Das Stöbern im Internet nach Fotomaterial über Kronstadt brachte uns irgendwann auch auf die schon in anderen Beiträgen gemeldete Seite orasulmemorabil.ro, eine Fotosammlung mit Aufnahmen vor allem aus Privatbesitz. Unter den zahlreichen Schnappschüssen mit alter Bausubstanz oder Geschehnissen der letzten Jahrzehnte tauchten auch zwei Aufnahmen auf, welche zu diesem Beitrag führten. Beide stammen aus einem besonderen Bestand von Fotomaterial welchen Bomberpiloten der USAAF (United States of America Air Force) angelegt haben und kann unter der Internetadresse: http://www.pbase.com/dwerbil/bomb_plot_gallery eingesehen werden.
Die drei abgedruckten Bilder auf dieser Seite stammen aus diesem Bestand: eine senkrecht gemachte Luftaufnahme von Kronstadt (Foto 1), am 6. Mai 1944, wenige Minuten nach 12 Uhr und eine waagerecht gemachte Aufnahme in der Nähe der Erdölraffinerie (Foto 2) vom 4. Juli. Das Datum der dritten Aufnahme wirft einige Rätsel auf, da es sich um einen Einsatz gegen die Bomberstaffel handelt, welche sich im Bereich des ehemaligen Kugellagerwerkes „Rulmentul“ befand, wobei im Bild aber Markierungen der Bombeneinschläge zu sehen sind, ein Verfahren welches stets nach einem Einsatz gemacht wurde.
Die beiden Aufnahmen führten zu Recherchen nach Fachbeiträgen über den Umfang und Ablauf der Angriffe der Alliierten Luftstreitkräfte während des Zweiten Weltkriegs. Die Ergebnisse finden Sie hier zusammengefasst.
Der Luftkrieg über Europa verfolgte seitens der Alliierten Streitkräfte die Zerstörung der Infrastruktur (Bahngleise, Brücken, Straßen) sowie der militärisch wichtigen Objektive. Diese waren in Kronstadt die Flugzeugfabrik IAR, welche sich auf etwa einem Drittel des heute abgerissenen Traktorenwerkes befand, und die Erdölraffinerie welche in der Honigberger Straße lag (heute auch abgerissen). Nebenziele waren der alte Hauptbahnhof von Kronstadt, der „kleine“ Bahnhof, welcher neben der heutigen Kreuzung der Plevnei/Aurel Vlaicu/Griviţei Straßen lag, die Hangars der Bomberstaffel neben der Flugzeugfabrik und die Wasserversorgung der Stadt, die sich auch damals auf dem Schneckenberg befand. Der Einsatz welcher am 6. Mai 1944 geflogen wurde, trug die Missionsnummer 261 laut Einsatzliste des 32. Bombengeschwaders, das seinen Hauptsitz in Foggia/Italien hatte. Zu diesem Geschwader gehörten die Staffeln 32, 352, 353 und 419, welche in Foggia und auf anderen Ausweichflugplätzen stationiert waren.
Der Einsatzbericht der Mission sieht in der Zusammenfassung der USAAF wie folgt aus: MEDITERRANEAN THEATER OF OPERATIONS (MTO)/ STRATEGIC OPERATIONS (Fifteenth Air Force): About 300 B-17s and B-24s, escorted by P-51s and P-38s, hit targets in Rumania; the B-17s attack an aircraft factory at Brasov and marshalling yard at Turnu Severin; the B-24s bomb Ploeşti/Câmpina marshalling yard and an aircraft factory at Brasov. Demnach flogen 300 Bomber Typ B-17 und B-24, begleitet von P-51 und P-38 Jagdflugzeugen Einsätze gegen die Flugzeugfabrik in Kronstadt, Anlagen bei Turnu Severin und aufb Ziele bei Ploieşti und Câmpina.
Was nicht an dieser Stelle des Berichtes erwähnt wird, ist dass sich unter den Bombern auch Maschinen befanden welche mit Fotokameras ausgestattet waren, um die Erreichung des Zielgebietes sowie die Bombeneinschläge (Militärsprache: plots) zu belegen.
Und tatsächlich kann man auf Foto 1 die Einschläge der Bomben sowie den aufsteigenden Rauch und Staub erkennen. Das Bild erfasst den vollständigen Stadtbereich und die Umgebung. Ganz oben ist ein kleiner Teil der Zinne zu sehen, rechts oben die Langgasse und die Mittelgasse mit der Gabelung neben dem gut sichtbaren Schlossberg. Rauch und Staub der Explosionen steigt hauptsächlich aus den Bereichen um den alten Hauptbahnhof, des IAR-Werkes und der Raffinerie auf. Dabei können aber auch zahlreiche Einschläge ausgemacht werden, welche Wohngebiete trafen. Eine Bombe schlug an dem Tag in die Villa Kertsch ein (heute steht an dieser Stelle das Modarom-Gebäude) und zerstörte einen Teil davon. Beim Vergrößern des elektronischen Bildes kann eine Staubwolke in diesem Bereich sichtbar gemacht werden, mit großer Wahrscheinlichkeit von der eben getroffenen Villa.
