Geehrte Anwesende,
es gehört zur Tradition unserer Sachsentreffen, die seit dem Jahr 1991 jährlich stattfinden, in diesem Rahmen die Honterusmedaille jeweils an eine Persönlichkeit zu verleihen, die sich Verdienste um unsere siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft erworben hat. Und da das Sachsentreffen heuer zum ersten Mal im Burzenland stattfindet – im Zeichen des wichtigen Jubiläums „800 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung des Burzenlandes“–, lag es nahe, diesmal als Empfänger dieser Auszeichnung eine Person zu bestimmen, die waschechter Burzenländer ist und die hier im Burzenland ihr Wirken beispielgebend in den Dienst unserer Landsleute gestellt hat.
Wenn man sich nun diese Kriterien vor Augen hält, so gibt es meines Erachtens wohl niemanden unter uns, der es in höherem Maße verdienen würde, heute durch die Verleihung der Honterusmedaille geehrt und gewürdigt zu werden, als eben den, dem meine Laudatio gilt: Diplomingenieur im Ruhestand Erwin Hellmann. Einige Argumente, die diese Feststellung untermauern sollen, will ich im Folgenden anführen.
Herkunftsmäßig ist Erwin Hellmann, 1935 in Kronstadt geboren, tatsächlich waschechter Burzenländer. Seine Mutter war aus Marienburg gebürtig, sein Vater aus Tartlau. Soweit man den Hellmannschen Stammbaum zurückverfolgen kann, waren die Vorfahren der väterlichen Linie seit mehr als zwei Jahrhunderten immer Schmiede und Schlosser, so auch Erwin Hellmanns Vater, der in der Langgasse in Kronstadt eine Schlosserwerkstatt betrieb, in der Erwin Hellmann bereits als Kind den Umgang mit dem Schlosserwerkzeug erlernte.
Diese Erfahrung im Zeichen der Familientradition sollte sich entscheidend auf Berufswahl und berufliche Karriere von Erwin Hellmann auswirken. In den Jahren 1953-1958 studierte er am damaligen Polytechnischen Institut in Kronstadt, aus dem später die Transilvania-Universität wurde, allgemeinen Maschinenbau, worauf er als Diplomingenieur 34 Jahre lang, bis 1992, im Kronstädter Traktorenwerk in verantwortlicher Position (Leiter des Büros für die Arbeitsvorbereitung in einigen Abteilungen des Werkes) gearbeitet hat. In den letzten Jahren vor der 1997 erfolgten Pensionierung war Erwin Hellmann für eine deutsche Außenhandelsfirma, die Werkzeugmaschinen vermarktet, als Verkaufsingenieur tätig.
Bevor wir uns dem zentralen Thema unserer Laudatio, nämlich dem gemeinnützigen Wirken der Persönlichkeit, die heute die Honterusmedaille in Empfang nehmen wird, widmen wollen, sei noch vorausgeschickt, dass Erwin Hellmanns Familie von den schweren Schicksalsschlägen, die die Siebenbürger Sachsen in den Jahren nach dem 23. August 1944, in der Kriegs- und Nachkriegszeit ereilten, keineswegs verschont blieb.
Zu vermuten ist, dass gerade diese leidvollen Erfahrungen, die das kollektive Schicksal unserer Gemeinschaft Mitte des vorigen Jahrhunderts bestimmten, sehr oft aber auch bewundernswerte Bewährungsproben zwischenmenschlicher Solidarität zur Folge hatten, zumindest eine der Triebfedern für Erwin Hellmanns beispielhaften langjährigen ehrenamtlichen Einsatz zugunsten seiner Landsleute gewesen ist.
Erwähnt sei hier zunächst, dass Erwin Hellmanns Eltern, Mutter und Vater, im Januar 1945 ausgehoben und zum Arbeitsdienst in die Sowjetunion deportiert wurden. Die Kinder – der damals noch nicht zehnjährige Erwin und seine kleinere Schwester – wurden auf brutale Weise für dreieinhalb Jahre von ihren Eltern getrennt, die Großmutter mütterlicherseits nahm sie in ihre Obhut.
