch nur auf Lateinisch. Mit der Reformation mussten die Malereien dann übertüncht werden, so auch in Bogeschdorf – nur ihre Altäre ließen sich die Siebenbürger Sachsen nicht nehmen!
1421 wurde einer Inschrift nach der Chor der Kirche fertiggestellt, und weil stets von Osten nach Westen gebaut wurde, bezeichnet dies den Baubeginn. An den Bögen der steinernen Portale, verziert mit Weinreben, lässt sich die Bedeutung des Weinbaus ermessen. Ein fast identisches Portal gibt es in Würzburg, was darauf schließen lässt, dass der Steinmetz wahrscheinlich von dort stammt. Kostbar auch das große Gestühl von Johannes Reichmuth. Auf dem kleinen Gestühl verweist eine Inschrift auf die Pest, die auch in Bogeschdorf gewütet hat. „Seither mussten die Friedhöfe auf die Hügel ausgelagert werden“, erklärt Rill. An jenen Ort, an dem Heinrich Gaber 2006 seinen Blick ins Land schweifen ließ, und wo alles begann...
Friedhofsgang mit Anekdoten
Über Stock und Stein wandert eine Gruppe Sachsen zum Friedhof. Helmuth Gaber gibt unterwegs Anekdoten zum Besten, etwa von dem Brauch, dass der älteste Junggeselle an Peter und Paul auf den am Tanzplatz hinter der Kirche aufgestellten Mast klettern und vor allen eine Rede halten musste – und weil dies so gefürchtet war, wurde vorher noch ganz schnell ganz viel geheiratet! Oder von der Regel, dass die Einwohner der Großgasse sich nicht mit jenen der viel ärmeren Kleingasse verheiraten durften – allenfalls der Dritt- oder Viertgeborene. Heiraten war ein Geschäft – doch es gab die Möglichkeit, eine gute Partie zu kaufen. Am Grab von Anna Halmen erzählt er dann die Geschichte mit dem Goldschatz: 1847 fand eine 17-jährige Sächsin namens Anna beim Umgraben eines Weinbergs eine hölzerne Kiste. Was darin war? „62 Kilogramm Gold! Münzen, Kirchengefäße und Schmuck, wahrscheinlich die vergrabene Beute einer plündernden Türkenkohorte“, schmunzelt Gaber. Der Schatz ermöglichte Anna die Einheirat in die einflussreichste Familie des Dorfs, die Haller-Dynastie. In der dritten Generation heiratete eine Anna Haller dann einen Heinrich Gaber „und begründete damit den Status, den unsere Familie im Dorf neben den Hallers früher hatte“ (siehe auch ADZ, 9. Juli 2018:„Vom Kokelwein zum Marienschrein. Auf den Spuren der sächsischen Weinbauer am Königsboden in Bogeschdorf“), erklärt Helmuth.
Ein Erfolg, der auf Wiederholung hoffen lässt
Mehr als 200 Teilnehmer und über 2000 Besucher genossen das abwechslungsreiche dreitägige Kulturprogramm bei bestem Herbstwetter – darunter hochrangige Gäste aus der deutschen und rumänischen Politik, Diplomaten, Vertreter des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, etwa der Vorsitzende Dr. Paul-Jürgen Porr und Geschäftsführer Benjamin Jozsa, sowie des Vereins der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, und der Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Reinhart Guib. Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, überbrachte die Grüße der Bundesregierung und von Bundeskanzler Friedrich Merz, nutzte aber auch spontan die Gelegenheit für ein starkes Signal nach Bukarest vor dem Hintergrund der drohenden Beschneidung der Minderheitenrechte: Explizit dankte er den bisherigen rumänischen Regierungen für ihre vorbildliche Minderheitenpolitik, verbunden mit der Hoffnung, dass auch die neue Regierung diese fortsetzten würde (siehe ADZ vom 16. September: „Rumänien noch Musterbeispiel im Europarat“).
