Geboren 1981 in Kronstadt, studierte Ágnes Bálint Geschichte und Kunstgeschichte an der Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg und promovierte 2012 im Fach Kunstgeschichte an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Im Blickpunkt ihres wissenschaftlichen Interesses liegt die Schwarze Kirche in Kronstadt, insbesondere deren Geschichte im 18. Jahrhundert. Seit 2007 leitet sie das Denkmalressort der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt, das die Aufgaben der Kunstdenkmalpflege koordiniert. Im Jahr 2011 heiratete sie Frank-Thomas Ziegler, mit dem sie zwei Kinder, Boldizsár (2013) und Júnó (2016), hat.Über Geleistetes und Vorhaben sprach mit Dr. Ágnes Ziegler der Journalist Dieter Drotleff.
In diesem Jahr erschien in Budapest in ungarischer Sprache der Band „Die Schwarze Kirche zu Kronstadt – Die Inszenierung der konfessionellen, städtischen und ständischen Identität“, als dessen Autorin Sie zeichnen. In diesem gehen Sie auf die Baugeschichte dieser größten mittelalterlichen Kirche im Südosten Europas ausführlich ein und klären Fragen, die grundlegend für den Bau nach dem großen Brand von 1689, deWiederaufbau und die Gestaltung der Kirche sind. Wie kamen Sie zu diesen Erkenntnissen?
Die Arbeit des Kunsthistorikers gleicht oft der eines Kriminalermittlers – ohne Opfer, natürlich. Man fahndet nach Spuren an den erhaltenen Bauten und Objekten und untersucht die schriftlichen Quellen in der Hoffnung, zu verstehen, wie frühere Generationen gedacht haben, als sie diese uns wertvollen Kunstwerke geschaffen haben. Wir versuchen zu „übersetzen“, welche Inhalte diese Kunstwerke ursprünglich vermitteln sollten und zu beurteilen, welchen Stellenwert die Objekte im Gesamtbild der europäischen Kunstgeschichte haben. Dieses Buch ist das Ergebnis vieler Jahre kunsthistorischer Forschung, während derer ich mich sehr in tensiv mit der Kirche auseinandergesetzt habe. Dieser wenig beachtete Abschnitt der Geschichte der Schwarzen Kirche, nämlich der Wiederaufbau nach dem großen Brand von 1689, begann mich bereits während des Studiums zu interessieren. Ich fand vor allem die ausgefallenen gotisierenden Züge der Einbauten des 18. Jahrhunderts reizvoll: dass es den Kronstädtern offenbar besser lag, im Stil der mittelalterlichen Gotik zu bauen, als in dem des Wiener Barock. Ich bin zum Schluss gekommen, dass sie mit dieser Stilwahl – vereinfachend gesagt – die spätmittelalterliche Blütezeit der Stadt vor aller Augen neu aufleben lassen und die ungebrochene Kontinuität der Gemeinde an dieser Stelle in Zeiten der politischen Unsicherheit zum Ausdruck bringen wollten. Freilich sind die im 18. Jahrhundert geschaffenen gotischen Formen keine „reine“ Wiederaufnahme der Gotik.
Sie können den Zeitgeist der siebenbürgischen Spätrenaissance nicht verleugnen, der im Falle der Steinmetzarbeiten spannende Bezüge zu Kleinadelsbauten im Szeklerland und zu Brâncovenesc-Bauten in der Walachei gezeitigt hat. Während der Forschung enthüllte sich aber auch schrittweise der außergewöhnliche Reichtum an gesellschaftlichen Phänomenen dieses Zeitalters. Ich stellte fest, dass die Untersuchung des Wiederaufbaus nicht bloß zahlreiche Daten für die Bauchronologie erschloss, sondern auch viele Einsichten zum Gemeindeleben, zur Stiftungspraxis, zu den Diskursen und Denkweisen aus den Ereignissen der Jahrzehnte nach dem Brand mit sich brachte. Um das Geschehen des 18. Jahrhunderts angemessen zu deuten, bin ich zudem dazu übergegangen, auch die sonstige Geschichte der Schwarzen Kirche neu zu bewerten, von den Anfängen bis zum 21. Jahrhundert. So ist eine runde Monographie entstanden, die eine Zusammenfassung des heutigen Kenntnisstands zur Kirche bietet – einschließlich der neuen Ergebnisse.
