„Kultur ist nicht Luxus, sie ist Voraussetzung von Demokratie“ – ein Satz, den Richard von Weizsäcker während seiner Amtszeit als Bundespräsident immer wieder betonte. In Zeiten wachsender Austerität stellt sich jedoch die Frage, ob Kürzungen im Kulturbereich nicht auch eine Einschränkung demokratischer Teilhabe bedeuten.
Wenn Kultur als verzichtbar gilt, weil sie nicht unmittelbar als systemrelevant erscheint, gerät ihre Funktion als Trägerin von Öffentlichkeit, Reflexion und sozialem Zusammenhalt aus dem Blick. Gleichzeitig bleibt zu klären, in welchem Maß Kultur überhaupt demokratische Werte vermitteln kann, wenn sie von staatlicher Finanzierung und den politischen Launen der Regierenden abhängig ist.
Kulturelle Grundversorgung –Anspruch & Wirklichkeit
Der Begriff der kulturellen Grundversorgung ist in der kulturpolitischen Debatte umstritten, aber rechtlich verankert. Dieser ist erstens in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Artikel 27 verankert: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“ Aufgenommen wurde das Konzept auch in dem Sozialpakt der Vereinigten Nationen von 1966, aber auch in der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt von 2025. Die letztere schützt das Recht auf eigenständige Kulturpolitik und verpflichtet Staaten zur Förderung kultureller Ausdrucksformen, künstlerischer Freiheit und kultureller Infrastruktur. Damit sollte sichergestellt werden, dass Kultur nicht den Marktkräften allein überlassen bleibt, sondern als demokratisches Gut geschützt wird. Da-durch kann behauptet werden: Kultur ist ein Menschenrecht, eine politische Aufgabe und zugleich ein sozialer Prozess. So kann auch die Rolle des Staates als solcher beschrieben werden: der Staat hat den Auftrag eine flächendeckende, vielfältige und zugängliche Kulturinfrastruktur bereitzustellen – von Bibliotheken über Theater bis hin zu kulturellen Ausbildungseinrichtungen und allen anderen denkbaren Einrichtungen, die der kulturellen Förderung dienen – um dadurch einen uneingeschränkten Zugang, unabhängig von Herkunft, Wohnort, Einkommen oder Ausbildung der Nutznießer, zu sichern.
Kultur ist ein Menschenrecht,
eine politische Aufgabe und zugleich
ein sozialer Prozess.
Trotz dieser normativen Grundlagen bleibt der Begriff „kulturelle Grundversorgung“ in der Praxis problematisch. Kritiker bemängeln seine Unschärfe und warnen davor, dass er zur politischen Floskel verkommt. Weiterhin wird befürchtet, dass durch schwer zu durchbrechende qualitative und quantitative Normierungen auf der Ebene der Mittel- und Förderungsverwaltung die kulturelle Ausdrucksfreiheit eingegrenzt wird und durch starre Förderlogiken in bürokratische Raster gepresst wird, die wenig Raum für Innovation und Vielfalt lassen. Zugleich dreht sich öfters die Debatte um die zur Verfügung stehenden Fördermittel im Spannungsfeld zwischen dem, was unter Hochkultur und Alltagskultur verstanden wird. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die mögliche Instrumentalisierung der Kulturförderung zu politischen Zwecken. Weiterhin weisen Kritiker auf die Tatsache hin, dass in Zeiten von Krisen der Kulturbereich zugunsten von Sozialförderungen, Infrastruktur, Wirtschaftsförderungen usw. immer wieder benachteiligt wird. Die zentrale Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Wie viel ist einer Gesellschaft Kultur tatsächlich wert?
Zwischen Gemeinwohl und Marktlogik
Seit den Anfängen staatlicher Kulturförderung besteht ein Spannungsfeld zwischen öffentlicher Unterstützung und freiem Kulturmarkt. Beide Bereiche bringen sowohl Vorteile, wie auch Schwachstellen mit sich. Die öffentlichen Förderungen garantieren einerseits einen breiteren Zugang, sichern Vielfalt, fördern den Nachwuchs und schützen nichtkommerzielle Kulturformen. Andererseits fließen diese Förderungen öfters an etablierte institutionalisierte Kultureinrichtungen, wobei freie Szenen und innovative Formate vernachlässigt werden, die Reaktionsmöglichkeit bleibt dank komplizierter Bürokratie stark eingeschränkt. Die Verwaltung dieser Förderungen birgt auch immer die Gefahr, dass Kultur zum politisch-ideologischen Spielball wird.
Die private Kulturförderung hingegen bringt eine größere Flexibilität mit sich, wagt sich leichter auf noch nicht beschrittene Wege und bringt eine schnelle Reaktionsmöglichkeit mit sich. Trotz der Flexibilität und Innovationsfreude, bleibt sie stark an Marktlogik und Publikumswirksamkeit gebunden. Kultur wird zum Produkt, das messbare Ergebnisse liefern muss. Private Förderer können genau so ideo-logisch in das geförderte Projekt eingreifen und die Marktrelevanz der Ergebnisse bleibt der bestimmende Faktor, was wiederum zur verstärkten Förderung einer gewissen Elite an Kulturschaffenden führt.
Die Problematik liegt eigentlich nicht im Entweder-Oder, sondern in dem Wie: Im Idealfall müssten sich die beiden Formen ergänzen und so ein lebendiges, offenes, innovatives und uneingeschränkt zugängliches Kulturleben sichern.
Rumänien: Kultur als Luxusgut?
