Zwischen Reigen, Rock und Regentropfen

ProEtnica kennt keine Grenzen. ProEtnica vereint. ProEtnica begeistert wie immer

Nach der Vorführung laden die Gruppen zum Reigen auf dem Burgplatz ein. | Fotos: George Dumitriu

Simina Maria singt ukrainische Lieder.

Modenschau der Roma-Designerin Zita Moldovan

Die Serben aus Arad präsentieren Tänze aus Kumanowo.

Charme-Offensive: Griechinnen aus Galatz

Mädchen der bulgarischen Minderheit

Nicht nur die Vielfalt der Trachten, der Sprachen, der Tänze aller ethnischen Gruppen, Rumänen und Minderheiten, beherrscht an den fünf Tagen des interkulturellen Festivals ProEtnica (27.-31. August) die Festung von Schäßburg. Bemerkenswert ist auch die Spanne an Altersgruppen, sowohl unter den Künstlern als auch im Publikum: Während die polnische Tanzgruppe aus Solonețu Nou mit den Kleinsten auf dem Arm die Bühne erklimmt, allerliebst mit Zöpfchen und in Trachten; während sich kleine Mädchen mit Dreikäsehoch-Knirpsen auf dem Platz vor den Zuschauern tummeln, bereiten sich die Griechinnen aus Tulcea auf ihren Tanzauftritt vor: stolze Damen in Kopftuch und Tracht mit geblümten Schürzen, alle „zwischen 40 und 70 Jahren“, wie die Leiterin des Ensembles „Hrisi Elekteria“ verrät. Gleich werden sie traditionelle Tänze  von den griechischen Inseln präsentieren. 

Und noch etwas fällt auf: Neben den zahllosen Gelegenheitsbesuchern und Touristen, die spontan am Burgplatz stehen bleiben, entdeckt man auch immer wieder altbekannte Gesichter. Fans offenbar, die sich unter die Tanzenden mischen, sich nur allzu leicht verführen lassen, wenn die Trachtenträger nach ihrem Auftritt von der Bühne steigen und das Publikum zu einem Reigen, einer Hora oder einem schmissigen Sirtaki einladen. 

Schäßburg/Sighișoara im Ausnahmezustand, rund um die Uhr: Obwohl das Folkloreprogramm erst am Nachmittag beginnt, sieht man schon morgens Gestalten in Jeans und T-Shirt zu rhythmischen Weisen hüpfen: Tanzprobe einer griechischen Gruppe. Das Städtchen erwacht zu touristischem Leben, erste Stände und Läden öffnen, der Stadttrommler führt mit Spektakel eine Gruppe über den Platz. Am Sonntag läuten Kirchenglocken. Lila gestrichene, üppig blumengeschmückte Fahrräder zieren den mit Biergartenbänken und Schirmen übersäten Platz. Das Pflaster ist noch nass vom Regen. Es duftet nach Kaffee... und vor der Jugendherberge des Interkulturellen Begegnungszentrums (ibz) bilden sich lange Schlangen: Trachtenträger und Jeansbehoste, aus allen Teilen des Landes zusammengekommen, stehen schwatzend und lachend für eine Mahlzeit an oder holen sich ihre bunten ProEtnica Tassen, Souvenirs für die Teilnehmer und Unterstützer, für jede Ausgabe des Festivals liebevoll neu gestaltet. Dazwischen die emsig wuselnden Angestellten und Freiwilligen, mit starker Hand geführt von Victori]a Reiter. „Nächstes Jahr feiern wir das 25-jährige Jubiläum von ProEtnica“, freut sich Festivaldirektor und ibz-Leiter Volker Reiter. Aber nicht der 25. Ausgabe, denn nicht jedes Jahr hat es geklappt, das 2001 von ihm ins Leben gerufene Festival auszurichten. 

Die aktuelle 21. Ausgabe von ProEtnica wurde vom Kulturministerium und dem DRI gesponsert sowie vom Kreisrat Muresch als Partner unterstützt. 

Modenschau und Rock-Oldies

Am letzten Tag jedoch sieht man Volker Reiter zufrieden lächelnd am Veranstaltertisch neben der Bühne sitzen: Alles hat gut funktioniert. „Aus organisatorischer Sicht war es sogar die bisher beste Ausgabe“, schwärmt er. „Trotz Regen am letzten Tag“ sei das Repertoire „geradezu fantastisch“ gewesen! Bedauerlich, dass das Abendkonzert des Jüdischen Staatstheaters mit zeitgenössischen jüdischen Melodien am Sonntag „ins Wasser gefallen“ ist – nur ein paar Dutzend Zuschauer trotzten dem strömendem Regen und der plötzlichen Kälte. 

Erfreulich sei gewesen, dass es gleich mehrere Theateraufführungen und Stände mit Kunsthandwerk gab, das wolle man in Zukunft stärker ausbauen, erklärt Reiter.

Ein für ProEtnica neues Element war die Modenschau der bekannten Desi-gnerin, Schauspielerin und Journalistin Zita Moldovan mit ausgefallenen Kreationen, inspiriert an Roma-Farben und -Symbolen, geschaffen für die Roma-Frau als selbstbewusste Feministin. Amateurmodels schweben in Taft, Satin oder Denim über die Bühne. Auch die Designerin trägt ihre eigene Kreation: ein Mini-Jeanskleid mit bunten Flügelärmeln. Dominierend in ihrer Kollektion „Loly Haute Couture“ sind die Farben Rot und Symbole wie Wagenrad, Hufeisen, Geige oder florale Motive. Mit gewagten Schnitten – darunter mehrere Abendkleider – schafft Zita Moldovan einen kraftvollen stilistischen Gegenpol zu einer oft marginalisierten Kultur.

