In der esten Etage des Capitol-Hotels kann man an einem hölzernen Tisch mit Blick auf den Stadtpark sitzen. Auf dem Tisch mit Spitzentischtuch steht eine Vase mit drei roten Nelken. Auf der Speisekarte stehen Namen wie „Brifcor“ oder Sandwich mit Pariser Wurst und Senf, in den Lautsprechern ertönt ein Lied von Mihaela Runceanu. Draußen, am Rudolfsring, fahren Autos und Elektrobusse, es ist das Jahr 2022. Drinnen aber befindet man sich irgendwann im Rumänien der 70er und 80er Jahre. Die Bar des Kronstädter Kommunismus-Museums ist ein interessanter Ort. Doch nicht nur Getränke und Speisen aus den Zeiten vor der Wende kann man hier genießen. Bis November gibt es hier eine Ausstellung, die kostenlos besucht werden kann.
SEISMOGRAPH ’77, eine Sammlung des Museums der Gräueltaten des Kommunismus in Bukarest, befasst sich mit einer Zeit, die der Öffentlichkeit weniger zugänglich war, und bringt die Porträts und Geschichten von Menschen in den Vordergrund, die einen Krieg gegen das kommunistische Regime geführt haben. Mittels Infotafeln, Bild- und Filmmaterialien erfahren die Besucher, was die rumänische Bevölkerung in der Zeit von 1977 bis 1989 durchgemacht hat - eine Zeit des Traumas, der Unterdrückung, aber auch des Widerstandes. Die Ausstellung ist nicht nur informativ, sondern auch nützlich, da jede Geschichte über die Vergangenheit uns hilft, die Gegenwart besser zu verstehen, um in die Zukunft blicken zu können.
Das Außmaß einer Katastrophe
Ein Gang durch die Ausstellung beginnt mit der Infotafel über das schwerste Erdbeben der letzten Jahrhunderte, das sich am 4. März 1977 ereignete. Mit einer Stärke von 7,2 auf der Richterskala und dem Epizentrum im Vrancea-Gebiet, hatte das Erdbeben katastrophale Folgen für Menschen, Wohn- und Wirtschaftsanlagen. Am meisten betroffen waren die Hauptstadt, deren Umland im südlichen Rumänien bis zur Donau, Siebenbürgen und andere Regionen. Schätzungsweise 1500 bis 2000 Menschen (nach damaligen Angaben – die genaue Zahl der Toten wird nie ermittelt werden können) mussten ihr Leben lassen. Ganze Häuserreihen, davon viele Hochhäuser in Bukarest, stürzten wie Kartenhäuser ein, man hörte verzweifelte Hilfeschreie, ganze Schuttberge waren in Staubwolken gehüllt. Dennoch suchte Nicolae Ceaușescu das Leid des Landes in heroischen Willen zum Wiederaufbau umzufunktionieren. Als schon über 1000 Tote gezählt wurden, rügte der Staats- und Parteichef noch Rettungsmannschaften, sie hätten das Ausmaß der Katastrophe übertrieben geschildert. Nach dem Erdbeben sah der Diktator die Möglichkeit, die traditionelle urbane Struktur großer innerstädtischer Bereiche fast vollständig durch ein kolossales politisch-administratives Zentrum zu ersetzen. Es entstanden Symbole monumentaler Machtdemonstration. Kern und dominierendes Element ist der Parlamentspalast, der flächenmäßig zu einem der größten Gebäuden der Welt gehört.
Doch nicht nur das Erdbeben erschütterte das Land, es kamen im Laufe der Jahre immer mehr unzufriedene Stimmenauf, die das Leben im Kommunismus kritisierten. So wie ein Erdbeben Risse in Wänden und Mauern verursacht, ließen diese Stimmen, die leider oft erdrückt wurden, Spuren, die nicht verwischt werden konnten. Für Gheorghe Ursu, einen schreibenden Ingenieur und Architekten, sollte die Katastrophe vom März 1977 eine Lebenswende bedeuten. Seine Geschichte kann auf mehreren Infotafeln der Ausstellung gelesen werden. Ursu war der erste Mensch, der öffentlich auf die seismische Vulnerabilität Bukarests aufmerksam machte.
