Von der Drehscheibe für Sklavenhandel zum Meeresweltenkarussell

Nantes – eine Großstadt am Wasser

Wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt ist das „Schloss der Herzöge der Bretagne“.

Ein fahrender Elefant, groß wie ein Haus, der mit seinem Rüssel Wasser verspritzt | Fotos: der Verfasser

Anne de Bretagne

Wer sich Nantes als nettes französisches Provinzstädtchen mit bekanntem Bretagne-Flair vorstellt, liegt falsch. Statt einer Crêperie neben der nächsten gibt es hier Gastronomie aus aller Welt. Statt 300.000 Einwohnern, wie man vorher gegoogelt hatte, leben in der Stadt im Departement Loire-Atlantik tatsächlich 700.000 Menschen (offiziell als Metropolregion Nantes). Und so, wie eine Großstadt, fühlt sie sich für den Besucher auch an. Eine Großstadt, die vom Wasser geprägt wird. Denn während das Meer etwa 60 Kilometer entfernt ist, fließen durch Nantes einerseits die breite Loire und andererseits die ebenfalls beeindruckende Erdre. Beide verfügen über ihre eigenen Inseln im Zentrum der Stadt.

Die Stadt ist weitläufig, aber mit Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr, am Wochenende gratis, gut zu durchqueren. Der Autoverkehr im Zentrum ist dagegen stark eingeschränkt. Aufgrund des durchlebten Strukturwandels – Nantes war früher Standort eines bedeutenden Hafens und damit verbundener Industrie – verfügt sie über Platz in zentraler Lage, der modern und kreativ genutzt wird. Soziale Probleme, etwa Obdachlosigkeit und Drogenhandel bzw. -konsum, sind an verschiedenen Stellen sichtbar, aber die Einheimischen scheinen einen souveränen Umgang damit zu pflegen. Die Atmosphäre insgesamt, sowie der Umgang mit Touristen ist freundlich, entgegen des Klischees kommt man in den meisten Situationen mit Englisch gut zurecht. 

Stadtmuseum im „Schloss der Herzöge der Bretagne“ 

Wer mit dem Zug nach Nantes reist – zwei Stunden Fahrtzeit mit dem TGV aus Paris –, braucht nicht lange laufen, um zur wichtigsten Sehenswürdigkeit zu gelangen: dem „Schloss der Herzöge der Bretagne“. Wie der Name sagt, residierten hier die bretonischen Herrscher in einer Zeit, in der das Herzogtum Bretagne noch relativ autonom gegenüber dem französischen König war, bis es 1532 diesen Status verlor. Prominenteste Bewohnerin war Anne, die 1488 mit 11 Jahren zur Herzogin der Bretagne und dann später mit zwei französischen Königen verheiratet wurde und so zusätzlich den Titel „Königin von Frankreich“ trug, ehe sie bereits mit 37 starb. Für die lokale Bevölkerung bleibt sie jedoch „Anne de Bretagne“, ein Symbol der bretonischen Unabhängigkeit.

Das Schloss beherbergt heute ein beeindruckendes Museum zur Stadtgeschichte, das für jeden historisch interessierten Besucher ein Muss darstellt. Wer kein Französisch versteht, sollte sich am Eingang einen Audio-Guide aushändigen lassen, denn die meisten Beschreibungen sind nur in französischer Sprache. Die bauliche Entwicklung des Schlosses, mit ersten Elementen im 13. Jahrhundert, lässt sich darin nachvollziehen. Auf den Verteidigungsmauern der Anlage kann man auch ohne Eintrittskarte entlang laufen und sich einen ersten Überblick über die Umgebung verschaffen. Gegenüber des Eingangs liegt – einmal den Burggraben, der heute als frei zugänglicher Grüngürtel zum Entspannen einlädt, überquert – die zentrale Touristeninformation der Stadt.

Ein Schwerpunkt des Museums liegt auf der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt als maritimem Industrie- und Handelsstandort mit einem eigenen Kapitel zur Rolle von Nantes im internationalen Sklavenhandel. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Nantes im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts Frankreichs bedeutendster Standort für Schiffe war, die Waren nach Westafrika brachten, um dafür Menschen zu „erwerben“ und diese zur Plantagenarbeit in die Antillen zu verfrachten? Wie diese afrikanischen Gefangenen transportiert wurden, illustrieren originale detaillierte „Frachtpläne“ der „La Marie-Séraphique“ für eine Überfahrt im Jahr 1769. 

Île de Nantes – eine Insel im Zentrum

Der Hafen von Nantes hat mit der Zeit seine Bedeutung verloren, bzw. wurde die Loire hinunter an die Atlantikküste nach St. Nazaire verlegt, was vermutlich den immer größeren Containerschiffen zu Gute kommt. Das Erbe des Hafens ist jedoch in Nantes geblieben und prägt diese Stadt heute auf andere Art und Weise. Bestes Beispiel: Die Île de Nantes mit ihren fabelhaften Maschinen. Auf dem ehemaligen Werftgelände im Osten der Loireinsel befindet sich heute die – neben dem Schloss – größte Touristenattraktion der Stadt. 

