Mit diesem feierlichen Akt der Enthüllung der Büste von Stadtpfarrer Konrad Möckel hat er nun, nach vielen Jahren, in diesem Kapitelzimmer seinen verdienten Platz neben seinen Vorgängern gefunden. Er ist auf diese Weise unter uns und fortan im Bewusstsein der Honterusgemeinde präsent. Er sieht uns an; vor uns ersteht sein Gesicht, und spricht zu uns. Doch was empfinden wir beim Anblick dieses Gesichtes? Welche Gefühle löst es bei uns aus? Was vermittelt es uns hier und heute und denen, die es von nun an, an dieser Stelle betrachten werden?
Der seinerzeit viel geschätzte Theologe Rudolf Bohren hat vor Jahren einen Bildband mit Porträts unter dem Titel „Das Gesicht des Theologen“ herausgegeben. Es handelt sich um Theologen, die der Alttestamentler Georg Eichholz in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts photographiert hat. Er beginnt mit Karl Barth, der fast gleichzeitig mit Konrad Möckel gelebt hat. Der Herausgeber schreibt dazu im Vorwort: „Auch ein Gesicht ist ein Text/.../, ein Text, aus dem die Vergangenheit spricht, das gelebte wie das ungelebte Leben, und die Zukunft, sei es in Erwartung des Todes oder in Erwartung tätigen Lebens. Auch die Gegenwart zeichnet sich ein/.../. Man spricht gleichermaßen von Gesichtszügen und Schriftzügen und drückt damit eine Parallelität zwischen Gesicht und Schrift aus. Es ist zweierlei Text: der Mensch, dem wir begegnen in dem, was er schrieb, und in dem was er uns zuwendet, eben sein Gesicht/.../. Bilder von Theologen sind Bilder von Christenmenschen, und da stellt sich die Frage: Was drücken sie aus? Was stellen sie dar? Welcher Geist prägt das Gesicht? /.../ Im Gesicht drückt sich etwas von dem aus, wes Geistes Kind einer ist. Wes das Herz voll ist, des fließt der Mund über, und das Auge blickt herzhaft.“ (Vgl. E. u. R. Bohren, Das Gesicht des Theologen in Porträts, photographiert von Georg Eichholz, Neukirchen-Vluyn 1984, S.7-10).
Auch das Bild, das wir jetzt betrachten, und das Gesicht, das uns anblickt, bewirkt, dass unser Herz voll ist und dass der Mund überfließt. Erinnerungen kommen hoch und werden lebendig. Erinnern heißt auch Vergegenwärtigen, denn es bestimmt unsere Gefühle bis in die Gegenwart hi-nein. Schmerz ergreift uns, wir machen die bewegende Erfahrung, die ergreifend, ja erschütternd ist – und so ergeht es mir auch bei dieser Rede: Die Sprache versagt sich, sie reicht nicht aus, um das Erlebte in Worte zu fassen.
Erinnerung ist zeitlich und örtlich. Sie ist mit Orten und Zeiten verbunden. Darum ist es richtig, dass dieses Gedenken hier stattfindet: in der Nähe der Schwarzen Kirche, die dem unseligen Prozess vor 60 Jahren den Namen gegeben hat. Und hier, in diesem Saal, wo der damalige Stadtpfarrer Konrad Möckel so manche seiner Jugendstunden gehalten hat, die ihm und allen Betroffenen schließlich zum Verhängnis geworden sind.