Zu den Highlights zählen zweifellos auch die beiden nächtlichen Rock-Konzerte: Den Freitagabend bestritt die 1993 gegründete Truppe „Sarmalele reci“ (kalte Krautwickel) , deren Frontsänger Zoltan Andras für ProEtnica auch zwei Lieder auf Ungarisch zum Besten gab, obwohl sich die Gruppe sonst explizit zu rumänischen Texten bekennt, mit Themen, die hierzulande relevant sind. Damit wollte man dem nach der Wende dominanten Hype zu westlichen Musiktrends und englischen Texten „etwas qualitativ Ähnliches“ im Inland entgegenzusetzen, erklärt Zoltan Andras gegenüber der ADZ. Am Samstag bestritt die Gruppe „RIFF“ aus Hermannstadt mit bekannten Oldies wie „Ochii t²i“, „Ploaia“ oder „În loc de bun rămas“ und Sänger Florin Grigoraș den Abend. Mit seiner bereits 1970 gegründeten Band kann er über Erfahrungen in der Musikszene „im tiefsten Kommunismus“ aus dem Nähkästchen plaudern, doch dank sächsischer Freunde, die die „Bravo“ und Schallplatten aus Deutschland bekamen, sei man damals auch ganz gut über die internationale Musikszene informiert gewesen, erklärt Grigora{ für die ADZ (ein Doppelinterview mit beiden Rocksängern erscheint am nächsten Mittwoch). Heute kombiniert das Ensemble RIFF Rockmusik interdisziplinär mit zeitgenössischem Tanz, Ballett und Theater.

Bühne frei für – Theater!

Es muss nicht immer Folklore sein auf der Bühne am Schäßburger Burgplatz: Wie wäre es statt dessen mit einer streitlustigen Roma-Braut in spe, deren Vater beinahe den Brautwerber erschossen hätte? „Cerere in c²s²torie“, ein turbulentes Stück von Anton Tschechov, angepasst von Sorin Sandu für „Amphitheatrrom“, aufgeführt in Rumänisch und Romanes, lädt zum herzlichen Lachen ein. Für Kinder gab es von „Amphitheatrrom“ das ebenfalls zweisprachige  Stück „Întâmpl²ri în Gâscania“ (Ereignisse in Gänseland) – der größte Brüller war, als ein Clown ein paar Runden auf einem winzigen Tretroller drehte, begleitet vom tiefen Röhren eines Motorrads. 

Kann heutzutage noch ein Märchen fesseln? Atemlos lauschten Kinder wie Erwachsene am Sonntagvormittag dem Stück „Sarea-n bucate“ (Salz im Essen) des Hermannstädter Puppentheaters Gong. Liebevoll gestaltete hüfthohe Puppen, handgeführt von zwei bauchredenden Schauspielerinnen, darunter Mihaela Grigora{ als Erzählerin, eine Kulisse mit naiven filzstiftgezeichneten Burgen, sowie prägnant witzige Dialoge (Texte und Musik von Florin Grigora{) kennzeichneten die Aufführung des Märchens von der Königstochter, die ihre Liebe zum Vater mit „dem Salz im Essen“ vergleicht und daraufhin verstoßen wird. Zum Tränenlachen: die dicke, ständig geräuschvoll Wurst mampfende Köchin. Beeindruckend: der Krieg, ein anonymer Maskierter, der tanzend zwei Schilde schwingt, mal das eine vorne, mal das andere, bis der Königssohn schwer verwundet darniedersinkt... Ein gelungenes Spektakel für die Kleinsten, das man wärmstens weiterempfehlen kann: Handy weglegen und auf ins Gong-Theater!

Dunkle Punkte der Geschichte im Film

Dunkle Punkte in der Geschichte der Minderheiten thematisieren gleich zwei Filme: Das Nationale Zentrum für Roma-Kultur präsentiert den Spielfilm „Bilet de iertare“ (Ticket zum Vergeben) über die Sklaverei der Roma. 

Über den Ursprung der armenischen Minderheit konnte man im über zwei Stunden dauernden, hochinteressanten Dokumentarfilm „MIUTYUN – Geschichte der armenischen Diaspora in Rumänien“, präsentiert von Armine Vosganian, lernen. Er beginnt mit dem Genozid an den Armeniern in Anatolien und der beispiellosen Bereitschaft Rumäniens durch Ion C. Bratianu, die Flüchtlinge als einziges Land aufzunehmen und ihnen Dokumente auszustellen. Über die Geschichte Armeniens als römische Provinz und später ersten christlichen Staat erzählt Akademiepräsident Ioan-Aurel Pop. Tief verwurzelt seien sie mit dem Gebiet des heutigen Rumänien: Als Händler und Begründer bedeutender Handelswege haben Armenier entscheidend zur Entwicklung der Walachei und der Moldau beigetragen. Das zweite tiefe Trauma der Armenier ist der Bergkarabachkonflikt, einer von Aserbaidschan annektierten Region, die jedoch aus armenischer Sicht stets armenisch besiedelt gewesen sei. Der Film geht auch auf den Erhalt der Traditionen, die Kulturpflege der armenischen Minderheit und das armenische Straßenfestival in Bukarest ein. Größtes Problem: wegen der Schwierigkeit der Sprache gibt es kaum noch versierte Sprecher, die Zahl der Muttersprachler ist verschwindend. 

Bei ProEtnica wird eben nicht nur miteinander gesungen, getanzt und gefeiert – es gibt auch vieles zu lernen. ProEtnica erweitert den Blick über den Tellerrand in jeder Hinsicht.