Wie es zu der Idee mit dem Weinfest kam, erzählt Helmuth Gaber. Es sei „nach über 700 Jahren Weintradition der Siebenbürger Sachsen“ jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen: Entstanden war die Idee aus dem Wunsch von Werner Kloos nach einem Weinseminar für die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend aus Deutschland. Ein Grund, das Ganze dann in größerem Stil aufzuziehen, ist die relativ neue Kooperation mit drei Partnern vor Ort, die bei der lokalen Produktion und Vermarktung helfen sollen, denn es sei bisher schwierig gewesen, den in Deutschland hochgelobten Wein von Terra Regis vor Ort an den Mann zu bringen. Die neuen Partner, Lazlo Fülöp, Csaba und Levente Czirmai, entstammen einer alteingesessene ungarischen Weinbauern- und Landwirte-Familie und traten mit ihrem Brand „YWINE“ als Mitorganisatoren des Weinfestes in Erscheinung. „Den 2024er Jahrgang haben sie letztes Jahr schon produziert, jetzt sind sie dabei, den 2025er auszubauen“, erzählt Gaber und fährt fort,„da sagte ich zu meiner Frau Alexandra und den Söhnen: Wir müssen denen zusätzlich auf die Sprünge helfen – und ein großes Weinfest lancieren!“
Nach dem Fest zeigt er sich begeistert: „Der große Erfolg spornt an und lässt auf die Fortsetzung des Weinfestes im August 2026 hoffen.“
Vom Geist des Weins zum Geistlichen
Kein Sachsenfest ohne Gottesdienst! Den zelebriert Pfarrer Wolfgang Arvay am Sonntag vor dem kostbaren Bogeschdorfer Marienaltar. Die Kirche ist voll wie schon lange nicht mehr – und fast alle in Tracht! Wie stolze Königinnen sitzen die unverheirateten Mädchen mit Borten, umschlungen mit reichbestickten Bändern, auf den lehnenlosen vorderen Bänken. Auf der Orgelempore hat die Blaskapelle Position bezogen, von der anderen beäugen junge Sachsen, ihre schwarzen Hüte hinter sich an die Wand gepinnt, die Bräute in spe – fast wie früher! Die Orgel erweist sich als bespielbar, Organistin Renate Klemm gibt sich alle Mühe, unterstützt von den Bläsern. Es wird wieder gesungen und gebetet hier, wie seit Langem nicht mehr. Aber vielleicht bald wieder: Denn Familie Gaber hat es nach 19 Jahren endlich geschafft, das Einverständnis zur Pacht des Komplexes um die Kirchenburg zu erhalten. Nach aktuellem Plan soll dort ein ökumenisches Benediktiner-Kloster entstehen. Als Planungsvorhut ist aus einem Kloster in Kroatien Pater [arbel angereist, der aus der Gegend der kroatischen Minderheit in Rumänien um Carașova stammt.
Nach dem Gottesdienst lassen sich die Trachtenträger vor dem Seitenportal ablichten. Pittoresk wirkt eine Männergruppe in rot-schwarzen und grünen samtenen Kutten mit entsprechender Fahne: die Weinkavaliere des Heiligen Martin. Nein, kein religiöser Orden– sondern ein ungarischer Verein aus der Region Târnaveni zur Promovierung von Wein.
Besonderes Highlight ist am Nachmittag die Vorführung des „Jungfrauentanzes um Mitternacht“, einem Brauch aus Stolzenburg/Slimnic, in der Bogeschdorfer Kirche. Er markiert als Höhepunkt der Hochzeit den Abschied der Braut von der Jugend und die Übergabe der Verantwortung für sie vom Vater auf den Ehemann. Gegen eine Geldspende tanzt die Braut der Reihe nach mit Vater, Schwiegervater und allen spendewilligen Männern, zu allerletzt mit dem Bräutigam. Der Obulus fließt in einen Topf, der mit jedem hineinklingelnden Geldstück mit dem Löffel angeschlagen wird, dazu ein Segensspruch. Der auch „Windeltanz“ genannte Brauch soll dem jungen Paar eine erste finanzielle Unterstützung bieten. Der Bräutigam wird dann zum „Abschied“ von den Junggesellen in die Höhe geworfen. Allseitig herzliches Lachen. Dann gibt es Hanklich und Wein – mitten in der Kirche! Wie nahe liegen doch Geistliches, Geistiges, Seligkeit und Weinseligkeit manchmal beieiander - zumindest hier, in Bogeschdorf.