„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ (Joh. 6,35)
Wenn Jesus solches Brot verspricht, von dem wir nie wieder den Hunger spüren, oder solches Wasser, von dem es uns nie wieder dürstet, will er die physische Beschaffung des Menschen weder ignorieren, noch sie auf eine wundersame Art und Weise aussetzten. Wer mit fünf Gerstenbroten und fünf Fischen fünftausend Menschen speist, weiß genau, dass jeder Leib, inklusive seiner, gesättigt werden muss, selbst wenn ihn seine Jünger warnen. Er hat auch nicht solche Speise verteilt, die seine Hörer in die Lage versetzt hätte, nie wieder Hunger und Durst zu spüren, geschweige denn, dass sie ewig hätten leben können.
Im Johannes-Evangelium werden solche, aus heutiger Sicht unmögliche oder forciert aussehende Bilder verwendet. Denken wir nur an Nikodemus, den Schriftgelehrten der Juden, dem die Wiedergeburt erklärt werden muss. In seinem Fall kann man von Ironie ausgehen: Höre mal, der ist ein Gelehrter und nimmt es wörtlich! Aber auch die Speisung der Fünftausend ist nicht ganz ironiefrei, denn Jesus unterstellt seinen Hörern, sie würden ihn nur deshalb wieder aufsuchen und nach ihm fragen, weil sie vom Brot gegessen haben.
Sie hätten in oder an ihm kein Zeichen gesehen und er tadelt sie deshalb: „Müht euch nicht um Speise, die vergänglich ist, sondern um Speise, die da bleibt zum ewigen Leben. Die wird euch der Menschensohn geben; denn auf ihm ist das Siegel Gottes des Vaters.“ (Joh. 6,27) Die Ironie gegen die Menschenmenge geht aber weiter, denn obwohl Jesus ihnen sagte, was Gottes Werk ist, fragten sie ihn: „Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht: ´Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.´“ (Joh. 6,30-31)
Diese Ironie ist für den Schreiber des Johannes-Evangeliums typisch, denn er arbeitet auf zwei Ebenen, die er sehr geschickt mal auseinanderhält, mal miteinander verknüpft. Es handelt sich einmal um die Welt, in der wir leben und in der viele andere Menschen leben, die sich selbstverständlich primär um die Tilgung ihres Hungers kümmern, und es handelt sich um eine Welt oder Realität, die völlig auf die Seele und das Göttliche in der Seele ausgerichtet ist und von der leiblichen Notdurft abstrahiert.
In der Gedankenwelt des Johannes-Evangeliums gibt es die Realität der Seele, die Mühe hat, wieder zu ihrem Schöpfer zu finden, sie schafft es nicht aus eigener Kraft, zur eigenen Erlösung zu gelangen, aber Schöpfer und Schöpfung (hier: die Seele) gehören zusammen. In einer mit dem Christentum konkurrierenden Religion (Gnosis genannt) muss ein tätiger Gott (Demiurg genannt) die Seele des Menschen aus ihrer Gefangenschaft in der bösen, sündigen und gottlosen Welt befreien. Diese Sicht setzt aber voraus, dass der ursprüngliche Schöpfergott die Menschheit, die Gesamtheit der Seelen ihrem Schicksals überlassen hatte.
Das Johannes-Evangelium will aber die Einheit zwischen Schöpfergott und Erlösergott wiederherstellen. (Die böse Welt der Gnosis schrumpft in ihm auf die Ironie der Unverständigen und Anspruchslosen zusammen), Jesus ist das einzig wahre Bindeglied zum Vater, wer ihn sieht, der sieht den Vater, wer von seinem Brot isst und von seinem Wasser trinkt, der schmeckt Gott. Alles was Jesus sagt oder macht, deutet auf Gott hin. Indem wir nach seinem Brot und nach seinem Wasser fragen, fragen wir nach Gott. Indem wir in Jesus das Licht dieser Welt sehen, sehen wir Gott. In ihm haben wir den auf Gott zeigenden Finger, durch ihn gewinnen wir wieder Zugang zu unserem Schöpfer und werden in Seinen Schoß wiederaufgenommen.
András Bandi ist Assistenzprofessor (Asist. Univ. Dr.) an der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt im Departement für Geschichte, Kulturerbe und protestantische Theologie.