Am 1. August verabschiedete die Regierung Bolojan das schon berüchtigte Maßnahmenpaket Eins. Das rumänische Aschenputtel Kultur muss nun die erbärmlichen und abgenutzten Magdkleider ablegen und gegen irgendwelche herumliegenden Fetzen austauschen, die kaum noch ihre Nacktheit bedecken werden. Die Regierung Bolojan hat Kultur faktisch in die Kategorie der Luxusgüter eingeordnet – gleichgestellt mit Tabak und Alkohol. Was besagt aber das Paket konkret: kommunale Kultureinrichtungen büßen einen Teil der staatlichen Grundförderung ein, regionale Kulturveranstaltungen wurden gestrichen oder in ihrer Finanzierung stark reduziert, nur Projekte mit überregionaler Relevanz oder internationaler Beteiligung erhalten weiterhin Unterstützung, die bisherige Praxis der pauschalen Projektförderung wird durch ein mehrstufiges Auswahlverfahren ersetzt, freie Kulturschaffende müssen künftig wirtschaftliche Nachhaltigkeit nachweisen, um Fördermittel zu erhalten, Fördermittel werden künftig leistungsbezogen vergeben – mit Fokus auf Besucherzahlen, Eigenfinanzierung und Projektwirkung. Zugleich wurde eine Erhöhung der Mehrwertsteuer im Kulturbereich bestimmt: für den Zugang zu kulturellen Stätten (Museen, Schlössern, botanischen Gärten), sowie für den Buchdruck, inklusive Zeitungen und Zeitschriften, wurde der Steuersatz von fünf oder neun Prozent auf elf Prozent erhöht, zugleich wurde dieser für den Eintritt zu kulturellen Veranstaltungen wie Konzerten, Ausstellungen, Kino usw. auf 21 Prozent erhöht.
In Wirklichkeit ist der ländliche Raum in Rumänien im allgemeinen vom Kulturleben abgenabelt.
Private Kulturförderung könnte theoretisch eine Alternative sein, doch in Rumänien fehlen steuerliche Anreize und rechtliche Rahmenbedingungen. Bürokratische Hürden machen diesen Weg für viele Initiativen unzugänglich, sodass der Markt der Möglichkeiten für private Förderungen bestenfalls in den Kinderschuhen steckt. Einzelne Einrichtungen und Initiativen mögen hier und da einen Strohhalm zum Überleben finden, doch eine tragfähige Struktur ist nicht in Sicht.
Festivalboom und kulturelle Ausgrenzung
In den letzten Jahren erlebt Rumänien einen Festivalboom, insbesondere im Musikbereich. Laut offiziellen Angaben generieren Festivals über 100 Millionen Euro jährlich. Doch dieses Bild täuscht: Die meisten Veranstaltungen finden in urbanen Zentren oder in deren Nähe statt, die Eintrittspreise sind für einkommensstarke Haushalte konzipiert und Mobilität ist Voraussetzung für die Teilnahme. In Wirklichkeit ist der ländliche Raum in Rumänien im allgemeinen vom Kulturleben abgenabelt. Die gleiche kulturelle Ausgrenzung findet man in urbanen Bereichen in wirtschaftlich eher schwachen Gegenden wieder. Die hier gelegentlich stattfindenden kostenlosen Konzerte, die von der öffentlichen Hand gefördert werden (meistens vom amtierenden Bürgermeister ideologisch vereinnahmt), vermögen das Zünglein an der Waage nicht zu bewegen. Kultur ist hier zum Luxusgut geworden – nicht, weil kein Interesse besteht, sondern weil das Angebot so eingeschränkt ist, dass der Großteil der Bevölkerung keinen Zugang hat. Beispielhaft für den Kulturkonsum in Rumänien kann der Buchmarkt angeführt werden. Laut Eurostat-Zahlen von 2023 bewegt sich der europäische Anteil regelmäßiger Leser, gemessen an der Bevölkerung des entsprechenden Landes, zwischen 38 und 44 Prozent. In Rumänien liegt dieser bei kaum sechs Prozent. Im gleichen Jahr lag die durchschnittliche Anzahl gelesener Bücher pro Jahr bei unter fünf Büchern pro Person. Damit belegt Rumänien den letzten Platz in der EU. Der Umsatz der rumänischen Buchbranche stagniert bei rund 60 Millionen Euro jährlich, mit einem starken Fokus auf Schulbüchern und Lehrmaterialien.
Das Erstarken radikaler politischer Optionen in Rumänien ist ein Spiegel dieser Entwicklung.
Fazit: Der zu verbuchende Festivalboom einerseits, die vorhandene strukturelle Ausgrenzung und der schwache Buchkonsum andrerseits, zeigen eine doppelte Dynamik: hohe Sichtbarkeit urbaner Eventkultur bei gleichzeitig niedriger Alltagsbeteiligung an „stillen“ Kulturformen. Dadurch nehmen Informationsasymmetrien zu, Desinformation breitet sich aus. Das Erstarken radikaler politischer Optionen in Rumänien ist ein Spiegel dieser Entwicklung – ein Spiegel, in den viele Entscheidungsträger nur ungern blicken. In Zeiten der Krise und der Austerität wird Kultur oft als verzichtbar behandelt. Doch demokratische Teilhabe verlangt eine kulturelle Grundversorgung, die nicht am Geldbeutel scheitert. Eine demokratieorientierte Kulturpolitik muss Kultur als öffentliches Gut begreifen – nicht als freiwillige oder willkürlich zu handhabende Leistung. Denn wer Kultur fördert, stärkt die Demokratie.