Man gewohnte sich auch an diese geschaffenen Zustände, denn in Sachen Strom hatten die Heldsdörfer inzwischen einen starken Geduldsfaden. Der technische Nachholbedarf setzte bald ein. Elektrische Waschmaschinen, Radios, Plattenspieler etc. wurden dutzendweise gekauft. Anfang 1960 wurde der erste private Fernseher durch die Brüder Ernst und Hans Otto Tittes (damals Haus-Nr. 178/164) in Betrieb genommen. Etwa ab 1961 begannen die elektrischen Wasserpumpen und ab 1969 die elektrischen Wasserbereiter (Boiler) Einzug zu halten. Ab 1968 begannen die Gefriertruhen ihren Siegeszug, eine absolute Notwendigkeit bei der sich verschärfenden Fleischkrise. Es folgten ab 1972 die Vollwaschautomaten, die es auch aus der Inlandsproduktion gab.
Kaum drei Jahre nach dem Anschluss an das Verbundnetz wurden die technischen Installations-Bestimmungen geändert. Es durften nicht mehr zwei Freiluft-Leitungssysteme mit verschiedenen Spannungen übereinander geführt werden. Folglich wurde ein Erdkabel verlegt und die 1000 Volt Freiluftleitung abmontiert. Statt gleich ein 6 kV Erdkabel zu verlegen um die Spannungsverluste zu reduzieren, wurde ein 1000 Volt Kabel verlegt, wodurch sich der vorherige Zustand nicht änderte.
Im Jahre 1963 wurde das Hühnerkombinat (Avicola) in Betrieb genommen. Anfangs waren dort auch Brutmaschinen installiert und diese mussten aus Sicherheitsgründen aus zwei Leitungen mit Strom versorgt werden. Die 6 kV-Leitung Zuckerfabrik – Neudorf – Schnakendorf wurde beim Kombinat aufgespalten, denn inzwischen war Schnakendorf auch über Zeiden an das Verbundnetz angeschlossen. Zwangsweise wurde nun Heldsdorf über die „Schnakendorf-Linie“ mit Strom versorgt.
Diese im billigen Dreileiter-System (ohne Leiter für Überspannungsschutz) ausgeführte Leitung führt von Schnakendorf zwischen Hechtbach und Neudörfer Wald nach Neudorf durch ein äußerst blitzgefährdetes Gebiet, wodurch Heldsdorf mit noch einem Übel belastet wurde. Wenn in der Gegend ein Gewitter losbrach, so ging, wenn nicht mit dem ersten, dann sicher mit dem zweiten Blitzschlag auch das Licht aus. Bis zur Wiedereinschaltung dauerte es oft bis zum nächsten Morgen.
Im Zuge der Modernisierung und Herabsetzung der Verluste im Verteilungssystem wurden die Hausanschlüsse durch Leiter aus Aluminium mit großem Querschnitt ersetzt. 1978 wurde auch das Straßennetz erneuert. Im selben Jahr wurden auch die Transformatoren mit neuen Zuleitungskabeln im Schleifensystem (mit Reserveanschluss) versehen und zur 20 kV Einspeisung übergegangen. Damit waren nun endlich die Dummheiten des Ministers beseitigt, wozu es immerhin 20 Jahre bedurfte. Das Verteilernetz wurde weiter ausgebaut, die meisten Betriebe hatten eigene Transformatoren aber auch für die Privatverbraucher wurden weitere Transformatoren installiert.
Am Rande sei noch erwähnt, dass der Heldsdörfer Hattert von über 600 Strom- und Telefonmasten durchfurcht wird, einige von nationaler Bedeutung. Hätten das wohl unsere Vorfahren erlaubt?
Kaum hatte nun Heldsdorf endlich ein technisch normales Versorgungssystem wurden seine Bewohner mit den lästigen Stromabschaltungen in der Endphase des Ceauşescu-Regimes schikaniert. Nach den Kronstädter Arbeiterunruhen vom November 1987 wurde der Strom nicht mehr abgeschaltet aber rationiert und dadurch unbezahlbar gemacht.
In dieser Zeit der Energiekrise hatte man sich auch der Kleinkraftwerke am Neugraben erinnert, die nun als Mikrozentralen bezeichnet wurden. Im April 1988 wurde mit dem Wiederaufbau des Heldsdörfer Elektrizitätswerkes durch das Kronstädter Bau- und Montageunternehmen ICIMB begonnen.
Binnen kurzer Zeit wurde der Oberkanal aus Eisenbeton, beidseitig umfriedet mit Stacheldraht und die Schleuse neugebaut. Der Unterkanal musste neu gegraben werden. Vor dem ehemaligen Turbinengebäude wurde ein neues Maschinenhaus errichtet. Das Abwasser nach den Turbinen sollte unter dem alten Turbinenhaus in Rohren in den Unterkanal geleitet werden. Der Beton war aber nicht zu knacken und so wurden die Rohre neben dem Gebäude verlegt. Es wurden zwei Pelton-Turbinen mit 100 kW und 75 kW Generatoren installiert.
Dieses Kraftwerk ist nie in Betrieb gegangen und ist als Bauruine dem Verfall preisgegeben.
Nach 1990 hat sich strommäßig in Heldsdorf nicht viel getan. Neben der Erweiterung des Telefonnetzes wurde auf die Leitungsmasten noch ein Fernsehkabelnetz gesetzt. Das Verteilungsnetz wurde in die Neubaugebiete erweitert und die Straßenbeleuchtung neu installiert.
Eine berechtigte Frage bleibt noch zu beantworten. Was ist mit den alten Anlagen des E-Werkes geschehen?
Nach dem Anschluss an das Verbundnetz wurde die Stromerzeugung eingestellt. Mit der Turbine wurde noch einige Zeit die Mühle über die Hauptantriebswelle betrieben bis durch den Verschleiß des Rotors dieses nicht mehr möglich war. Durch die geöffnete Schleuse wurde das Wasser in den Unterkanal abgeleitet und der Oberkanal trocken gelegt. Die neuen Anlieger begannen nun die Platten der Seitenwände zu klauen um sie als Beton strecker beim Bau ihrer Häuser zu verwenden oder sogar als Gehwege zu nutzen.
Im Jahre 1972 wurden der Diesel und die Turbine regelrecht verschrottet. Was nicht auseinander geschraubt werden konnte, musste mit dem Schweißbrenner getrennt werden. Den Auftrag führte die Werkstatt der Staatsfarm durch. Manche der Mitarbeiter gingen mit einem wehmütigen Gefühl an die Arbeit, wussten sie doch, dass sie ein Stück Geschichte Heldsdorfs zerstören mussten.