Im Jahr 1948 wurde der Schlossereibetrieb des Vaters nationalisiert, genauer gesagt: konfisziert, Vater Hellmann musste nun, nach der Rückkehr aus der Deportation, als Fabrikarbeiter den Lebensunterhalt seiner Familie verdienen.
In den 50er Jahren waren es dann Willkürmaßnahmen der kommunistischen Behörden, die vor allem die Kronstädter Sachsen zutiefst verunsichern sollten. So die Evakuierungen im Mai 1952 – Erwin Hellmann besuchte damals das deutschsprachige Lyzeum (Liceul Mixt German nr. 2) in dieser Stadt –, als rund 2000 Kronstädter und Burzenländer, nicht nur, aber vor allem Sachsen, Zwangsaufenthalt in entfernten Ortschaften auferlegt erhielten und ihre Wohnungen binnen drei Tagen räumen mussten.
Tiefen Eindruck hinterließen bei Erwin Hellmann auch die politischen Prozesse der endfünfziger Jahre, vor allem der sogenannte Schwarze-Kirche-Prozess, weil er als Student die Jugendstunden von Stadtpfarrer Konrad Möckel eifrig frequentierte und von dessen Vorträgen eigenem Bekenntnis zufolge in wesentlichem Maße geprägt wurde.
Dafür, dass sich Erwin Hellmanns ehrenamtliches gemeinnütziges Wirken vor allem im kirchlichen Rahmen entfaltete, gibt es mehrere Erklärungen. Erstens gehört die Ehrenamtlichkeit zu den guten Traditionen unserer Evangelischen Kirche A. B., die sich mit Fug und Recht als Volkskirche begriff und z. T. auch heute noch als solche begreift, und zweitens war die evangelische Kirche in der kommunistischen Zeit die einzige siebenbürgisch-sächsische Institution mit demokratischer Legitimität (d. h. die Leitungsstrukturen unserer evangelischen Kirchengemeinden, z. B. Gemeindevertretung und Presbyterium, wurden auch in der kommunistischen Zeit durch Wahlen ermittelt, denen man ihren demokratischen Charakter nicht absprechen kann).
Außer dem großen Vorbild Konrad Möckel hat auch die Atmosphäre im Haus seiner Schwiegereltern, das kirchlich geprägt war, sich in entscheidendem Maße auf das ehrenamtliche Wirken Erwin Hellmanns auswirken sollen. Im Jahr 1960 heiratete Hellmann die Krankenschwester Christa Graef, deren Vater Kurator auf Martinsberg, einem der drei Seelsorgebezirke der Honterusgemeinde, war. Erst durch die Heirat wurde Hellmann, bis dato der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Bartholomae angehörend, Mitglied der Honterusgemeinde, in deren Gemeindevertretung er 1971 und in deren Presbyterium er 1976 gewählt wurde.
Im Jahr 1986 wurde Hellmann Bezirkskirchenkurator, ein Amt, das er volle 20 Jahre verantwortungsbewusst ausgeübt hat, und in den Jahren 1993-2001 war er zugleich, in Personalunion, auch Kurator der Honterusgemeinde und damit höchster weltlicher Repräsentant dieser Kirchengemeinde.
Vergegenwärtigt man sich die vorhin erwähnten Jahreszahlen, so fällt auf, dass Erwin Hellmanns Wirken an entscheidender Position in unserer Bezirkskirchengemeinde in die besonders schwierigen letzten Jahre der Ceauşescu-Diktatur und in die keineswegs weniger problematischen ersten Nachwendejahre fällt, als die große Auswanderungswelle unsere siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft in ihren Grundfesten erschütterte.
