50 mit Sicherheit! Als Johannes-Honterus-LYZEUM gibt es die Honterusschule seit genau 50 Jahren, also seit 1971. Freilich haben sich auch alle Absolventen der Zeitspanne 1949-1970 als Honterianer gefühlt, gleichgültig in welches Gebäude (u.a. Șaguna) sie in die Schule gehen mussten und wie sich diese genau nannte. Am besten lässt sich die Honterianer-Identität jener Zeitspanne an den zahlreichen Matura-Fotos ablesen, die am Honterusdenkmal entstanden sind.
Welches sind die hintergründigen Zusammenhänge, die zum offiziellen Wiedereinführen der 1948-1971 unterbrochenen Honterus-Namenstradition für die zentrale deutsche Mittelschule Kronstadts geführt haben? Steht der Vorgang in Zusammenhang mit integrativen Maßnahmen gegenüber nationalen Minderheiten, wie sie in der Frühzeit der Ceaușescu-Herrschaft zu beobachten waren? Gibt es einen Zusammenhang mit dem Besuch des deutschen Bundespräsidenten Gustav Heinemann in Kronstadt im Mai 1971? Ich habe dazu (noch) keine Antworten, aber vielleicht haben einige Leser dieser Zeilen gute Erinnerungen an jene Jahre!
Die Säcularfeiern des mit der Schulreform von 1948 aufgelösten Honterus-GYMNASIUMS in kirchlicher Trägerschaft bezogen sich stets auf das Jahr 1544 als Gründungsdatum. Grundlage hierfür war der Auftakt der Einträge in die Schulmatrikel, die Valentin Wagner (ca. 1500-1557) als ersten Rektor anführt. Jahrhundertelang wurde dieses Datum nicht hinterfragt. Im Herbst 1944 hielt etwa Hermann Schuller eine Ansprache anlässlich des 400. Geburtstages der Schule (Valentinus Wagner und seine Werke – zum 400. Jahrestag des Honterus-Gymnasiums, 1944, Staatsarchiv Hermannstadt, Varia-Handschriftensammlung), aus der die Zukunftssorgen jener Tage mehr als deutlich herauszulesen sind. Auch das Honterusfest, das heute in Kronstadt und in Pfaffenhofen an der Ilm kontinuierlich gefeiert wird, wurde am Ende des Schuljahres 1844-1845 erstmals unter dieser Namensform begangen und nahm Bezug auf den 300. Geburtstag der Honterusschule – die bisher eingehendste Abhandlung über die Schulgeschichte aus der Feder von Josef Dück, erschien ebenfalls aus diesem Anlass im Jahre 1845.
Diese Jahreszahlen passen nicht zu der jüngst am Honterus Nationalkolleg abgehaltenen 480. Geburtstagsfeier. Was stimmt hier nicht?
1544 ist nicht nur wegen dem Beginn der Schulmatrikel ein gutes Jubiläumsdatum. Es ist der Auftakt einer viele hundert Seiten langen Liste in Buchform von Lehrkräften und Absolventen, die sich streckenweise wie ein Who-is-who der siebenbürgischen und eben nicht nur siebenbürgisch-sächsischen Intellektualität liest und die bis zum Jahr 1810 reicht. Aus den historischen Quellen sprechen für das Jahr 1544 weitere Hinweise dafür, dass damals eine Neuorganisation des schon länger bestehenden Kronstädter Gymnasiums umgesetzt wurde: 1543-1544 wurde noch unter dem Rektorat von Martinus Heintius das Lehrpersonal erstmals um einen Lektor vermehrt und das Gehalt des Rektors substantiell von 80 auf 100 Gulden/Jahr erhöht, so dass der neue Rektor, Valentin Wagner am 1. Dezember 1544 die erste bekannte Liste der Honterus-Absolventen in der Schulmatrikel verzeichnen konnte. Es gab freilich weit mehr Lehrkräfte an der Schule, da es damals üblich war, dass sich z.B. der Rektor aus seinem Jahresgehalt weitere Hilfslehrkräfte halten konnte.
Um eine Schule abschließen zu können muss man sie eine Weile besucht haben. Reformvorhaben gehen oft Hand in Hand mit baulichen Projekten. So war es auch in Kronstadt 1541. Bereits am 26. April 1541 hatte man auf Beschluss des Stadtrates damit begonnen, in der Klosteranlage ein neues Schulgebäudes an der Stelle, wo heute das Hauptgebäude der Schule (B-Gebäude) steht, zu errichten. Wo der alte Schulbau, auf dessen Existenz erstmals aus einer Urkunde aus dem Jahr 1388 zu schließen ist, sich genau befunden hat, lässt sich aus dem vorhandenen historischen Quellenmaterial nicht mit letzter Zuverlässigkeit festlegen. So steht zum Bespiel die Frage im Raum, ob Grundmauern der 1547 abgetragenen „scola antiqua“, bei den Ausgrabungen 2012-2013 im Honterushof nicht sichtbar geworden sind. Zwar heißt es sowohl von der alten Schule als auch von der 1547 errichteten Gymnasialbibliothek bzw. der Rektorenwohnung, dass sie sich im Friedhof („in cimiterio“) befinden, aber es ist gut möglich, dass die Baulinien ganz andere gewesen sind, zumal die alte Schule einem räumlichen Ordnungsprinzip zuzuordnen ist, das vor der Errichtung der Schwarzen Kirche bestanden hat.