Als linker Aktivist und avantgardistischer Intellektueller, der sich als Jugendlicher der Kommunistischen Partei anschloss, war er bald darauf vom kommunistischen Regime desillusioniert und wurde einer seiner Kritiker. Gheorghe Ursu war die meiste Zeit seines Lebens in kulturellen Kreisen aktiv und pflegte Kontakte zu literarischen und künstlerischen Persönlichkeiten. Während seiner Studienzeit begann Ursu ein Tagebuch zu führen, in dem er das kommunistische Regime heftig kritisierte. Von 1950 bis 1985 arbeitete er am Bukarester Institut für das Studium und die Gestaltung kommunaler Haushalte. Er entwarf persönlich eine große Anzahl von Unterkünften (nach seiner eigenen Schätzung waren bis 1977 30.000 bis 40.000 Menschen in von ihm geplanten Gebäuden untergebracht). Zu Beginn des Jahres 1977 war Ursu Mitglied einer Kommission, die mit der Konsolidierung der ältesten Hochhäuser in Bukarest beauftragt war. Zu dieser Zeit hatte er eine von Ceau{escu besuchte und beaufsichtigte Sitzung der Kommission miterlebt und aufgezeichnet, bei der der Diktator angeblich die Einstellung aller Konsolidierungsarbeiten anordnete und behauptete, sie hätten Panik verursacht und man könne nicht hoffen, strukturelle Mängel zu beheben. In seiner Darstellung des Treffens wird Ceau{escu zitiert, der stattdessen vorschlägt, Lösungen mit „konkreten und chemischen Substanzen“ auszuprobieren. Ursu weigerte sich, den Antrag zu unterzeichnen, in dem die neuen Richtlinien gebilligt wurden, was zu einem kleinen Skandal führte. Er prangerte anonym die Politik von Ceau{escu an und wurde von der Securitate überwacht. Eines seiner Tagebücher wurde Gegenstand einer Denunziation, die schließlich zu seiner Verhaftung führte. Kurz darauf wurde er in der Obhut der Miliz von Zellengenossen zu Tode geprügelt. Ursus Tod war Gegenstand eines internationalen Skandals und nach der Revolution Gegenstand einer Untersuchung, die ursprünglich von Staatsanwalt Dan Voinea geleitet wurde. Es gab viele Kontroversen über den angeblichen Aufschub der neuen Behörden, bevor zwei ehemalige Beamte wegen Anstiftung zu seinem Mord verurteilt wurden. Ein dritter wurde wegen Beschlagnahme seines Tagebuchs inhaftiert, von dem der größte Teil verloren bleibt.
Bis heute ist die rumänische Hauptstadt nicht erdbebensicher. Sollte die Erde in Bukarest wieder so stark beben wie am 4. März 1977, könnten Hunderte oder gar Tausende Häuser einstürzen und Menschen unter den Trümmern begraben, warnen Experten. Auch die Schäden von damals sind längst nicht alle behoben. Rund 190 einsturzgefährdete Gebäude vor allem aus der Zwischenkriegszeit müssten konsolidiert werden.
In der Ausstellung kann man auch vom Schicksal anderer Dissidenten erfahren, die sich dem Regime gegenüber kritisch äußerten, darunter Mugur Călinescu, Iulius Filip oder Carmen Popescu. Sie kann kostenlos bis Anfang November dienstags bis sonntags zwischen 10 und 18 Uhr besucht werden. Der Eintritt für den Rest des Museums kostet 35 Lei.
Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall
Das Museum der Erinnerungen aus dem Kommunismus ist eine Initiative der beiden Kronstädte-rinnen Alina Beteringhe und Ioana Bejan Roată, die sich von anderen ähnlichen Museen in Rumänien und ehemaliger Ostblock-Staaten inspirieren ließen. Für alle Museumsexponate (meistens Gegenstände aus den 1970er und 80er Jahren) gibt es auch eine Geschichte, die der Besucher lesen kann. Man findet Geschichten über die Rationalisierung von Benzin und über Autos mit Nummernschildern mit gerader oder ungerader Zahl, die alternativ jeden zweiten Sonntag fahren durften, über die Schüler und Studenten, die jeden Herbst zum „landwirtschaftlichen Praktikum“ auf die Felder fuhren, über Albalux-Waschmaschinen, Jugenderinnerungen vom Schwarzen Meer, Pionier-Krawatten und chinesische Füllhalter. Viele Kronstädter haben beigetragen, indem sie alte Telefone, Kleidungsstücke, Fotografien, Audio-Kasetten, Möbel und Spielzeug ins Museum gebracht haben. Spenden kann man immer noch. Auf der Webseite des Museums, www.madc.ro, findet man alle Informationen, wie man ein Exponat spenden kann. Ebenfalls haben die Verwalter des Museums eine Telefonnummer zur Verfügung gestellt: 0726.787.499.