Wege entstehen im Gehen

Rezension der Festschrift zu 30 Jahre Ordination der Frauen in der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien

Seit diesem Jahr auch auf ENGLISCH erhältlich: „Paths Take Shape As You Walk“, ISBN: 978-606-9685-57-0 Das Buch liegt im Kiosk der Evangelischen Stadtpfarrkirche in Hermannstadt auf.

Mit Festschriften ist es wie mit Grußworten – sie sind bisweilen sehr bemüht und uninspiriert, tun keinem weh - und sind zum Gähnen langweilig. Nicht so diese Festschrift der Evangelischen Kirche A.B. (EKR) in Rumänien! Sie ist mitreißend und packend vom ersten bis zum letzten Buchstaben. Darum herzlichen Glückwunsch nicht nur zum 30-jährigen Jubiläum der Frauenordination, sondern auch zu dieser gelungenen Publikation!

„Wege entstehen im Gehen“ ist ein Stück Zeit- und Kulturgeschichte Siebenbürgens.  In fünf Kapiteln lässt Elfriede Dörr einfach die Frauen selbst zu Wort kommen. Sie erzählen von ihren inneren und äußeren Kämpfen, von ihren Selbstzweifeln und Hoffnungen, ihren Verletzungen, Enttäuschungen und Erfolgen. 

Im ersten Kapitel „Ausgebremste Berufungen“ finden wir drei Porträts und zwei Interviews mit Frauen, die als Wegbereiterinnen der Frauenordination gelten. Seit den 30er Jahren stand Frauen das Theologiestudium offen. In den 50ern war es der kommunistische Staat, der ihnen den Zugang zum Pfarramt verwehrte. Dennoch sind sie ihrer Berufung gefolgt und haben auf Umwegen ihre Rolle innerhalb oder außerhalb der Kirche gefunden. Die Mär, dass keine Gemeinde eine Frau als Pfarrerin anstellen wolle, wird in jeder dieser empathisch geschilderten Biografien enttarnt.

Als 1989 wieder zwei Frauen Theologie studierten, war nicht klar, welche berufliche Laufbahn sie würden einschlagen können. 1994 endlich fasste die Landeskirchenversammlung (LKV) den offiziellen Beschluss zur Ordination von Frauen und zu ihrer rechtlichen Gleichstellung mit männlichen Pfarrern. 1996 dann konnte der Bischof der EKR in Rumänien die erste Frau ins geistliche Amt einführen. Wie sie ihr Pfarramt verstehen und ausfüllen, welche Resonanz sie erhalten, welche Kämpfe sie auszustehen haben und wie sich ihre Kirche in den letzten 30 Jahren entwickelt hat, erzählen fünf ordinierte Pfarrerinnen der EKR im Kapitel „Auf verschiedenen Wegen“. 

Nicht alle Frauen, die sich in der Kirche engagieren wollen, streben das ordinierte Amt an. Einige finden in pädagogischen oder diakonischen Berufen ihre Bestimmung, andere sind ehrenamtlich aktiv. Mit den Pfarrerinnen teilen sie den Glauben an Jesus Christus, der alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Ethnie oder Hautfarbe in seine Nachfolge ruft. Im Kapitel „Wege der Vielfalt“ werden die Frauen gewürdigt, ohne die die Pfarrerinnen und Pfarrer ihren Dienst nicht versehen könnten.

Das Kapitel „Die Wege anderer“ schlägt die Brücke zu den anderen Kirchen Rumäniens. Auch hier gibt es die Sehnsucht der Frauen nach dem ordinierten Amt und den Wunsch, aus der Unsichtbarkeit herauszutreten. Denn „Bischöfe können auf die Frauen nicht verzichten“ – das gilt auch für die noch stärker patriarchal geprägten Konfessionen.

Das Schlusskapitel schlägt den Bogen in die weltweite Ökumene. Immerhin gibt es in 90 Prozent der Kirchen im lutherischen Weltbund inzwischen die Frauenordination. In manchen hat man sich auch schon an Bischöfinnen gewöhnt.

Wege entstehen im Gehen, und die EKR in Rumänien ist zusammen mit Schwesterkirchen im In- und Ausland auf einem guten Weg. Als ich vor 35 Jahren in der westfälischen Kirche ordiniert wurde, war die volle Teilhabe der Frauen an den Leitungsämtern unserer Kirche noch nicht gewährleistet. Auch in meiner Biografie gab es Aufbrüche und Auseinandersetzungen, die denen der Schwestern in Rumänien sehr ähneln. Dieses Buch ruft sie mir in Erinnerung und schafft damit eine tiefe schwesterliche Verbundenheit. Aus dem Erinnern ziehen wir Kraft für Gegenwart und Zukunft.  

Darum ist dieses Buch mehr als ein Stück Zeit- und Kulturgeschichte Siebenbürgens. Es dokumentiert das ständige Ringen von Frauen in der weltweiten Kirche Jesu Christi um die volle Teilhabe. Gott schuf den Menschen als Mann und Frau. Das ermutigt Mädchen und Frauen weltweit, ihre Gaben und Fähigkeiten in Kirche und Gesellschaft einzubringen und sich dabei nicht mit halben Sachen zufrieden zu geben. Dieser Weg ist beschritten. Lasst ihn uns gemeinsam weitergehen!


Annette Muhr-Nelson, Ordination 1989 in Dortmund, von 1990-2004 Gemeindepfarrerin in Schwerte (Westfalen), zuletzt von 2015-2023 Leiterin des Amtes für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe). Sie hat seit 2005 mehrfach Siebenbürgen besucht und steht in Austausch mit der Diakonie, der Frauenarbeit und der Ökumenearbeit der EKR.