Plötzlich sahen sich unsere Kirchengemeinden neuen Herausforderungen gegenübergestellt, wobei sich aber zugleich auch neue Möglichkeiten gemeinnützigen Wirkens eröffneten. Vor allem im Bereich der diakonischen Tätigkeit mussten neue Akzente gesetzt werden.
Die forcierte Auswanderung riss viele Familien auseinander, vor allem alte Leute, die auf Hilfe angewiesen waren, blieben zurück. Erwin Hellmann engagierte sich damals mit viel Schwung im neugegründeten Diakonischen Werk unserer Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien. Heute blickt er mit zwiespältigen Gefühlen auf jene Zeit zurück, denn nicht alle Hoffnungen gingen in Erfüllung.
In seine Amtszeit als Bezirkskirchenkurator fällt die Eröffnung des kirchlichen Altenheims in Schweischer bei Reps, das zwar der Landeskirche untersteht, dessen Einrichtung aber unter der Regie des Kronstädter Bezirkskonsistoriums geschah. Die festliche Einweihung fand im Januar 1991 in Anwesenheit des damaligen Bischofs D. Dr. Christoph Klein, des damaligen Kronstädter Dechanten Hans Orendi und weiterer Persönlichkeiten statt.
Viel Energie investierte der Bezirkskirchenkurator und Kurator der Honterusgemeinde sodann in das Projekt Altenheim Kronstadt. Man erinnert sich: Ursprünglich war davon die Rede, dass Kronstadt wie Temeswar und Hermannstadt ein über das deutsche Bundesinnenministerium finanziertes Altenheim erhalten soll.
Dieser Traum, um dessen Verwirklichung hart gerungen wurde, ging allerdings - aus welchen Gründen auch immer - nicht in Erfüllung. Doch die Kronstädter ließen nicht locker, und sie schafften es schließlich, in eigener Regie und mit der substantiellen Unterstützung von privaten Spendern und Freundeskreisen (vor allem aus Deutschland) im früheren Altfrauenheim der Evangelischen Stadtpfarrgemeinde A. B. (Honterusgemeinde), im Stadtviertel Blumenau gelegen, ein Altenheim einzurichten, das im September 2002 eröffnet und in den folgenden Jahren weiter ausgebaut wurde.
Heute ist das Altenheim Blumenau eine Institution, auf die wir Kronstädter und Burzenländer Sachsen berechtigterweise stolz sind. Und diesen Tatbestand verdanken wir in wesentlichem Maße dem persönlichen Einsatz Erwin Hellmanns, den es heute sicherlich mit Genugtuung erfüllt, dass sein Sohn Ortwin Hellmann nun nicht nur selbst Bezirkskirchenkurator ist, sondern auch den Verein Blumenau e.V., den Träger des Altenheims, ehrenamtlich in anerkennenswerter Weise leitet.
Es würde sicherlich zu weit führen, an dieser Stelle alle wichtigen Initiativen und Projekte, für deren Verwirklichung sich Erwin Hellmann als Bezirkskirchenkurator und Kurator der Honterusgemeinde mit Nachdruck eingesetzt hat, auch nur andeutungsweise aufzuzählen. Erwähnt sei bloß, dass in seine Amtszeit u. a. der Abschluss der Außenrenovierungsarbeiten an der Schwarzen Kirche (1999) und die ebenfalls sehr aufwendige Renovierung der großen Buchholz-Orgel in der gleichen Schwarzen Kirche, die im Jahr 2001 wiedergeweiht werden konnte, fallen.
Doch darf auch nicht vergessen werden – dies, um sein kirchliches Engagement angemessen zu würdigen –, dass Erwin Hellmann viele Jahre lang in Kirchengemeinden unseres Kirchenbezirks, denen durch Auswanderung die Pfarrer abhanden gekommen waren, als Predikant selbst Gottesdienste gestaltet hat und dies gelegentlich, wenn mal wieder Not am Mann ist, auch heute noch tut.
