Wohin am Wochenende im Frühling? Raus aus der Stadt, ab in die Natur: flanieren, knipsen, entdecken. Im grünen LabyrinthVerstecken spielen! Blumenduft, Frühlingsluft. Sanfte Brise am See. Eine Zeitreise unternehmen in die Welt der Brâncoveanus, dorthin, wo auch die Familie des Wojewoden vor über 300 Jahren ihre Wochenenden verbrachte – Vater Constantin, Mutter Marica, vier Söhne und sieben Töchter: in Mogoșoaia. Oft waren sie dort umgeben von illustren Gästen. Dann wurde stundenlang gegessen und gefeiert bei Musik und Wein. Ach, lassen wir sie doch selbst erzählen!
Ich schreite durch die Pforte der Zeiten. Schließe das schmiedeeiserne Tor. Steige 323 Stufen die Zeittreppe hinunter, bis ins Jahr 1702. Sehe mich suchend um. Ist da jemand? Noch liegen da nur ein paar Ziegelhaufen vor alten Steinhäusern. So sah das Anwesen aus, als Constantin Brâncoveanu es 1681 gekauft hatte. Das Schloss, das er zu bauen gedachte, sollte ein Ruheort für seine Familie werden. Aber auch für ihn auf der ständigen Hin- und Herreise zwischen der neuen und der alten Hauptstadt, Bukarest und Târgoviște.
Doch bevor er sich den Plänen für das Schloss widmete, begann Constantin mit dem Bau einer Kirche. Das gehörte sich damals so. Einen Monat, bevor er 1688 auf den Thron der Walachei stieg, sollte sie fertig werden. Er hat sie dem heiligen Georg, dem Drachentöter gewidmet, ein starker Schutzheiliger. Er hat ihm nichts genützt. Aber das weiß er da ja noch nicht… Und auch nicht, dass er 178 Jahre nach seiner Hinrichtung in Konstantinopel selber heiliggesprochen würde.
Constantin hat zur Thronbesteigung ein Porträt von sich anfertigen lassen, obwohl das hierzulande noch gar nicht Mode war. Das hat er sich wohl abgeschaut aus anderen Ländern, wie so vieles andere: die Stilelemente aus Venedig in seinem Schloss, die Loggia etwa, von der aus die Venezianer aufs Meer blickten, und die Brâncoveanus auf den See…
Woher die Idee? Da muss ich die Zeitleiter ein paar Stufen hinaufsteigen, wo Töchterchen Ancuța, 1691 geboren, verrät: „Weißt du denn nicht, dass wir einen italienischen Leibarzt haben, Giacomo Pylarino, der in Venedig studiert hat?“
Ștefan, der Älteste, der das Schloss einmal erben soll, bietet mir eine Führung an. Erklärt mir die Symbolik der steinernen Balustradenornamente des Pavillons an der Vorderfront des Schlosses: der Adler mit dem Kreuz im Schnabel als Zeichen für das Land; ein Gesicht mit Blumenvase auf dem Kopf, aus dem Mund quellen Blüten- und Blätterranken, Symbol der Fülle; das Krokodil als Zeichen für Gefahr, stets findet man alle drei nebeneinander, doziert Ștefan.
Wir schlendern durch den Park. Später würden hier Trauerweiden, Platanen, Pinien, Sumpfzypressen, Ulmen, Eichen, Pappeln, Kastanien, Berberitzen, Wacholder und Weißdorn Unterschlupf bieten für Amseln, Stare, Meisen, Pirole und Nachtigallen, am See auch Enten und Blesshühnern... Was es jetzt schon gibt: das Labyrinth, in dem prächtige Pfauen Räder schlagen und die Mädchen gerne Verstecken spielen. „Wusstest du, dass wir in unserer Kirche einen Heiligen haben, der Pflanzen und Vögel beschützt?“, zirpt Ancuța. Zum heiligen Trifon beten Schlossgärtner wie einfache Bauern.
