Vor Kurzem erschien im Berliner Frank & Timme-Verlag der Band „Horizonte. Über Hans Bergels literarisches Werk“, herausgegeben vom Bukarester Germanisten Prof. em. Dr. George Guțu. Der Band enthält 23 Arbeiten ausgewiesener Kenner aus fünf Ländern. Der bald 94 Jahre alte grenzüberschreitend bekannte Schriftsteller arbeitet gegenwärtig am 3. Band seiner Romanfolge. Auch wird er vom 7. - 9. Mai in Klausenburg bei drei Veranstaltungen dabei sein: Eine Literaturlesung vor Studenten, dann mit einem Vortrag über „Politische Hintergründe der Familienzusammenführung“, sowie sich an einer Präsentation des kürzlich erschienenen Buches von Prof. em. Gheorghe Mușat über das Jugend-Festival Bayreuth beteiligen, das von seinem Bruder Erich Bergel 1972 – 1980 geleitet wurde. Hans Bergel antwortete freundlich Dieter Drotleff auf einige von diesem gestellte Fragen.
Der Band „Horizonte“ ist nicht das erste Buch zu Deinem Werk und zu Deiner Person. Wie nimmt ein Buchautor Sekundärliteratur dieser Art zur Kenntnis?
Jedes Mal erstaunt - und natürlich auch dankbar. Erstaunt darüber, was kluge Literaturhistoriker und -wissenschaftler, Formanalytiker und Biografen über meine Schriften und mich mitzuteilen haben, dankbar für jedes erkennende und anerkennende Wort. Mein Staunen gilt dabei ebenso der Wissenschaftlichkeit wie der Interpretations- und Einordnungsintelligenz. Ich verdanke ihnen Detailerkenntnisse über mein Schreiben, zu denen ich ohne ihre Befindungen nicht gekommen wäre.
Sag, bitte, Näheres für unsere Leser darüber.
Wenn die Wiener Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Martschini feststellt, dass sich die Stoffmasse des Romans „Die Wiederkehr der Wölfe“ - die Kriegsjahre 1939 bis 1945 - anders als mit „polyphoner Erzähltechnik“ nicht bewältigen ließ, wird mir eine Handhabung des Erzählens bewusst, der ich mich bei der Niederschrift des Romans ausschließlich intuitiv bediente. Vergleichbares gilt für die Analyse der Novelle „Die Rückkehr des Rees“ durch den mit außerordentlichem, ja genialem exegetischen Können zu Werke gehenden Peter Motzan.
Es liegen bisher - sofern ich unterrichtet bin - sechs Bücher vor, die sich mit Dir und Deinem Werk beschäftigen. Nimmt eines davon einen bevorzugten Platz in Deiner Bewertung ein?
Schon allein daher nicht, weil jedes davon mit anderem Anliegen geschrieben wurde.
Die Berliner Historikerin Renate Windisch-Middendorf nennt Dich den „Chronisten des 20. Jahrhunderts“. Bezieht sie sich dabei auf die Romane „Wenn die Adler kommen“ und „Die Wiederkehr der Wölfe“?
In beiden Romanen erzähle ich europäische Geschichte des verflossenen Jahrhunderts vom Ersten Weltkrieg, (1914-18) bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1939-45) am Beispiel einer siebenbürgischen Familie, genauer Großfamilie. Das wurde von der Literaturkritik auch so verstanden. Der Literaturhistoriker Markus Fischer, ehemals Heidelberg, nannte z. B. den Roman „Die Wiederkehr der Wölfe“ einen „europäischen Zeitroman“. Als den Chronisten des 20. Jahrhunderts bezeichnete mich Frau Windisch-Middendorf mit Blick auf „Die Wiederkehr der Wölfe“ und dessen Vorgängerroman „Wenn die Adler kommen“. Auch unter meinen rund 80 Novellen und Erzählungen finden sich nicht wenige, in denen ich ebenfalls europäische „Geschichte in Geschichten“ verarbeite. Kein deutschsprachiger Autor aus Südosteuropa hat sich mit dem Kommunismus erzählerisch wie theoretisch so ausgiebig auseinandergesetzt wie ich.
Horst Samson schrieb in diesem Zusammenhang von der „geerdeten Genauigkeit“ Deines Erzählens, das der Kölner Matthias Hakuba „fast bestürzend“ nennt. Ist es ein Grundsatz Deines Erzählens, den Gegenstand historisch genau zu verankern?
Mit wenigen Ausnahmen halte ich mich beim Erzählen an das Reale. Es ist mir ein primäres Bedürfnis und Anliegen, den Stoff an die Greifbarkeit des historisch Faktischen zu binden. Das hängt, denke ich, mit meiner Biographie zusammen. In meinem Leben ereignete sich - ob ich’s wollte oder nicht - so vieles, dass ich, erstens, nicht außerhalb meiner Vita nach Stoffen suchen muss, und dass ich, zweitens, entsprechend dieser Vorlage zumindest den Hintergrund dem realen Ereignis entnehme. Es hat außerdem auch mit meiner Neigung zum Konkreten zu tun.
Nennst Du Beispiele dafür?
