80 Jahre seit der Deportation 

Auftakt der Gedenk-Veranstaltungsreihe im Apollonia-Kulturzentrum

Olivia Grigoriu vor dem Portrait ihrer Großmutter Ada Teutsch Foto: George Dumitriu

„Meine Großmutter mochte keinen Schnee“. Es ist eine Aussage, die man so leicht nicht wieder vergisst. In ihrer emotionalen Rede erzählte Olivia Grigoriu, Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt und Enkelin der ehemaligen Deportierten Ada Teutsch, wie der bloße Anblick von Schnee ihrer Großmutter die schlimmsten Erinnerungen aus der Zeit in Russland auslöste. Erst 17 Jahre alt war Ada Teutsch, als an einem Winterabend im Januar 1945, vor genau 80 Jahren, an ihre Haustür gehämmert wurde. Sie musste ihre Koffer packen und gehen. Die Jugendliche wurde, wie auch andere 70.000  Angehörige der deutschen Minderheit, von russischem und rumänischem Militär ausgehoben und in Viehwaggons in den Donbass (heute östliche Ukraine) gebracht. Es hätten ihre schönsten Jahre sein sollen. Stattdessen musste sie jahrelang in einem Kohlenwerk unter unmenschlichen Bedingungen schuften. Die Zeit im Arbeitslager hat tiefe Spuren hinterlassen. Wieder zurück daheim, konnte sie sich nie mehr freuen, wenn es draußen schneite. Denn unter dem Schnee wurden im Arbeitslager die Toten begraben. Etwa 15% der Deportierten kehrten nicht mehr in ihre geliebte Heimat zurück. Sie überlebten den ständigen Hunger, die Kälte und die schweren Arbeitsbedingungen nicht. 

Wie erinnern wir uns an die Geschichte? 
Am Samstag, dem 11. Januar, fand im Liviu-Babe{-Saal des Apollonia-Kulturzentrums eine Gedenkveranstaltung aus Anlass der 80 Jahre seit der Deportation von Rumäniendeutschen zur Aufbauarbeit in die ehemalige Sowjetunion im Januar 1945 statt. Es handelte sich dabei um den Auftakt einer ganzen Veranstaltungsreihe, die mit der Vernissage der Fotoausstellung „Order 7161“ des luxemburgischen Fotografen Marc Schroeder begann. „Wie erinnern wir uns an die Geschichte?“, „Wie prägen wir die Geschichte?“, „Wie schauen wir auf die Geschichte?“ und „Wie verarbeiten wir die Geschichte in der Kunst?“ lauten die Mottos der geplanten Folge-Events, in denen mit verschiedenen Experten entweder durch die Ausstellung geführt wird, Lebensgeschichten präsentiert, Dialoge initiiert oder sogar künstlerisch mitgestaltet werden kann. Sven Kuhnert, Vizekonsul vom deutschen Konsulat Hermannstadt, der Historiker Dr. Ilie Schipor, Uwe Leonhardt, Geschäftsführer des Kronstädter Forums und  Ionela-Andreea Ghețe, Kuratorin der Ausstellung kamen auch zu Wort und waren sich einig: um die Zukunft gestalten zu können, sollte man seine Vergangenheit kennen.  „Die Deportationen der Rumäniendeutschen im Jahr 1945 erinnern uns daran, wie leicht Gemeinschaften zur Zielscheibe von Diskriminierung, Gewalt oder Unterdrückung werden können, wenn die Menschenrechte nicht geachtet werden. Die Zeichen der Gefahr - ob politisch, sozial oder wirtschaftlich - können subtil sein. Wenn wir die Tragödien der Vergangenheit nicht verstehen, sind wir in Gefahr, sie zu wiederholen. Das Verständnis der Vergangenheit hilft uns, die Taktiken der Manipulation, Propaganda und Spaltung zu erkennen, die von diesen repressiven Systemen eingesetzt werden. Wir müssen die Rechte und Freiheiten, die wir haben, schützen, wir müssen uns vor Extremismus, vor Angriffen auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schützen”, meinte Olivia Grigoriu. 

Die Erinnerungen leben weiter 
Welches sind die Auswirkungen der Weltereignisse auf das Schicksal einzelner Menschen? Von dieser Frage ging der luxemburgische Fotograf Marc Schroeder aus, als er sich entschloss, Zeitzeugen zu fotografieren und zu interviewen. Sein Buch „Order 7161. Porträts der Augenzeugen einer Deportation“ tourte im Jahr 2022 zusammen mit einer Ausstellung durch Rumänien und ist sicherlich schon manchen Kronstädtern bekannt. Während seiner Erkundungsreise durch Rumänien im Jahr 2010 erfuhr Schröder mehr über die Deportation und war verwundert, dass die Rumänen dieses Kapitel der Geschichte kaum kannten. Er beschloss, ehemalige Opfer der Deportation aufzusuchen und deren persönlichen Erfahrungen anhand von Bildern zu erwähnen. Am Ende entstanden Portraits, welche die Emotionen widerspiegeln, die während des Erinnerns an die Verschleppung wieder auflebten. Danach wählte der Fotograf die Aussagen nach Thema und in chronologischen Reihenfolge der damit verbundenen Ereignisse aus. Heute leben die meisten der 40 Männer und Frauen, die Schroeder vor einem Jahrzehnt getroffen hat, nicht mehr. Doch ihre Erinnerungen leben weiter. 

