Vom Kronstädter Bachchor

Bericht über eine eingeschworene Singgemeinschaft

Der Dirigent Steffen Schlandt in Aktion | Fotos: Bela Benedek

Bachs Moll-Messe in der Schwarzen Kirche

„Wenn ihr nicht zu Hause selbst übt, wird das nichts werden!“ In einem seltenen Moment der Enttäuschung wendet sich Steffen Schlandt, der Dirigent, an seine Chormitglieder. Es werden Links zur Probenhilfe verschickt, außerdem stehen Sonderproben, „Turbo“ genannt, einmal im Monat am Sonntag an. Ein ganzes Fleißjahr haben sie drangegeben, dann war es endlich so weit. Am 11. und am 12. Juli dieses Jahres hat der Kronstädter Bachchor gemeinsam mit dem Kammerchor Lux Aurumque aus Miercurea Ciuc/ Csíkszereda die h-Moll-Messe BWV 232 von Johann Sebastian Bach gesungen. Was für eine Herausforderung, was für eine musikalische und logistische Leistung! Da es im Blätterwald anschließend nicht rauschte, sei hier eine späte Nachbesprechung erlaubt.

Der Komponist hat sein Werk zu Lebzeiten nie vollständig gehört. Warum hat er ein solches Stück überhaupt geschrieben, das alle Grenzen sprengt? Schon das erste Kyrie eleison dauert eine Viertelstunde, das zweite fordert harmonische Kenntnisse, die ein Chor normalerweise gar nicht mit sich bringt. Und so entwickelt sich das Werk von Nummer zu Nummer. Stimmlich, technisch, von der Ausdauer her, ist die h-Moll-Messe  ein unerreichtes Stück Musik, vergleichbar mit einem Achttausender in der Bergwelt. Nur: den Aufstieg zum Himalaja kann man abbrechen, Umkehr ist möglich. Das war bei diesem Projekt anders: nach insgesamt 36 Proben erreichte das vereinigte Ensemble, zu dem fünf Solisten und das auf barocken Instrumenten agierende Orchester – insgesamt 130 Mitwirkende – gehörten, den Gipfel. Der Dirigent leitete den Abend konzentriert und souverän, dem Chor wie auch dem Orchester freundlich zugewandt, ein Charismatiker, dem man fast alles abnahm. Laut und grausam das „Crucifixus“, strahlend und schwungvoll das „Et resurrexit“, das sich vielleicht direkter hätte anschließen können, ohne Rücksicht auf Atempausen des Chores. Die Solistinnen Renáta Gebe-Fügi, Melinda Samson und Susanne Langner waren ihren schwierigen Partien gewachsen. In besonderer Erinnerung wird die Altarie „Agnus Dei“ bleiben, die Susanne Langner so anrührend wie stilecht gestaltete. Das Orchester farbig und ungewöhnlich klingend, auf barocken Blasinstrumenten glänzend, bestand aus Berufsmusikern, die sich der Alten Musik mit Haut und Haaren verschrieben haben. Noch nie war hierzulande ein Corno da Caccia oder ein Trompetenensemble auf originalgetreuen Instrumenten der Bachzeit zu hören. Welch eine Klangfarbe! Einzig die solistischen Männerstimmen ließen zu wünschen übrig. Entschuldigend ist dazu anzumerken, dass der eingeladene Tenor verhindert war, sein Ersatz durch ein privates Malheur nicht anreisten konnte und somit die dritte Wahl kurzfristig einsprang, und das bei einer so herausfordernden Rolle! Das Schwergewicht in dieser Messe trägt der Chor. Das vereinigte Ensemble aus zwei Laienchören hat dies über alles Erwarten gemeistert. Die Begeisterung verlieh ihnen Flügel, die über alle Schwierigkeiten hinwegtrugen. Bravo! sagt die Verfasserin dieser Zeilen noch heute, denn sie hatte als Orchesterersatz übers Jahr die Korrepetition beim Kronstädter Bachchor übernommen und durfte von einem privilegierten Platz aus das Ergebnis anhören.

Dem Publikum wurde an diesem Abend viel abverlangt: zwei Stunden Musik, oft kompliziert und schwer durchhörbar, Melodien und Themen, die man sich schwer merken kann, vor allem übermenschliche Dimensionen! Bachs höchste Kunst, ohne Rücksicht auf Hörende und nicht versierte Ausführende. Einzig das Ende hätte man sich anders gewünscht. „Dona nobis pacem“, in unseren Tagen eine brennend aktuelle Anrufung Gottes, ein Abschluss im Vollen, dem die Solisten sich hätten singend anschließen können, anstatt stumm vor dem Ensemble zu verharren. Kaum war der letzte D-Dur Akkord verklungen, die Apotheose erreicht, brandete tosender Applaus in der Kirche auf. Ja, man war am Finale angelangt, viele Zuhörenden wirkten wie erlöst, aber ohne verstanden zu haben, was sie da wirklich erlebt hatten. „Verleih uns Frieden“, nach zwei Stunden mit Johann Sebastian Bach durch alle Höhen und Tiefen der Musik wie auch der Texte, das hätte in manchen von uns mit einem Augenblick der Stille ganz anders nachgeklungen.

Wenn Sie noch mehr Bach erleben wollen, dann freuen Sie sich auf den kommenden Dezember. Der Kronstädter Bachchor wird das Weihnachtsoratorium proben und insgesamt dreimal zur Aufführung bringen. Oder möchten Sie sogar mitsingen, im begeisterten und begeisternden Ensemble dabei sein? Dann kontaktieren Sie doch den Dirigenten oder eines der vierzig Chormitglieder und probieren Sie es! Umkehr ist möglich, sollte das Gepäck zu schwer werden.