Ich verfuhr bereits mit meiner ersten, im Winter 1945 bis Frühjahr 1946 geschriebenen, 1957 im Bukarester „Jugendverlag“ veröffentlichten Erzählung „Fürst und Lautenschläger“ so. Zunächst preisgekrönt, wurde sie mir zum Verhängnis, das heißt, sie trug mir eine Verurteilung zu 15 Jahren Gefängnis ein. Auch im Roman „Der Tanz in Ketten“, 1977, folgte ich diesem Prinzip; er bescherte mir übrigens die Ehre, 2011 von Ana Blandiana als der beste Roman über die stalinistische Epoche Rumäniens bezeichnet zu werden. Nicht anders sind die Romane „Wenn die Adler kommen“ und „Die Wiederkehr der Wölfe“ entworfen. Beide gibt es seit 2015 auch in rumänischer Fassung, sie ist von solchem Niveau, dass die Übersetzer ausgezeichnet wurden.
Du zählst rund 50 eigene Buchtitel, dazu Hunderte von Essays, Studien, Radio-Features, ungezählte biographische Arbeiten über Künstler, Schriftsteller, Forscher zu Deinem Werk. Rechne ich die politisch bedingte gewaltsame Unterbrechung Deiner Autorenaktivität nach, ergibt sich eine mehr als beachtliche Bilanz Deines bisherigen literarischen Schaffens. Erst recht, da ich weiss, dass Du nach der Emigration, menschenrechtlich motiviert, 1969-1989 politisch agiertest. Du bist bald 94 Jahre alt und arbeitest immer noch an literarischen Vorhaben. Wie macht einer das?
Mit dem Rat des großen Horaz „Carpe diem“, „Nütze den Tag“, allein ist es nicht getan. Ohne die Lust am Schreiben, ohne die Neugier, mich immer wieder auf das Abenteuer „Sprache“ einzulassen, brächte ich keine Zeile zustande, bliebe das „Carpe diem“ eine Floskel. Bei mir ist es zuallererst der Reiz des Wagnisses, mich jedes Mal von Neuem am Anspruch der sprachlichen Formulierung zu messen.
Zu Deinem Ruf als Schriftsteller gehört Deine ehemalige politische Aktivität im Zeichen der Menschenrechte.
Nach der Emigration aus Rumänien, 1968, brachte ich’s nicht übers Herz, die Not vieler siebenbürgischer und Banater Landsleute zu vergessen. Entsprechend dem Rat Heinrich Bölls: „Einmischung erwünscht!“ ergriff ich die Initiative, als ich Unsicherheiten deutscher Politiker und siebenbürgischer Vertreter im Verhalten Bukarest gegenüber feststellte. Mehr hierüber vielleicht zum nächsten Mal. Doch verschweige ich nicht, dass seit einiger Zeit über Strategien und Mechanismen der „Familienzusammenführung“ in Wort und Schrift unstatthaft viel Falsches erzählt wird. Das entstellt die Geschichtsschreibung der beiden Ethnien.
Nach längerer Unterbrechung arbeitest Du wieder am Band III der Romantrilogie, deren Band I und II der „Adler“- und der „Wölfe“-Roman sind. Gründe der Unterbrechung?
Mein Zorn und meine Ohnmacht angesichts bestimmter politischer wie gesellschaftlicher Vorgänge und Erscheinungen in Europa, besonders in Deutschland. Ich brauchte Zeit, um deren definitiven Charakter und die Vergeblichkeit zu begreifen, gegen sie anzukämpfen. Entwicklungen, zu denen es aus der Logik des geschichtlichen Geschehens heraus zwangsläufig kommt, sind vom Einzelnen nicht steuerbar, geschweige denn aufzuhalten.
Was bedeutet dem Menschen und Buchautor Hans Bergel die siebenbürgische Herkunft? Blieb nach einem halben Jahrhundert Deines Lebens in Deutschland etwas davon erhalten?
Ich ging 1968 aus Siebenbürgen nicht fort, um es zu vergessen. Nach dreimaliger Kerkerhaft ging ich fort, um meine Familie mit drei minderjährigen Kindern zu retten. Ich ging aus äußerster Existenznot. Je länger ich allerdings in Deutschland lebe, umso bewusster werden mir Spezifika meines hierher mitgebrachten Selbstverständnisses - Werte, die ich nicht preiszugeben bereit bin.
Abschließend bitte ein paar Stichworte darüber.
Kurz: Mein republikanisches, mein demokratisches Verständnis als „zoon politikon“, wie Aristoteles das Gesellschaftswesen Mensch nannte, gründet auf Erfahrungen, die ich über viele Jahrhunderte hinweg von Vorvätern und -müttern übernahm. Es geht auf das 13. Jahrhundert zurück; der „Goldene Freibrief“ der Deutschen in Siebenbürgen datiert, Du weißt es, aus dem Jahr 1224, ist die älteste demokratische Verfassung deutscher Sprache. Das Demokratieverständnis der Bundesdeutschen hingegen beruft sich auf das Jahr 1949, von missglückten Versuchen 1848 und 1919 abgesehen. Niemand unterschätze die Prägekraft eines in vielen Jahrhunderten von jeder Generation konsequent geübten Verhaltens! Ich gehöre zu denjenigen, denen das bewusst ist. Daher mutet mich gelegentlich das Bemühen der Bundesdeutschen um demokratische Contenance in Politik und Gesellschaft fast kindhaft an, manchmal - Pardon - sogar belustigend. Da weiß ich mich im Bewusstsein meiner vielhundertfach bewährten republikanischen Tradition in der Wertung und Beurteilung der ringsum ablaufenden Dinge sicherer, realistischer.
Herzlichen Dank für Deine Ausführungen!