Ein wichtiges Zeitdokument 
Bei der Gedenkveranstaltung wurde auch das in rumänischer und deutscher Sprache im Honterus Verlag erschienene Buch von Dr. Ilie Schipor „Deportarea în fosta URSS a etnicilor germani din România. Argumente arhivistice ruse“- „Die Deportation von Rumäniendeutschen in die UdSSR. Argumente aus russischen Archiven“ in Anwesenheit des Autors vorgestellt. Das Buch umfasst eine Studie des Bukarester Militärhistorikers, in der die Deportation anhand der Unterlagen in russischen/sowjetischen Archiven dargestellt wird, sowie einen umfassenden Anhang mit aus dem Russischen übersetzten Urkunden und einige Dokumente als Faksimile im Original. Zu den wiedergegebenen Urkunden gehört eine Liste mit 488 in der Sowjetunion auf sieben Friedhöfen neben Arbeitslagern begrabenen Deportierten (die Namen wurden aus der kyrillischen Schrift transkribiert und die „russifizierte“ Schreibweise beibehalten, denn die korrekte war nicht in allen Fällen auszumachen), die Skizze eines Arbeitslagers, u. a. mehr. Dr. Ilie Schipor, Absolvent der Geschichtsfakultät sowie der Militärakademie, war zwischen 2009 und 2019 Ministerialrat an der Botschaft Rumäniens in Moskau und hat in dieser Zeit in den wichtigsten Archiven in Moskau geforscht und Dokumente betreffend der  Deportation von Rumäniendeutschen und ihr Dasein in Arbeitslagern in der Zeitspanne 1945 bis 1956 identifiziert. Bei der Veranstaltung in Kronstadt erklärte sich Schipor bereit, jedem, der über seine Familie forschen will, behilflich zu sein. 

Geschichten über Hoffnung und Überleben 
Interessant ist, dass weder Schipor noch Schröder einen Bezug zu der deutschen Mindeheit aus Rumänien hat – und trotzdem fanden beide, dass es wichtig ist, über dieses weniger bekannte Kapitel europäischer Geschichte zu sprechen. Ein Gang durch die Ausstellung bestätigt es: die Erinnerungen der Zeitzeugen, alte Familienfotos, Fotos von Landschaften, Briefe und verschiedene andere Dokumente fügen sich zusammen zu einer großen Erzählung, in der nicht immer über Leid die Rede ist, sondern meistens über  Hoffnung. „Nach fünf Jahren hörten wir zum ersten Mal eine Glocke läuten“, erinnert sich ein Deportierter, als er von der Heimreise im Jahr 1949 erzählt. Über Hoffnung sprach auch die Kuratorin der Ausstellung,  Ionela-Andreea Ghețe. „Die Geschichten der Zeitzeugen sind sehr emotional. Man sollte diese Menschen aber nicht nur als Opfer betrachten, sondern auch als Überlebende. Sie haben es geschafft, die schwere Zeit durchzumachen. Danach haben sie ihr Leben fortgesetzt, und sicher gab es in ihrem restlichen Leben auch viele schöne Momente. Daran müssen wir denken”. 

Führungen durch die Ausstellung und zusätzliche Termine 
Während der gesamten Dauer der Ausstellung werden Interessierte zu einer Reihe von Veranstaltungen eingeladen. Am Samstag, dem 18. Januar um 10 Uhr, folgt der Cyanotypie-Workshop „Wie prägen wir die Geschichte?“ mit der Künstlerin Cristina Bodn²rescu. Am Freitag, dem 24. Januar um 18 Uhr und am Samstag, dem 25. Januar um 11 Uhr werden Führungen durch die Ausstellung mit der Kuratorin Ionela-Andreea Ghe]e organisiert.„Wie erinnern wir uns an die Geschichte“ heißt eine weitere Diskussion, die am Freitag, dem 31. Januar, um 18 Uhr stattfindet. Gäste sind Olivia Grigoriu und Uwe Leonhardt, Moderatorin ist Roxana Florescu. Das letzte Event der Veranstaltungsreihe ist der Dialog „Wie verarbeiten wir Geschichte in der Kunst?“, zu dem die Regisseurin Carmen Lidia Vidu eingeladen ist und der am Freitag, dem 7. Februar 2025, um 18 Uhr stattfinden wird.Weitere Informationen zu den Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Ausstellung werden auf Facebook und auf den Webseiten des Demokratischen Forums der Deutschen in Kronstadt und des Deutschen Kulturzen-trums Kronstadt bekannt gemacht.