Ihre Arbeit baut auf einer reichen Bibliographie auf und umfasst zahlreiche Illustrationen, die den Band zu einem wichtigen Nachschlagewerk machen. Welches war der Grund, diesen in ungarischer Sprache zu veröffentlichen? Handelt es sich dabei um Ihre 2012 verteidigte Dissertation?
Genau das ist der Grund. Ich selbst bin Kronstädter Ungarin und habe über dieses Thema an der Eötvös- Loránd-Universität in Budapest promoviert, wo ich die Dissertation in ungarischer Sprache verfasst und 2012 verteidigt habe. Im Jahr 2017 habe ich auf Anregung meiner lieben Freundin und Kollegin am Ungarischen Nationalmuseum, Dr. Erika Kiss, einen Druckkostenzuschuss beantragt. Daraufhin erhielt ich für die Drucklegung des Buchs Unterstützung von der Reformationsgedenkkommission sowie vom Ungarischen Forschungsfonds. Die zugesprochene Förderung hat dankenswerterweise Redaktions- und Druckkosten gedeckt. Es waren jedoch keine Mittel für die Übersetzung des mehrere Hundert Seiten langen Manuskripts vorhanden. Angesichts des wachsenden Interesses, das diesem Buch entgegen gebracht wird, würde ich mich sehr freuen, wenn es auch in deutscher Sprache erscheinen könnte – jedoch hängt die Verwirklichung der deutschen Fassung davon ab, ob die Herstellungskosten durch Fördermittel gedeckt werden können. Noch suchen wir nach entsprechender Unterstützung.
Wie ist der Übergang von der vorreformatorischen zur nachreformatorischen Zeit verlaufen, denkt man an die Gestaltung des Kircheninneren, die Verwendung der Paramente und der Abendmahlskelche im Verlauf der Gottesdienstfeiern?
Dieser Übergang war überraschend sachte. Früher hat man sich das Reformationsereignis oft als sehr leidenschaftlich vorgestellt und sehr eng mit dem Phänomen Bildersturm verbunden. Heute sehen wir, dass die äußeren Veränderungen in vielen Gebieten Europas nicht sonderlich radikal waren. Das bedeutet auf keinen Fall, das die Reformation nicht allumwälzend war, ganz im Gegenteil, sie hat geistige Veränderungen herbeigeführt, die unsere Spiritualität bis heute nachhaltig prägen, unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit. Es war den Menschen damals aber wichtig, Traditionen fortzuführen, die Erinnerung an ihre Vorfahren lebendig zu halten und nicht zuletzt den Sakramenten und dem Gottesdienst Ehre zu erweisen. Aus diesem Grund entschied man sich in Kronstadt – und das Phänomen ist wohl symptomatisch für ganz Siebenbürgen – dazu, einen Großteil der mittelalterlichen Goldschmiedearbeiten und Messgewänder auch nach der Reformation zu behalten und innerhalb des evangelischen Gottesdienstes weiter zu benutzen. Später, als sich in Siebenbürgen auch radikalere Strömungen wie die der Calvinisten und Antitrinitarier etabliert hatten, wurden diese äußeren Zeichen zu Ausdrucksmitteln des lutherischen Selbstverständnisses. Sie halfen, zum Ausdruck zu bringen, dass die lutherische Kirche eine „mittlere“ Stellung zwischen der katholischen und z.B. der calvinistischen Kirche einnahm.
Die Schwarze Kirche ist bekanntlich im Besitz von rund 200 wertvollen osmanischen Gebetsteppichen. In den letzten zwei Jahren wurde in Zusammenarbeit mit den Paz Laboratorien für Archäometrie ein Forschungsprojekt durchgeführt, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt Finanzierung erhielt. Welches sind die Schlussfolgerungen, die nach Abschluss dieses Projektes gemacht werden konnten?
