Kurz nach acht Uhr, an einem Samstagmorgen im Februar, kommen die ersten Kunden an. Manche drehen eine Runde auf dem überschaubaren Gelände in der Nähe des ehemaligen Haupteingangs des Kronstädter Lkw-Werkes. Auch da muss es vor Jahrzehnten noch eine industrielle Tätigkeit gegeben haben. Davon zeugt das Beton- und Stahlgerüst einer Werkhalle von einst.
1 Leu pro Person, 3 Lei pro Auto
Es ist kalt; der Schnee ist nicht geschmolzen, so dass darüber Decken, Folien und Planen ausgebreitet werden. Dorthin gelangt die Ware, die aus Tragtaschen, Koffer, Rucksäcken ausgepackt wird. Wer früh genug erscheint, kann als Verkäufer sogar mit dem Wagen vorfahren, einen Platz finden und das Mitgebrachte direkt aus dem Kofferraum oder der hinteren Sitzbank verkaufen. Stände, Tische und Stühle gibt es sehr wenige – ansonsten werden sie als Klappstühle und -tische von zu Hause mitgebracht oder hier vor Ort aus Stangen und Brettern improvisiert. Auch manch alter Container hat ein neues Leben als Mini-Depot oder Kleinstladen begonnen.
Da, wo man sich günstige Preise erhofft und wo man auf der Suche nach einem Schnäppchen oder einer Überraschung ist, gibt bereits die Eintrittsgebühr Bescheid, dass man hier richtig liegt. Der Eintritt ist so gut wie frei: nur 1 Leu zahlt man als Besucher oder Verkäufer; 3 Lei zahlt man für einen Pkw. Die Eintrittskosten zu diesem privaten umzäunten Grundstück kommen einem Hilfsverein („Suflet pentru săraci“) zugute. Tatsächlich gibt es da auch eine Tür zu einem grauen Betonquader mit der Beschriftung, es sei der Eingang zu einer Notunterkunft für Obdachlose, wobei gleich darunter steht: „Eintritt verboten“ - wahrscheinlich für die Nicht-Obdachlosen.
Daneben tritt man in eine große Halle ein – der Ort wo alles zu kaufen, zu verkaufen oder zu tauschen möglich sei – wie es in der Eigenwerbung des Flohmarktbetreibers heißt. Viel ist jetzt da nicht los. Wahrscheinlich, weil es drinnen überhaupt nicht gemütlicher und gar nicht wärmer als draußen ist. Dort zumindest kann man sich einen Kaffee oder Glühwein im Pappbecher kaufen und, damit in der Hand, Ausschau nach einem günstigen Einkauf halten. Im Sommer war das Angebot an Ware viel größer, die Besucherzahl ebenfalls. Jetzt scheinen, zumindest in den Morgenstunden, nur die Stammkunden da zu sein, die gezielt nach etwas suchen. Sei es eine der alten Schallplatten, die für 1 Leu oder für 4 Lei je Fünfer-Plattenset zu haben sind, oder kleine Spielzeugautos oder ein gewisser Kabelanschluss aus einer Unmenge von Kabeln.
Ein Überangebot
Werkzeug für Garten und Haushalt, sogar Kettensägen, Äxte, aber vor allem jede Menge Schraubenzieher, Sets von Schraubenschlüssel liegen herum. Das meiste davon ist nicht neu, aber spottbillig. Manche scheinen da ihre alten Bestände an Werkzeug, Büchern, Haushaltsgeräten, selbst an Kleidern, Knöpfen, Schrauben, Schlüsseln und Nägeln loswerden zu wollen. Bei diesen Warenkategorien ist das Angebot eindeutig viel größer als die Nachfrage. Gut für den Kunden, würde man sagen – aber diese sind ziemlich rar. Trotzdem wird auch gefeilscht, weil das einfach zu einem Flohmarkt, oder Talcioc wie er hier genannt wird, dazugehört. Manche Verkäufer scheinen sich gut zu kennen, weil sie wohl Woche für Woche hier auftauchen. Sie spaßen miteinander, bieten sich gegenseitig etwas von zu Hause zum Essen oder Trinken Mitgebrachten an und vertreiben sich so die Zeit.
Die Wintersaison ist nicht vorbei, so dass vor einem Kleinbus eine ganze Wand von Skiern aufgestellt wurde. Daneben reihen sich die Klappschuhe. Gebrauchtware – aber scheinbar im guten Zustand. Die Kälte und der Schnee tut den paar Flachbildfernsehern oder der Vielfalt von Handys mit Sicherheit nicht gut. Wer eventuell von da mit einem Fernseher nach Hause geht, muss viel Vertrauen entgegenbringen – denn ausprobieren kann man da nichts, weil kein Stromnetz vorhanden ist. Einen Garantieschein gibt es offensichtlich nicht. Und ein überaus günstiger Preis dürfte eher ein Hinweis sein, dass nicht alles mit der Qualität (oder Herkunft) der Ware stimmt. Von Polizei oder Ordnungskräften war an diesem Tag kein uniformierter Vertreter zu sehen.
Kein Ende für den Flohmarkt
Trotz neuer und älterer Einkaufszentren und Discountläden, trotz der Möglichkeit, eine Vielfalt von Produkten online zu vergleichen, zu bestellen und nach Hause geliefert zu bekommen, trotz anderer, günstiger gelegener Stellen (z.B. in Bartholomä, oder in der Uranus-Straße in Nachbarschaft des Astra-Marktes oder des nun überdachten Mittwoch-Marktes nahe der Petersberger-Straße) – alles Orte die man als Basar bezeichnen könnte mit viel Billigware aus China, der Türkei oder Moldawien und Ukraine -, trotz Second-hand-Handel in Kleidungsläden – trotz all dieser Konkurrenz ist in Kronstadt nicht an ein Ende des Flohmarktes zu denken. Die Stadtverwaltung hat zwar diesen „Talcioc“ zeitweilig versetzt und geschlossen – er ist aber aus seiner eigenen Asche auferstanden und überlebt selbst an frostigen Winterwochenenden. Weil es nirgends billiger sein kann und weil viele jeden Leu sparen wollen oder brauchen können; weil es für andere wiederum unterhaltsam sein kann, auf dem Flohmarkt herumzuschnuppern und viel-leicht etwas zu entdecken, was Unerkanntes und Wertvolles in sich birgt … oder was irgendwann wieder auf dem Flohmarkt landet.
Ralf Sudrigian