Im Zusammenhang mit dem Baubeginn 1541 steht auch das beträchtliche Ehrengeschenk des Stadtrates von 50 Gulden an Johannes Honterus, das am 3. Oktober 1541 ausgezahlt wurde und auf das sich der festliche Anlass von 480 Jahren heuer wesentlich stützt. Die Begründung der Zahlung, die einem ganzen Jahresgehalt des städtischen Schulrektors bis zum Jahre 1533 entsprach (1534:70, 1535: 80 Gulden), wie sie im Rechnungsbuch der Stadt festgehalten wurde, ist von höchster Schul- und Reformationsgeschichtlicher Relevanz. Sie lautet: „Dem ehrwürdigen Herrn Magister Johannes Honterus für die von ihm aufgewandte große und eifrige Mühe betreffend die Jugend dieser Stadt, um sie in den edlen Wissenschaften und in der Kenntnis der christlichen Religion zu unterrichten und zu bilden, haben wir zum Zeichen unserer Dankbarkeit seiner Herrschaft gegenüber am Montag nach Michaelis 50 Gulden gegeben“. Honterus wird an dieser Stelle mit am klarsten als Motor der schulischen und kirchlichen Erneuerung greifbar. Zugleich wird auch sichtbar, dass sein Einsatz schon länger dauerte, eine Anerkennung desselben aus nicht genanntem Grund offensichtlich noch nicht möglich gewesen ist. Der hemmende Grund ist der Stadtrichter Lukas Hirscher (1527-1541) und seine vorsichtige politische Linie gewesen – genannt auch der kleine Lux und Ehemann von Apollonia Hirscher. Sein Tod am 19. April 1541 hatte den Weg für Baubeginn und Ehrengeschenk gleichermaßen freigemacht. Die neue Entschlossenheit des Stadtrates wird auch in weiteren Bildungsinvestitionen sichtbar: das Jahresgehalt des Rektors stieg, wie bereits erwähnt 1543 auf 100 Gulden und zugleich wurden für 312 Gulden Bücher erworben und für weitere 10 Gulden in programmatischer und einheitlicher Weise gebunden – das teuerste Haus in der Stadt kostete damals 800 Gulden, die allermeisten Häuser waren jedoch nur 50 und weniger, teils keine 10 Gulden wert.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines dritten Gründungsdatums für die Honterusschule. Die Suche danach führt uns ins Jahr 1539, als Honterus begann die erforderlichen Schulbücher für den ersten Bildungszyklus, das Trivium, zu drucken und 1540 für das Quadrivium abschloss. Mit der Einführung des in Trivium und Quadrivium gegliederten Studiums der sieben freien Künste wurde der Kronstädter Schule 1539 ein universitärer Anstrich verpasst, der sich klar auch im Bildungsniveau vom Normalmaß einer Stadtschule abhob. Zur Untermauerung dieses Aspektes und des Jahres 1539 als Gründungsdatum des humanistischen Honterusgymnasiums kommt hinzu, dass sich auch in der Terminologie zur Bezeichnung der Schulleiter 1539 eine Änderung vollzieht, die bis zum Jahr 1544 erhalten bleibt. Die städtischen Rechnungen sprechen davor und danach lediglich vom Rektor der Schule, 1539-1544 vom „rector ludii literarii“, ein offensichtlicher Hinweis auf einen qualitativen Wandel 1539.
Es ist also zusammenfassend festzuhalten, wie das v.a. auch Gernot Nussbächer verschiedentlich herausgearbeitet hat, dass 1539 die inhaltlich-pädagogische Neuausrichtung der Kronstädter Schule erfolgt ist, damit der eigentliche Schritt zu ihrer Entstehung als humanistisches Gymnasium unternommen wurde. 1541 folgte lediglich, bedingt auch durch den an mehreren Stellen erwähnten Schülerandrang, der Beginn zur Schaffung der baulichen Infrastruktur. 1544 sind eine weitere Reorganisation und v.a. die ersten Absolventen zu verzeichnen – als allererster wird Mathias Fronius genannt, der Herausgeber des Eigenlandrechtes der Siebenbürger Sachsen aus dem Jahre 1583.
Somit also dem Honterus-Lyzeum alles Gute zum 50. und der Honteurusschule zum 482. Geburtstag!