Ziel des erwähnten Projektes war es, festzustellen, in welchem Maße die osmanischen Teppiche durch die Behandlungen mit Insektenschutzmitteln der Vergangenheit kontaminiert wurden und welche Möglichkeiten es gibt, um die Giftstoffe aus diesen Objekten schonend zu entfernen. Unter den größten Feinden der Teppichsammlungen sind die Schädlinge, vor allem Motten und Teppichkäfer. Vorwiegend im 20. Jahrhundert, als die Teppiche – abweichend von ihrer historischen Nutzung – statisch ausgestellt oder aufgerollt und unberührt in Sakristeien aufbewahrt wurden, wuchs dieses Problem erheblich. Das Zeitalter hatte darauf eine gefällige Antwort: Chemie. Unsere Vorfahren konnten nicht wissen, dass die Biozide, mit denen sie die Teppiche im Zuge mehrerer Kampagnen behandelten, in den Fasern haften bleiben und gesundheitsschädlich wirken. So haben heute praktisch alle Museen der Welt, die eine Textilsammlung verwalten, ein Problem mit der Kontaminierung. Infolge unseres Großprojektes haben wir jetzt ein ziemlich genaues Bild über den Kontaminierungsgrad jedes einzelnen Teppichs und verfügen über eine Infrastruktur, die es uns erlaubt, in Sicherheit mit diesen Objekten zu arbeiten.
Der Paramentenschatz der Schwarzen Kirche ist einer der bedeutendsten in Mitteleuropa und wurde im Bestandskatalog „Liturgische Gewänder in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt in Siebenbürgen“, der 2015 erschien und zu dessen Autorinnen Sie zählen, vorgestellt. Werden die Forschungen zu diesem bedeutenden Schatz liturgischer Gewänder des Mittelalters und der Frühen Neuzeit noch fortgeführt?
Mit dem großformatigen Katalog sind die Forschungen zum Paramentenschatz der Schwarzen Kirche weitestgehend abgeschlossen. Das Forschungsprojekt, als dessen Krönung das Buch erschienen ist, hat über fünf Jahre gedauert und hat alle Aspekte dieser Objekte sehr gründlich untersucht. Eine detaillierte Bestandsaufnahme wurde geleistet, die den Schnitt und die einzelnen Stoffe, aus denen sich jedes Objekt zusammensetzt, aufzeichnet, inklusive textiltechnologischer Analysen sowie einer Untersuchung der genutzten Nähfäden. Die Umstände der Herstellung und der Stiftung der Gewänder wurden erforscht. Es wurde der geistlich-konfessionelle Kontext ihrer Entstehung erläutert und die einzelnen Gewänder wurden auch kunsthistorisch verortet. Das umfassende Projekt wurde zum großen Teil durch dieAbegg-Stiftung (Riggisberg/Schweiz) getragen, hauptsächlich durch ihre Mitarbeiter PD Dr. Evelin Wetter und Corinna Kienzler, die die Forschungen in Kronstadt durchgeführt und die Beiträge verfasst haben. Man kann also sagen, dass unsere Generation vielleicht nichts mehr zur Forschung der Paramente beisteuern wird können, es warten aber weitere wertvolle Bestände der Schwarzen Kirche darauf, erschlossen zu werden. Dazu gehören in erster Linie die Stützpfeilerstatuen, die Grabsteine und die Vasa sacra.
Welche Maßnahmen wurden getroffen, um sowohl die Paramente als auch die Teppiche für die Zukunft zu sichern? Vor Jahren gab es eine eigene Restaurierungsstelle für diese. Wie werden gegenwärtig erforderliche Eingriffe an diesen vorgenommen?
Tatsächlich funktionierte in Kronstadt zwischen 1973 und 1998 eine Textilrestaurierungswerkstatt unter der Leitung von Era Nussbächer (1913–2003), die die Aufgabe der Restaurierung der textilen Kunstgüter anfangs im Dienste der Honterusgemeinde, später dann für die gesamte Landeskirche übernahm. Diese Werkstatt dürfte – neben der gleichzeitig tätigen Altarrestaurierungswerkstatt – auch heute noch vielen Kronstädtern in lebendiger Erinnerung sein. Das aktuelle Denkmalressort der Kirchengemeinde ist demgegenüber weitgehend als Koordinationsstelle ausgelegt. Die einzelnen Restaurierungsaufgaben – die gegenwärtig dank der oben erwähnten früheren Werkstätten vorerst in zu bewältigendem Umfang anfallen – werden an externe Fachrestauratoren vergeben. Statt aufwändige und spektakuläre Objektrestaurierungen zu veranlassen, setzen wir heute vielmehr auf die sorgsame Gewährleistung des guten Zustands der Kulturgüter. Die Objekte werden regelmäßig gründlichen Kontrollen unterzogen, so dass wir bei den kleinsten Zeichen einer Veränderung oder Gefährdung rasch eingreifen und das Gleichgewicht wieder herstellen können.
