Die versprengten Glaubensgeschwister im Kaukasus (3)

Auf Entdeckungsreise am Rande Europas

Atemberaubende Landschaft am Fuße der Berge

Für die Jugendlichen war die Reise unvergesslich Foto: Christian Drăghici

In Aserbaidschan besuchten wir noch die ehemaligen schwäbischen Dörfer Helendorf (Gyögöl) und Annenfeld (Shemkir). Anders als in Georgien waren die Kirchen in einem sehr guten Zustand und sie sind zugänglich. Sie werden vom Rathaus verwaltet. In Helenendorf dient die Kirche als Ausstellungsraum. Rechter Hand ist ganz ausführlich auf Schautafeln dargestellt die deutsche Vergangenheit der Siedlung; und linker Hand stehen Gedenktafeln für die Söhne der Ortschaft, die im blutigen Bergkarabach-Konflikt ihr Leben gelassen haben. Erstaunt mussten wir feststellen, dass sich die Aseris stolz auf die deutsche Vergangenheit ihrer Ortschaften berufen. Dementsprechend bemühen sie sich auch das schwäbische Dorfbild zu erhalten, doch bei so vielem Bemühen schleicht sich leider auch etwas  Kitsch ein. Sehr gut gepflegt war auch der Friedhof für deutsche Kriegsgefangene in Helenendorf.

Ein ungelöster Konflikt

Unser nächstes Ziel: Armenien. Um aber dahin zu gelangen, mussten wir wieder einen Umweg über Georgien fahren. Die beiden Nachbarländer Armenien und Aserbaidschan blicken auf einen ungelösten Konflikt zurück. Zurzeit herrscht ein brüchiger Waffenstillstand. In Armenien hat es kaum deutsche Siedlungen gegeben. Nichtsdestoweniger entsteht in Jerewan eine kleine junge lutherische Gemeinde. In Jerewan angekommen, besuchten wir u.a. das Mahnmal des armenischen Völkermordes und das dazugehörige „Genozid-Museum“.

Die Pogrome gegen die Armenier haben schon im 18. Jahrhundert im Osmanischen Reich begonnen, die sich dann im 19. Jahrhundert stark vermehrt haben. Unter dem „roten Sultan“ Abdul Hamid II. (1876 – 1909) wurden Armenier massenweise im Schwarzen Meer ertränkt, in Schluchten geworfen oder in der Wüste ausgesetzt. Der Höhepunkt wurde dann 1915 erreicht: 1,5 Millionen Armenier wurden ermordet. Die Türkei leugnet bis auf den heutigen Tag dieses Verbrechen. Diese Repressionen haben damals viele Armenier in die Flucht getrieben, um überhaupt überleben zu können. Viele kamen auch nach Siebenbürgen. Heute hat das „Flüchtlingsthema“ wieder Aktualität gewonnen. Vor allem aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten suchen Menschen in sicheren Ländern Zuflucht.

Im UN-Hauptquartier von Jerewan erfuhren wir aus erster Quelle über die Lage der syrischen Flüchtlinge in Armenien. Der Leiter des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in Armenien, Christoph Bierwirth, empfing uns im UN–Hauptquartier und machte uns mit der Problematik bekannt. Aus Syrien und dem Irak kamen etwa 20.000 Flüchtlinge nach Armenien von denen noch ungefähr 16.000 - 17.000 im Lande verblieben sind.

Dabei handelt es sich um orientalische Armenier und Christen. Anders als im Westen Europas werden die Flüchtlinge nicht in Lagern oder Camps aufgefangen. Das armenische Volk sieht sich als eine große Familie. Die Tragödien der Vergangenheit haben den Zusammenhalt dieses Volkes bestimmt sehr gestärkt. So wird der größte Teil dieser Flüchtlinge in Familien aufgenommen. Bei dem Treffen lernten wir Vrouyr Bilemjian kennen. In seinem guten Deutsch erzählte er uns über sein Schicksal und seine Flucht mit seiner Familie aus Aleppo nach Jerewan. Er fühlt sich heimisch und wohl in Jerewan, eine Rückkehr nach Aleppo kann er sich nicht mehr vorstellen.

Christoph Bierwirth gab uns auch eine Einführung in den komplizierten Konflikt um Berg-Karabach und die von ihm ausgehenden vielfachen Leiden und Vertreibungen von Zivilpersonen in beide Richtungen. Aserbaidschan betrachtet den Besuch dieser selbsternannten Republik als Straftat. Armenien hat nämlich im blutigen Krieg der von 1988 – 1994 währte, Gebiete Aserbaidschans besetzt, wo aber mehrheitlich christliche Armenier lebten. Die Einreise ist heute nur noch von armenischer Seite möglich. Aus der Hauptstadt Stepanakert unternahmen wir eine Ausfahrt in die Umgebung.

Auf Identitätssuche

Heute leben am Berg Karabach nur noch etwa 170.000 Einwohner, über eine Million Aseren wurden vertrieben. In Agdam, einer Geisterstadt, konnten wir uns ein Bild vom Ausmaß der Zerstörung machen. Hier konnten sich unsere Jugendlichen so richtig ein Bild davon machen, was Krieg heißen kann. Offiziell gibt es heute keine Bewohner mehr in der Stadt. Alles ist zerstört worden. Die Natur erobert nun Ruinen und Gassen. Teilweise ist das Gelände vermint, darauf weisen verschiedene Warnschilder hin. Das einzige erhaltene Gebäude der Stadt ist die Moschee, ein Denkmal des 19. Jahrhunderts. Vom Minarett waren die Schützengräben der in drei bis vier Kilometer Luftlinie entfernten Frontlinien erkennbar. Trotz Waffenstillstand fallen auch heute noch Schüsse.

An diesem Tag waren wir alle etwas nachdenklich und betroffen. Ab nun sollte es wieder Westwärts gehen: am biblischen Berg Ararat vorbei, wo einst die Arche Noah gelandet sein soll. Heute thront ein sehr schönes armenisches Kloster „Khor Wirap“ unter dem weißen Gipfel des Ararat. Dahinter verläuft die Grenze zur Türkei, einst West-Armenien. Es heißt man sieht den Ararat nur an einem von neun Tagen. Wir hatten das große Glück.

Nach der langen Reise hat bestimmt jeder der Teilnehmer seine Zeit gebraucht, um die zahlreichen Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse zu festigen. Wir haben unterwegs viele Analogien zu unserem Leben in unseren Gemeinden entdecken können und doch war Vieles anders. Die Herausforderung der Minderheit und der Gemeinden im Kaukasus sind ähnlich wie die Unseren in Siebenbürgen, und doch schienen sie gewichtiger zu sein. Die Gemeinden im Kaukasus sind praktisch wiedergegründete Gemeinden, und das macht sie jung. Sie sind selber noch auf Identitätssuche. Noch spielt die deutsche Vergangenheit der Gemeinden eine gewisse Rolle, ob das auch so bleiben wird, sei dahin gestellt. Vielleicht war es für unsere kleine Gruppe eine Art Blick in die Zukunft. Die Zeiten werden auch für uns einen Wandel mit sich bringen.


Wir bedanken uns bei dem Haus des Deutschen Osten, bei dem Martin Luther Bund in Erlangen und bei der Kärntner Landlerhilfe. Erst durch ihre freundliche Unterstützung wurde unser Vorhaben möglich gemacht.