Und Erinnerung ist zeitlich. Sie führt uns zurück in die Vergangenheit, in die Zeit vor 60 Jahren und darüber hinaus. Auch mich, der ich gebeten worden bin, zu diesem Anlass über Konrad Möckel als Pfarrer und Theologe in jenen schweren Zeiten zu sprechen. In meinen Erinnerungen gehe ich zurück in die Zeit, als ich im Sommer 1958, bereits als Vikar in Zeiden, zu den monatlichen Pfarrversammlungen in Kronstadt eingeladen wurde. Konrad Möckel war, als wir uns zu der Morgenandacht in der Sakristei trafen, schon sechs Monate zuvor (am 10. Februar) verhaftet worden. Wir hatten diese Nachricht mit großer Betroffenheit in Hermannstadt von dortigen Freunden und Verehrern des Kronstädter Stadtpfarrers erfahren. Kurz vor dem Beginn meines Vikariats in Zeiden war mein Vater (am 5. Mai 1958) ebenfalls verhaftet worden. Beim Prozess gegen ihn vor dem Klausenburger Militärgericht, zwei Jahre nachher – wo wir meinen Vater zum ersten Mal seit seiner Verhaftung kurz wiedersahen (um ihn dann bis zu seiner Entlassung nach weiteren vier Jahren Haft nicht mehr zu sehen) – erfuhren wir, dass seine Verhaftung auch mit Konrad Möckel zusammenhing. Man hatte bei der Hausdurchsuchung in der Kronstädter Stadtpfarrwohnung den maschineschriftlich vervielfältigten Text des Vortrages des Bruders meines Vaters, Karl Kurt Klein, gefunden, den dieser 1957 in Deutschland, und zwar in Düsseldorf, bei der Feier der Übernahme der Patenschaft des Landes Nordrhein/Westfalen über die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen gehalten hatte. Die Feier war von Heinrich Zillich organisiert worden. Diese „Verbreitung eines staatsfeindlichen Textes“ war einer der Anklagepunkte im Prozess 1960 gegen meinen Vater, der ihm 10 Jahre Gefängnishaft einbrachte, von denen er – bis zur Amnestie 1964 – sechs Jahre absitzen musste.
Ich hatte Konrad Möckel 1956 kennengelernt, als Student der Theologie, als er in der Johanniskirche in Hermannstadt einen Vortrag über das Gebet hielt, der uns alle tief beeindruckte. So war mir der bekannte und beliebte Kronstädter Stadtpfarrer kein Fremder mehr, und ich spürte bei meiner ersten Pfarrversammlung in der Sakristei der Schwarzen Kirche die Niedergeschlagenheit und tiefe Betroffenheit, die unter den Amtsbrüdern herrschte. Unvergesslich der Reichtum der Liturgie und des geistlichen Ernstes der Morgenandacht, von der ich bald darauf erfuhr, dass diese der Prägung des Stadtpfarrers durch die Michaelsbruderschaft zu danken war. Wir hörten, dass diese besonders im Hauptgottesdienst in der Schwarzen Kirche zu erkennen sei, dem sonntags früh um 7 Uhr auch eine „Deutsche Messe“ vorangehe. Dies war ein Abendmahlsgottesdienst nach der Ordnung des Berneuchener Kreises, dem Konrad Möckel nahestand.
Die bemerkenswerte Prägung Konrad Möckels durch das tradierte volkskirchliche Leben in Siebenbürgen, innerhalb der bewährten nachbarschaftlichen Strukturen, ging auf seine Erfahrungen in seiner ersten Gemeinde Großpold zurück. Hier wirkte er (von 1925-1933), ehe er zum Stadtpfarrer von Kronstadt berufen wurde. 1892 als Sohn eines Pfarrers in Petersdorf geboren, verlor er früh den Vater, wonach seine Mutter mit dem Sohn nach Hermannstadt übersiedelte. Hier besuchte er die Schule auf dem Hundsrück und später die Brukenthalschule und entdeckte schon damals sein besonderes Interesse für die Naturwissenschaften. In diese Richtung ging dann auch sein Studium der Chemie und Biologie, zunächst in Leipzig, wo er als stud. theol. et phil. immatrikuliert wurde, um, nach weiteren Studienjahren in Klausenburg und Berlin, seine Qualifikation als Mittelschullehrer in der Heimat zu erwerben, zu der theologische Studien hinzu gehörten. Denn diese Ausbildung und dieses Wissen galten als Voraussetzung dafür, um an unseren kirchlichen Schulen unterrichten zu dürfen. Nach der Promotion 1918 zum „Dr. der Geologie“, in Klausenburg, wurde Konrad Möckel, nach einem weiteren Studienaufenthalt in Wien, Mittelschullehrer an der Brukenthal-Schule in Hermanstadt (1920), wo er neben naturwissenschaftlichen Fächern auch Religion unterrichtete. In dieser Zeit hat er die volkskirchliche Tradition in unseren Städten kennengelernt, in denen ein aufgeklärtes Bürgertum die Kirche und ihre Schulen zwar hochhielt, der Glaube an den biblischen Christus hingegen im Hintergrund stand, so dass in der Folge die ersten Übertritte zu Sekten aufkamen. Unter dem Einfluss des damaligen Stadtpfarrers Dr. Adolf Schullerus, der auch ein bedeutender Politiker geworden war, wurde er gewiss mit dieser Problematik konfrontiert. Eine zusätzliche Nähe zu Adolf Schullerus war auch dadurch gegeben, dass er 1919 dessen Tochter Dora geheiratet hatte.