Ein fahrender Elefant, groß wie ein mehrstöckiges Haus, der mit seinem Rüssel Wasser in Richtung der Schaulustigen verspritzt? Ja, da kann man oben drauf mitfahren. Ein Meeresweltenkarussell auf drei Ebenen voller mehr oder weniger realistischer Unterwasserkreaturen? Klar, warum nicht. Dazu eine Halle mit Tier-Maschinen-Kreationen, welche bei Besichtigung zum Leben erweckt werden können. Aha. Die „Machines de l’île“ sind ein einzigartiges Kunstprojekt, welches laut Fremdenverkehrsamt „die imaginäre Welt von Jules Verne, das mechanische Universum von Leonardo da Vinci und die industrielle Geschichte Nantes verschmelzen lässt“. Der Autor Jules Verne („Reise zum Mittelpunkt der Erde“ u. a.) ist in Nantes geboren und aufgewachsen und – nach Anne de Bretagne – vielleicht zweit berühmteste Persönlichkeit der Stadt.

Kunst und Kultur finden sich an vielen Orten dieser seit der Jahrtausendwende komplett neu gestalteten Gegend, Elemente der industriellen Vergangenheit wurden dabei bewahrt und transformiert. Aus einer ehemaligen Bananenlagerhalle ist beispielsweise eine moderne Kunstgalerie geworden. Das Gelände ist besonders attraktiv für Besucher mit Kindern, bietet es doch viel freie Fläche ohne motorisierten Verkehr – von Elefanten mal abgesehen – und innovative Spielgelegenheiten, zum Beispiel in Form einer Mondlandschaft mit Trampolin-Kratern. In der großräumigen Cantine du Voyage kann man sich mit Essen und Getränken versorgen und mit Blick auf den Fluss – oder den zum Restaurant gehörigen Gemüsegarten – entspannen.

Stadt der sportlichen Aktivitäten

Von der einen Insel zur anderen, von der Loire zur Erdre: Etwas nördlich des Stadtzentrums liegt die Île de Versailles, eine kleine grüne Oase in der Großstadt. Wer will, kann hier zur Entspannung durch den japanischen Garten schlendern oder sich ein Boot mieten. Die größeren Ausflugsboote starten ihre geführten Touren auf der Erdre ebenfalls ganz in der Nähe. Die Strecke führt Richtung Norden entlang der verschiedenen Stadtviertel Nantes, vorbei an herrschaftlichen Stadtvillen und dichten Waldgebieten sowie zahlreichen Wassersportanlagen – deren Nutzer, von jung bis alt, ebenfalls auf dem Fluss unterwegs sind. 

Neben Wassersport ist Nantes natürlich bekannt für Fußball, auch wenn die erfolgreiche Zeit der „Kanarienvögel“ (FC Nantes), mit denen der Rumäne Viorel Moldovan 2001 französischer Meister wurde, schon etwas zurück liegt. Aktuell haben ihnen die Vereinskollegen der Handballsparte den Rang abgelaufen, sie erreichten 2025 das Halbfinale der Champions League.

Wer noch ein bisschen am Wasser bleiben will, der kann sich ein Fahrrad mieten und an der Loire entlang radeln. Der Loire-Radweg, Teil des Europäischen Radwanderwegs Nr. 6 vom Atlantik bis ans Schwarze Meer, bietet dafür beste Voraussetzungen. Fährt man etwa aus dem Zentrum in östliche Richtung, kommt man relativ schnell aus der Stadt raus und ist danach größtenteils vom Autoverkehr ungestört. Nach etwa 20 Kilometern erreicht man den kleinen Ort Mauves-sur-Loire. Der Rückweg ist theoretisch auch per Zug möglich. 

Ein ebenfalls beliebter Ausflug ist die – nur im Sommer angebotene – Bootstour auf der Loire bis zur Mündung in den Atlantik bei Saint Nazaire (etwa 60 km). Die Strecke wird gesäumt von 33 Outdoor-Kunstwerken und kann natürlich, bei entsprechender Kondition, auch mit dem Fahrrad auf oben genanntem Radwanderweg zurückgelegt werden.

Bummel entlang der grünen Linie

Allerdings ist es definitiv nicht so, dass man mit Ausflügen aus Nantes heraus die Zeit füllen müsste. Wenn man ca. eine Woche Zeit hat, findet man mehr als genug Aktivitäten in der Stadt. Dafür kann man einfach der grünen Linie auf dem Asphalt folgen, welche von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zu den wichtigen Kulturorten führt, und zwischendurch Stopps in großartigen Patisserien  oder gemütlichen Brasserien einlegen. 

Nur die Hauptmahlzeiten sollten gut geplant sein, denn die Küchen sind in der Regel nachmittags zu, das Zeitfenster fürs Mittagessen ist recht klein. Wer sich selbst versorgen möchte, kann durch den Talensac-Markt stöbern, wo man jede Menge saisonale regionale Produkte findet.

Früher oder später, spätestens bevor man sich zur Abreise wieder zum Bahnhof begibt, führt einen der Weg in den dem Haupteingang des Bahnhofs gegenüber liegenden Jardin des Plantes/Botanischen Garten. Über 10.000 Arten von Pflanzen haben hier ihr Zuhause, dazu kreativ in die Landschaft integrierte Kunstwerke, wie etwa die „gigantische Bank“, unter der Besucher hindurch spazieren können. Die Cafés mit Tischen im Grünen und Spielplätzen in Sichtweite sind besonders attraktiv für Familien und alle, die eine kurze Auszeit vom lebhaften Stadtleben brauchen. Nur wer zum Zug muss, muss sich rechtzeitig losreißen.