Außer den in der Schwarzen Kirche zu besichtigenden Kunstwerken besitzt die evangelische Kirche A.B. Kronstadt auch noch weitere Kunstgegenstände. Werden diese den tausenden Besuchern gelegentlich in Ausstellungen oder eigenen Publikationen vorgestellt, oder wird für die Zukunft an die Einrichtung eines eigenen Museums gedacht?
Dass es zu den Träumen unserer Kirchengemeinde gehört, ein eigenes Museum zu errichten, ist für unsere Leser vielleicht kein Geheimnis mehr. Wenn wir dem Publikum die zum Leben der Schwarzen Kirche ehemals gehörigen Kunstobjekte breiter vorstellen könnten, wäre dies eine schöne Gelegenheit, mehr über das Leben, das Denken und den Glauben der Gemeinde mitzuteilen. Allerdings gehören Museen heutzutage zu den kostspieligsten Unterfangen: Eine Immobilie mit spezieller Technik auszustatten, damit wertvolles Kunstgut unter sicheren Bedingungen aufbewahrt werden kann, übersteigt die Möglichkeiten einer Kirchengemeinde. Deshalb werden wir in der nächsten Zukunft andere Brückenschläge dadurch unternehmen, dass wir dem Publikum die Bestände verstärkt durch kleinformatige Ausstellungen und Publikationen zugänglich machen.
Sie bauen bei der Wahrnehmung Ihrer Aufgaben sehr viel auf internationale Zusammenarbeit mit Kunsthistorikern und Fachinstitutionen, und Sie erhalten auch finanzielle Unterstützungen für verschiedene Forschungsprojekte. Würden Sie auf einige dieser kurz eingehen?
Wir suchen die Zusammenarbeit mit Fachleuten aus dem Ausland, um von ihnen zu lernen. Wir möchten uns eine moderne, dynamische, ethisch korrekte Arbeitsweise aneignen. Zwei der wichtigsten Projekte dieser Art waren das sogenannte „Teppichprojekt“, das über mehrere Projektphasen hinweg auf die Erarbeitung eines Systems für die Erhaltung der osmanischen Teppiche gezielt hat, sowie das Katalogprojekt zu den Paramenten der Schwarzen Kirche. Aktuell arbeiten wir mit dem Germanischen Nationalmuseum (Nürnberg), dem Ungarischen Nationalmuseum (Budapest) und dem Evangelischen Landesmuseum (Budapest) zusammen.
Welches sind Ihre gegenwärtigen Projekte, an denen Sie als Leiterin des Denkmalressorts der Schwarzen Kirche arbeiten, oder die Sie für die Zukunft in Sicht haben?
Aktuell sind Bestandssicherungsaufgaben vorrangig. Die gesamte Sammlung wird nach aktuellen konservatorischen Kriterien neu inventarisiert und die Aufbewahrungsbedingungen werden entscheidend verbessert. Für die nähere Zukunft steht die ausführliche Bearbeitung des Bestands liturgischer Geräte an – etwa die der Kelche, Patenen und Abendmahlskannen. Gleichzeitig arbeiten wir mit den restlichen Bereichen des Pfarramts, etwa mit dem Bereich Schwarze Kirche, der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, eng zusammen, um die Vermittlung unserer Überzeugung, unserer Gegenwart und Vergangenheit an unsere Gäste zu verbessern, und regelmäßig auch mit der Immobilienverwaltung der Gemeinde, wenn es um die Restaurierung von denkmalgeschützten Bauten geht.
Auch im Namen unserer Leser danken wir Ihnen für diese Ausführungen!