Schon in Großpold war bei Konrad Möckel zu seiner volkskirchlichen Prägung auch der Einfluss einer pietistischen Erweckung hinzugekommen. Er konnte bereits in dieser Zeit den so genannten „Bekehrten“ unbeschwert begegnen. Sein brüderliches Verhältnis zum Kronstädter Pfarrer Georg Scherg, dem Begründer der „Evangelischen Gemeinschaft in Rumänien“, verhalf ihm auch später dazu, diese Bewegung als Frage an das volkskirchliche Denken und Leben der Kirche zu verstehen. Eine dritte und entscheidende geistliche und theologische Prägung erfolgte sodann in seiner Zeit als Stadtpfarrer von Kronstadt (1933-1958) durch seine Kontakte zu den ersten „Michaelsbrüdern“ in Siebenbürgen, Wilhelm Wagner und Gerhard Schaser, seinen beiden Nachfolgern in Großpold. Die „Berneuchener Bewegung“ und die Michaelsbruderschaft in Deutschland sollten hinfort für seine theologische Ausrichtung und sein geistliches Leben entscheidend werden. Es ging hier, nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges und dann vor allem nach dem Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland, um die Erneuerung der Kirche durch liturgische Bereicherung des Gottesdienstes sowie um die Vertiefung der geistlichen Ausrichtung der Pfarrer. Diese erfolgte durch die Pflege des „Evangelischen Stundengebetes“, wie es im „Evangelischen Tagzeitenbuch“ zu finden ist, und der „Lesungen für das Jahr der Kirche“ von Rudolf Spiecker, die über die Tätigkeit der Michaelsbrüder in unserer Kirche heimisch geworden sind und bis heute geübt werden.
So finden wir in den schweren Zeiten des Aufkommens nationalsozialistischen Gedankengutes, das in den dreißiger Jahren auch in Siebenbürgen und ganz Rumänien um sich griff, drei geistliche Strömungen, die darzulegen versuchten, wie diese „Erneuerung“ in unserer Kirche erfolgen könne. Zunächst durch ein neues Verständnis der „Volkskirche“, der die zentrale christliche Botschaft abging und eine ernste geistliche Vertiefung des kirchlichen Lebens in der Verkündigung, der Seelsorge und der Diakonie erforderlich machte. Mit diesen Zielen wurde ein Thema angesprochen, mit dem sich Konrad Möckel in seinen Jahren in Großpold und dann vor allem in Kronstadt theologisch auseinandergesetzt hat. Eine entscheidende Bedeutung für die geistliche Erneuerung hatte die Gründung des so genannten „Frecker Kreises“ 1933, der eine Art Vorform der siebenbürgischen Michaelsbruderschaft war. Dieser Kreis wurde durch die politischen Ereignisse der dreißiger Jahre herausgefordert – vor allem durch das Vordringen der Erneuerungsbewegung „Selbsthilfe - Bausparkassa“. Sein geistliches Anliegen lässt sich in Möckels Schriften aus dieser Zeit verfolgen, und zwar bereits in „Volkstum und Glaube. Vom Ringen um die Gestaltung einer evangelischen Volkskirche“ 1930. Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist besonders der Vortrag „Welche Bedeutung hat unsere Volkskirche für unsere Zeit“, den er 1934 in Kronstadt gehalten hat und der in den „Kirchlichen Blättern“ erschienen ist. Ohne den Begriff „Volkskirche“ aufgeben zu wollen, betont Möckel hier, dass sich das Leben der Kirche letztlich in der Gemeinde vollzieht. Sie ist die „Schar derer, die /.../ bereit sind, das Wort Gottes zum einzigen Leitmotiv zu machen oder – was dasselbe ist – die Jesus zu ihrem absoluten Führer und Herrn haben werden lassen.“
Die Spannungen und schließlich Spaltungen unter den siebenbürgisch-sächsischen Vertretern der Politik und alsbald auch der Kirche forderten den Stadtpfarrer von Kronstadt in besonderer Weise heraus. Hier waren die Fronten heftig aneinander geraten. Ein sprechendes Zeugnis dieser kirchenpolitischen und ideologischen Auseinandersetzung ist Möckels im Februar 1937 erschienene Schrift „Christliches Glauben und völkisches Bauen. Persönliche und grundsätzliche Bemerkungen zu Fritz Benesch: ‚Machtkampf der Kirche‘ erschienen in der „Kronstädter Zeitung“.
(Schluss folgt)