Foto 2 wurde am 4. Juli 1944 gemacht, als der gezielte Angriff auf die Raffinerie erfolgte. Dieser hatte den Missionsbefehl 297 und wurde von demselben Geschwader geflogen. Daran beteiligt waren 250 Bomber Typ B-24, die ein Wartungswerk für Eisenbahnwaggons bei Piteşti und eine Brücke als Ziel hatten sowie vom Typ B-17 welche ausschließlich die Erdölraffinerie als Ziel hatten. Begleitet wurden sie auch von Jagdflugzeugen jedoch wegen deren geringerer Reichweite nicht bis in die Zielgebiete. Die schwer getroffene Raffinerie brannte mehrere Stunden und hatte danach nicht mehr ihre volle Leistungskapazität. Der Begleittext diese Fotos ist folgender: „Smoke rises from bomb bursts on oil rafinery at Braşov, Rumania, as Boeing B-17 Flying Fortresses of the 99th Bomb Group, 15th Air Force, leave the target. 4 july 1944. (Taken by S/Sgt. K. W. Heigl).“ „Rauch steigt von den Bombeneinschlägen in der Öl-Raffinerie in Braşov/Rumänien als Boeing B-17 Fliegende Festungen der 99 Bomberstaffel des 15. Air Force Geschwaders das Ziel verlassen. 4. Juli 1944. Aufgenommen von Sergeant K. W. Heigl.“
Über die am Boden hinterlassenen Zerstörungen fanden wir Angaben aus zwei Quellen: Ein Fachbericht, von Ottmar Traşcă vom Geschichtsinstitut „George Bariţ” Klausenburg und der Band „Kriegsverbrechen der Alliierten Siegermächte“ von Pit Pietersen, erschienen im Verlag BoD – Books on Demans, 2006/ISBN 3833450452.
Ottmar Traşcă geht in seinem Beitrag auf alle Einsätze im rumänischen Luftraum über die Gesamtdauer des Zweiten Weltkrieges ein. Schwerpunkt sind natürlich die Angriffe auf den Raum Ploieşti, gefolgt von Bukarest und anderen Zielen, darunter auch Kronstadt. Die von ihm ausgewerteten Quellen sind Telegramme und Berichte des OKW, Protokolle von Lagebesprechungen sowie mehrere Berichte des ungarischen Gesandten in Rumänien während des Zweiten Weltkrieges aus dem Ungarischen und Deutschen Staatsarchiv. In solch einem Bericht, welcher am 10. Juni von Untertömösch/Timişul de Jos unter nicht weiter erläuterten Umständen verschickt wurde, befinden sich einige Zeilen, welche Kronstadt und die Villa Kertsch betreffen. Megyesi Schwartz, Legations-Sekretär, erwähnt in besagtem Schreiben, das übrigens verschlüsselt weitergeleitet worden ist, die Wirkungen der Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung. Dabei übt er scharfe Kritik an den Einheiten, welche mit Löscharbeiten nach den Angriffen beauftragt sind und kaum der Bergung von verschütteten Opfern Achtung schenken. Ein besonderer Fall ist jener eines Leutnants, der erst mehrere Tage nach einem Bombenangriff gefunden wurde und bei dem sich ein Zettel befand auf welchen er mit schwacher Hand die Worte geschrieben hatte: „Es ist Mittwoch und ich lebe noch.“ Als er aber gefunden wurde, war er schon verdurstet oder erstickt. Dieser Fall wurde noch in den 60er Jahren von Kronstädtern, welche die Bombenangriffe von 1944 erlebt hatten, erzählt. Er hatte sich irgendwo im Kellerbereich des zerstörten Flügels der Villa Kertsch zugetragen.
Genauere statistische Zahlen über die Zerstörungen in Kronstadt finden wir in dem Band von Pit Pietersen. Demnach wurden über Kronstadt insgesamt, bei allen Luftangriffen 3361 Sprengbomben abgeworfen. Diese töteten insgesamt 457 Personen und verwundeten andere 361. 364 Wohnungen wurden vollständig zerstört und 1513 nur teilweise oder nur beschädigt.
Die beiden Bombertypen, welche an den Angriffen auf Kronstadt beteiligt waren, Boeing B-17 Flying Fortress und B-24 Liberator, sollen auch mit ihren wichtigsten technischen Daten erwähnt werden.
Die B-17 war ein zehnsitziger, strategischer schwerer Fernbomber mit vier Motoren à 1200 PS, welcher bei Not auch auf 26.700 Fuß Flughöhe steigen konnte um dem Feuer der großkalibrigen Flugabwehrkanonen (FLAK) oder Abfangjägern zu entgehen. Ihre Marschgeschwindigkeit betrug 293 km/h bei 10.000m Flughöhe; die Reichweite mit einer Bombenlast von 2722 kg war von 3219 km. Von Bedeutung betrug die Tragflügelfläche von 131,92 Quadratmetern, welche diesem Typ die Fähigkeit verlieh, notfalls auch nur mit einem einzigen Triebwerk weiterzufliegen. Diese hoch geschätzte Eigenschaft sollte zahlreichen Besatzungen das Leben retten, nachdem ihre Maschinen während der Einsätze, die in geringer Höhe durchgeführt wurden (manchmal unter 50 Meter!), schwer beschädigt den Rückflug antraten.
Die B-24 ähnelte sehr dem Vorläufermodell B-17, konnte jedoch eine größere Bombenlast aufnehmen bei einer allerdings niedrigeren Flughöhe. Zum Selbstschutz gegen Abfangjäger waren beide Typen mit zehn oder zwölf Maschinengewehren bestückt. Diese befanden sich teilweise im Rumpfinneren, teilweise aber auch in vorgelagerten Kanzeln im Unterbereich und im Heck der Flugzeuge. Öfters wurden, um weit außerhalb der Reichweite gelegene Ziele anzufliegen, zusätzliche Treibstofftanks eingebaut, was zu einer Minderung der Bombenlast führte. In solchen Fällen wurde dann die Zahl der am Einsatz beteiligten Bomber aufgestockt. Während der Einsätze im rumänischen Luftraum war die Zahl der beteiligten Maschinen sehr unterschiedlich, der größte Einsatz wurde 1944 mit 600 Bombern ausgeführt.