Dieser Grundsatz taugt nicht nur als Beschreibung des benediktinischen Lebens, sondern auch für das Leben Jesu. Jesus hat nach dem Dreiklang von Beten, Arbeiten und Lesen gelebt – und er hat diesen Dreiklang all denen empfohlen, die an ihn und seine Botschaft glauben. Somit ist „Bete und arbeite und lies“ ein Lebensgrundsatz, dessen Beachtung sich lohnt.
Das Evangelium des heutigen Sonntags, der Besuch Jesu bei seinen Freundinnen Marta und Maria, hilft, besser zu verstehen, was „Bete und arbeite und lies“ für mich bedeuten kann. Dabei darf ich aber diese Passage des Lukas-Evangeliums nicht isoliert betrachten, sonst würde ich sie missverstehen. Worauf es Jesus ankommt, wird erst deutlich, wenn ich schaue, was Lukas als Evangelist direkt um diese Begebenheit herum gruppiert.
Unmittelbar vor dem Besuch bei Marta und Maria erzählt Jesus die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Und gleich nach dem Aufenthalt bei Marta und Maria lehrt Jesus seine Jünger das Vaterunser. Drei Elemente des Evangeliums sind das insgesamt, die mir sowohl das „Bete“ als auch das „Arbeite“ als auch das „Lies“ näherbringen – und zwar auf jeweils pointierte Weise.
Arbeite: Diese Aufforderung Jesu macht den Anfang; sie durchzieht die Erzählung vom barmherzigen Samariter. Hier geht es einzig und allein darum, zu beschreiben, was richtiges Arbeiten, also Handeln im Alltag bedeutet, nämlich Nächstenliebe. Keine Rede ist hier davon, wie man am besten mit Gott in Kontakt kommt, also betet.
Das Gebet, und zwar ausschließlich das Gebet, hat im letzten der drei Elemente des Evangeliums seinen Platz. Indem Jesus seinen Jüngern das Vaterunser beibringt, zeigt er ihnen, worum es beim Beten geht: Um die Liebe zu Gott, um die vertrauensvolle Kontaktaufnahme mit Gott, der seinerseits voller väterlich-mütterlicher Liebe zu den Menschen ist.
Zwischen diesen beiden Elementen, die ich mit „Arbeite“ und „Bete“ – gern auch mit „Liebe zum Nächsten“ und „Liebe zu Gott“ überschreiben will, kommt das „Lies“ zum Vorschein, die Liebe zu sich selbst, verkörpert in Maria, die sich Jesus zu Füßen setzt. Maria weiß, was ihr gerade guttut - und sie nimmt sich die Zeit dafür: Sie hört den Worten Jesu zu, um ihn besser kennenzulernen und seine Botschaft auf ihr Leben zu beziehen. Jesus lobt Maria dafür, dass sie sich dies gönnt. Das ist die Pointe in dieser Geschichte, nicht die Bemerkung in Richtung der Marta, die sich abrackert, um Jesus bestmögliche Gastfreundschaft zu bieten. Jesus will Martas Tun nicht abwerten – unmittelbar vorher hat er ja betont, wie wichtig die Nächstenliebe ist, zu der natürlich auch die Gastfreundschaft gehört. Im Haus von Marta und Maria will Jesus ganz explizit die Selbstliebe hervorheben, die bei aller Nächstenliebe und Gottesliebe nicht zu kurz kommen darf. Und dazu gehört eben das „Lies“, das Beziehen der Liebe Gottes auf sich selbst, das Forschen nach dem Willen Gottes für das eigene Leben und damit das Finden von dem, was einem guttut.
Die drei Episoden im Lukas-Evangelium wollen das „Bete“, das „Arbeite“ und das „Lies“ nicht gegeneinander ausspielen, indem sie jeweils eines von den drei Elementen hervorheben, im Gegenteil: Jesus macht deutlich, wie wichtig die drei Elemente miteinander für jeden Christen sind, und wie wichtig es ist, sowohl die Liebe zu Gott als auch die Liebe zum Nächsten als auch die Liebe zu sich selbst im eigenen Leben zusammenzubringen.
Bete und arbeite und lies: Es ist wertvoll, darauf zu achten, dass dieser Dreiklang meine Lebensmelodie als Christ ist und bleibt; denn die Liebe zu Gott, die Liebe zu den Nächsten und die Liebe zu mir selbst lässt mein Leben gelingen.