Warum das Schloss unten so winzige Festern hat, frage ich erstaunt. „Ein Wohnschloss ist immer auch ein bisschen Festung“, hebt Ștefan an. Doch bevor er seinen Gedanken zuende führen kann, zieht eine seltsame Parade vorüber: Aus einem Gebäude wie eine Kirche werden silberne Töpfe und Schüsseln ins Schloss getragen. Herrliche Düfte wabern über den Platz! „Warum kocht ihr denn nicht im Haus, damit das Essen nicht kalt wird?“, will ich von Ancu]a wissen. Statt einer Antwort zieht sie mich am Arm in die Cuhnia, die ich aus meiner Zeit nur als Ort für stets wechselnde Kunstausstellungen kenne. Welch infernalische Hitze! Unerträglich im Haus, vor allem im Sommer; außerdem ist es sicherer vor Bränden, wenn die offenen Feuer möglichst weit weg sind. Das Loch in der Decke, wird mir nun klar, ist nicht bloß Stilelement, sondern – ein Dunstabzug. Enorme Mengen von Speisen werden vorbeigetragen. Wer soll das alles essen? „Bei uns speisen immer ganz viele Gäste“, erklärt Ancuța stolz. „Sie sitzen an einem langen Tisch auf hölzernen Bänken, und am Kopfende klopft Papa Sprüche.“ „Glückwünsche, Trink- und Segenssprüche“, erläutert Ștefan: „An den Sultan in Konstantinopel, an den deutschen Kaiser, an die englische Königin. Dann an die Größen im eigenen Land und dann an die Gäste.“ Manchmal dauert so ein Essen sieben Stunden! Es gibt Wein und Musik und zum Schluss wäscht man sich die Hände mit Rosenwasser, erzählen die Kinder. Gegessen hat man neben Fleisch auch viel Fisch, aus dem See oder aus der Donau, aber auch Muscheln, Froschschenkel und Schnecken, vom Volk verschmäht, waren im Schloss willkommene Leckerbissen. Wohl auch ein Einfluss aus dem Ausland. „Die Rezepte hat Papa selbst gesammelt, in Italien, Griechenland, der Türkei…“. Ancuța hält mir ein geröstetes Brötchen unter die Nase, darauf Karpfenstücke „mit Öl, Zwiebel, Rosmarin, Pfeffer und Nelken gekocht, dann mit Kapern und Brotkrumen bestreut“, verrät sie ein altes Familienrezept.
Und wo ist bei euch der Kühlschrank? Die Kinder kichern. Das Wort kennen sie nicht. Aber sie können sich denken, was ich meine: das Eishaus, ein etwas tiefer gelegener Keller, wohin man im Winter dicke Eisschollen aus dem See brachte. Mit Schilf abgedeckt hielten sie dort bis zum Herbst.
„Ancuuuța! Ștefaaan!“ Die Kinder werden zum Essen gerufen. Ich winke zum Abschied, steige langsam die Zeitleiter wieder hinauf. Nur ein ganz kurzer Blick von Stufe 1714 – zu schrecklich war dieses Jahr: Familie Brâncoveanu wird von den Osmanen nach Konstantinopel entführt, der Fürst und die vier Söhne geköpft. Constantin hatte ein gefährliches Doppelspiel getrieben: Während er der Hohen Pforte für die Autonomie Tribut zahlte, verhandelte er im geheimen mit dem russischen Zaren und dem österreichischen Kaiser…
Nach dem Tod von Fürst Constantin plündern und vandalisieren die Osmanen das Schloss. Marica kehrt zwei Jahre später aus dem Exil dorthin zurück. Doch den alten Glanz kann ihm niemand aus der Familie mehr verleihen.
Tür auf, Tür zu, die Geschichte bleibt drinnen: Draußen der herrliche Frühling!
Die Fakten aus dem Alltag der Brâncoveanus stammen aus dem Buch „Palatul Mogoșoaia. Ghidul copiilor“ von Adriana Scripcariu