Grete Fleischer war bis zu ihrem Lebensende eine geschätzte Klavier- und Musiklehrerin in Kronstadt. Als sie im Mai 1943 nachfolgenden Beitrag schrieb, befand sie sich in ihrem 37. Lebensjahr. Über ihren weiteren Lebenslauf gibt ein Artikel Aufschluss, der in Folge 2/30.6.2018 der „Neuen Kronstädter Zeitung“ unter dem Titel „Grete Fleischer, genannt Tonika – 1906-1970 (für das Klassenbuch eines Jahrgangstreffens)“ erschienen ist. Verfasst wurde er von Grete Fleischers Tochter Irmgard Pelger (1943-2024), selbst ebenfalls Berufsmusikerin und Ehefrau von Mathias Pelger (1938-2019), evangelischer Stadtpfarrer von Kronstadt in den Jahren 1976-2001.
Grete Szabo, verheiratete Fleischer, lernte ihren späteren, aus Bistritz stammenden Ehemann, den Jura-Studenten Emil Fleischer, während des Studiums in Klausenburg kennen. Die Heirat erfolgte 1930. In den Jahren 1940-1944 war Emil Fleischer Vize-Bürgermeister von Kronstadt. Im Januar 1945 wurde er zur Zwangsarbeit nach Russland verschleppt, wo er im Februar 1946 verstarb. Die verwitwete Grete Fleischer, die vier Töchter großzuziehen hatte, verdiente ihren Lebensunterhalt nach dem Krieg als Musiklehrerin an den Kronstädter Schulen mit deutscher Unterrichtssprache, später als Klavierlehrerin an der Volks-Kunstschule und an der Musikschule in Kronstadt. Außerdem erteilte sie privat Flöten- und Klavierstunden (Letzteres auch dem Verfasser dieses Vorspanns in den Jahren 1956-1958).
Grete Fleischers nachstehender autobiographischer Beitrag aus dem Jahr 1943 trägt die Überschrift „Grete Fleischer geb. Szabo (Mittelschullehrerin)“. Es ist einer der sehr wenigen Texte der Dokumentation „Kronstädter Musikerinnen“, die deutlich zu erkennen geben, dass sie in der von der nationalsozialistischen Ideologie dominierten sogenannten Volksgruppenzeit geschrieben wurden. Grete Fleischers Ausführungen zeigen, dass deren Verfasserin – wie viele andere Landsleute auch - eine unkritische Adeptin der damaligen Volksgruppen-Ideologie gewesen ist. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, was wir in der Einführung zu unserer Artikelserie „Kronstädter Musikerinnen“ (KR Nr. 2/16. Januar 2025, Seite III) geschrieben hatten: dass wir die 1943 entstandene Dokumentation über Kronstädter Musikerinnen aus strikt dokumentarischen Rücksichten ungekürzt und unzensiert veröffentlichen wollen, wobei auch die folgenreiche weltanschauliche Verblendung, der damals viele Rumäniendeutsche anheimfielen, nicht unter den Teppich gekehrt werden soll.
Geb. am 24. August 1906 in G˛l˛]eni bei Neumarkt (1).
In meiner Familie scheint die Liebe zum Lehrerberuf erblich zu sein. Meine beiden Eltern, Großväter und zehn Verwandte waren bzw. sind Lehrer. Dass alle gerne singen und musizieren, gehört zum Handwerk. Mein Vater, der jedes Instrument spielte, starb leider allzu früh, so dass ich an seinem reichen Können und Wissen nicht teilhaben konnte.