Wenn sich Erwin Hellmanns ehrenamtliches Engagement, wie bisher gezeigt, vorwiegend in kirchlichem Rahmen entfaltete, so muss trotzdem darauf hingewiesen werden, dass sein gemeinnütziges Wirken auch andere Bereiche, und dies ebenfalls mit beachtenswerten Ergebnissen, umfasst. Seine Artikel zu heimatkundlichen Themen, die gelegentlich in der „Karpatenrundschau“ erscheinen, haben dankbare Leser.
Ausdruck seiner starken Heimatverbundenheit und seiner tiefempfundenen Religiosität war auch sein mehr als zehnjähriges erfolgreiches Wirken (in den Jahren 1998-2009) als Leiter der Rumänien-Vertretung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. bzw. sein Einsatz für die Instandsetzung und Pflege aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg stammender deutscher Soldatengräber und Soldatenfriedhöfe auf dem Gebiet unseres Landes.
Nicht zuletzt hat aber auch unser Deutsches Forum allen Grund, Erwin Hellmann heute Dankbarkeit zu erweisen. Gleich nach der Wende von 1989, dem Sturz der Ceauşescu-Diktatur, hat er die Bemühungen zur Gründung des Deutschen Forums als Interessenvertretung der deutschen Minderheit tatkräftig unterstützt. Er war dabei, als am 8. Januar 1990 in der Aula der Honterusschule nach lebhafter Debatte ein 15-köpfiges provisorisches Leitungskomitee des Kreisrates Kronstadt des Demokratischen Forums der Rumäniendeutschen – so die damalige Titulatur – und dessen siebenköpfiges Exekutivbüro gewählt wurden, und er war prominentes Mitglied dieser Gremien, wurde auch im März 1990 bei unseren ersten Kreisforums-Vorstandswahlen in den Vorstand gewählt.
In späteren Jahren hat er sich ebenfalls immer wieder für Forumszwecke zur Verfügung gestellt. Dass unser Kreisforum heute gerichtlich anerkannter Rechtsnachfolger deutscher bzw. sächsischer Vereine und Organisationen ist, die nach dem 23. August 1944 verboten bzw. zwangsaufgelöst wurden - etwa des Siebenbürgisch-Sächsischen Landwirtschaftsvereins (für das Gebiet des Kreises Kronstadt) -, verdanken wir u.a. Erwin Hellmanns kompetenter Zeugenschaft vor den Gerichtsinstanzen, und sollte es unserem Kreisforum einmal gelingen, als Ergebnis dieser Bemühungen zur Restitution von Gemeinschaftseigentum den erstrebenswerten Zustand materieller Eigenständigkeit zu erlangen, so dürfen wir nicht vergessen, welch gewichtigen Beitrag Erwin Hellmann diesbezüglich geleistet hat.
Dankbar erinnere ich mich z. B. daran, dass Erwin Hellmann im vorigen Jahr genau an seinem 75. Geburtstag mehrere Stunden bei Gericht verbrachte, um für das Forum in den Zeugenstand zu treten. Das ist keineswegs selbstverständlich und zeugt von beispielhaftem Verantwortungsbewusstsein in Angelegenheiten des Gemeinnutzes. Dieses Verantwortungsbewusstsein, die starke Heimatverbundenheit, das feste Gottvertrauen haben Erwin Hellmanns Lebenswerk nachhaltig geprägt, und die Verleihung der Honterusmedaille ist angesichts seiner großen Verdienste nur das bescheidene Zeichen des Dankes, den unsere Gemeinschaft Erwin Hellmann schuldig ist.
Möge ihm die Zuerkennung dieser Auszeichnung Freude und Genugtuung bereiten, die über den heutigen Tag hinauswirken und ihm immer wieder noch viele Jahre in Gesundheit die Gewissheit geben werden, dass gute Taten unvergessen bleiben!
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Kronstadt,
17. September 2011