Ich wuchs im Hause meines Großvaters mütterlicherseits auf, eines geschätzten Schäßburger Lehrers. Mit 7 Jahren lernte ich Klavier spielen und saß von dieser Zeit an in jeder freien Minute am Klavier. Während der 4 Bürger- und 4 Seminarklassen war Gustav Fleischer mein Musiklehrer. Damals war ich noch unentschlossen, ob ich Sprachen, Zeichnen oder Musik studieren solle. Schließlich entschied ich mich für das Letztere und schrieb mich in die staatliche rumänische Musikhochschule in Klausenburg ein. Zunächst belegte ich nur Klavier, denn, um Musikprofessorin zu werden, dünkte ich mich zu unbegabt, da ich doch noch nichts komponiert hatte! Bald merkte ich aber, dass meine Kolleginnen vom Lehrfach auch keineswegs Komponisten von Haus aus waren. So schrieb ich mich kurz entschlossen ein und beendigte in 4 Jahren beide Fächer. Unvergesslich wird mir meine Klavierlehrerin Ana Voileanu (2) bleiben. Ein reifer, feiner Mensch, eine gestaltende Künstlerin, eine geduldige, mütterliche Lehrerin. Wie hat sie es verstanden, uns Bach nahezubringen! Sie und auch die übrigen Lehrer hatten in Deutschland studiert und schätzten an mir die deutsche Art. Sie ließen es mich oft vergessen, dass ich selber im Inland studieren musste. Während meiner Klausenburger Zeit war ich 2 Jahre Lehrerin an der Deutschen Volksschule und hatte außerdem stets mehrere Klavierschüler. Der Einzelunterricht sagte mir nicht zu. Bis heutigentags habe ich lieber eine ganze Klasse vor mir.
Gegen Ende meiner Studienzeit wurde ich an die Kronstädter Mädchenschule gerufen. Damals hatte ich noch Seltenheitswert. Ich war die erste staatl. rumänisch befähigte deutsche Musiklehrerin. Nun hieß es, mich mit dem Liedgut für den deutschen Schulmusikunterricht vertraut machen. Wie gern wäre ich auch nur für kurze Zeit ins Reich gefahren. Aber es winkte die sichere Stelle – und verlobt war ich auch. So durfte ich nicht an eine Studienfahrt denken. Eine Singwoche, geleitet vom bekannten Jugendmusikleiter Alfred Rosenthal-Heinzel, wies mir den richtigen Weg für meine zukünftige Arbeit. Mit heller Begeisterung vertiefte ich mich in das Sing- und Spielgut der Singbewegung (3). Eines muss ich gestehen: Der Übergang aus der Volksschule in die Mittelschule fiel mir nicht leicht. Meine Volksschulkinder hatten mich förmlich angebetet, während mir auf der höheren Stufe manch kritischer, ja spöttischer Blick begegnete. Umgekehrt aber waren diese Kronstädter Kinder so gut musikalisch, dass es eine helle Freude war, mit ihnen zu arbeiten.
Ich experimentierte frisch drauf los mit Tonika – Do (allgemein hieß ich nur Tonika) und kümmerte mich nicht um konservative Eltern, denen die neue Ordnung und die neuen – übrigens alten – Lieder missfielen. Zum Glück hörte ich die abfälligen Urteile des Elternhauses nicht und ging unbeirrt meinen Weg. Die Zeit „arbeitete für mich“. Die Lieder der Singbewegung wurden die der nationalsozialistischen Schule. Das kam meinen Schülerinnen sehr zugute, besonders Absolventinnen der Adele-Zay-Schule (4), die hier und auch im Reich häufig als Musiklehrerinnen der Formationen eingesetzt werden konnten.
Ich selbst bekam mit der Gründung des Frauenwerkes (5) die Musikarbeit im Kreis Burzenland zugeteilt – eine dankbare Aufgabe. Mein schönster Beruf ist aber derjenige der Hausfrau und Mutter. Er bildet die richtige Ergänzung zum Lehrberuf und umgekehrt. Nach den Schulstunden finde ich daheim bei meinen 4 Kindern erst die richtige Entspannung. Und wenn mich die Kleinarbeit des Haushaltes manchmal erdrücken will, gibt mir eine frohe Unterrichtsstunde neue Spannkraft.
Kronstadt, im Mai 1943
Grete Fleischer e.h.