Vor 50 Jahren starb in Kronstadt der Maler und Zeichenlehrer Hermann Morres (1885-1971). Seine Bilder schmücken noch heute zahlreiche Wohnungen in Kronstadt, in Siebenbürgen und in Deutschland.Der begabte Schüler nahm zunächst Zeichenunterricht in Kronstadt. Danach studierte Hermann Morres von 1904 bis 1908 an der Ungarischen Akademie der Bildenden Künste in Budapest. Schon als Student hatte er Gelegenheit, im Budapester Nemzeti Szalon (Landesausstellung) einige Bilder auszustellen. In der Künstlerkolonie von Nagybánya (Baia Mare) traf Morres in den folgenden Sommern Gleichgesinnte zum Gedankenaustausch und kreativen Schaffen.Hermann Morres pflegte – mit gelegentlichen Abstechern ins Impressionistische und ins Symbolistische – bis ins hohe Alter eine gegenständliche Malerei, deren Schwerpunkte die heimatliche Landschaft und ihre Menschen sind.
Weniger bekannt ist, dass Hermann Morres auch komponierte. Als Jugendlicher erhielt er Klavierunterricht bei Paul Richter und bekam dadurch einen festen Bezug zur Musik. In einem Selbstzeugnis („Aus Kronstädter Gärten“, 1930) bekennt er, dass es vielleicht sein musikalisches Formgefühl war, das ihn als Maler vor den „letzten Konsequenzen der Formauflösung“ bewahrte.
Hermann Morres komponierte ungefähr 400 Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung, Klaviermusik zu 2 und 4 Händen sowie Chöre für gleiche und gemischte Stimmen. Mit seinen Kompositionen konnte er sich im öffentlichen Konzertbetrieb nicht durchsetzen. Sie waren eher für die Familie und den Freundeskreis bestimmt. Die Menge seiner Klavierlieder erweckt den Eindruck, als hätte Morres zu jedem Geburts- und Namenstag, zu jeder Einladung nicht einen Blumenstrauß oder eine Weinflasche mitgebracht, sondern eine eigene Komposition, die dann „im Kreise der Lieben“ zum Besten gegeben wurde. Hin und wieder sind Lieder mit einer kunstvoll gestalteten Umschlagseite versehen. Diese zeugen von der besonderen Zuneigung des malenden Komponisten zu den Widmungsträgern. Hermann Morres griff sowohl auf Texte einheimischer Dichter (Wolf v. Aichelburg, Mihai Eminescu, Adolf Meschendörfer, Erwin Neustädter, u. a.) als auch auf Texte der Weltliteratur (J. W. Goethe, N. Lenau, H. Heine, L. Uhland u. a.) zurück. Die Literatur der Zeit ist durch Hermann Hesse, Börries von Münchhausen, Lulu von Strauss und Torney u. a. vertreten. Die Vielfalt der Texte verrät, dass Hermann Morres nicht nur malte und komponierte, sondern dass er sich auch in der Literatur auskannte. Wenn er als Maler einen eher konservativ-gegenständlichen Stil pflegte, so war er in der Auswahl seiner Texte auch neuen Stilrichtungen zugewandt.
Ein Großteil des musikalischen Nachlasses von Hermann Morres befindet sich in Kronstadt im Familienbesitz und wurde kürzlich geordnet. Ein kleinerer Teil befindet sich im Musikarchiv der Evangelischen Kirche A. B. in Hermannstadt. Sinnvoll wäre es, diese beiden Bestände zusammenzulegen und in einem Archiv aufzubewahren.
Anlässlich seines 75. Geburtstages am 22. Mai 1960 wurde Hermann Morres im Festsaal der Deutschen Mittelschule Nr. 2 (heute Honterus-Lyzeum) von Kronstadt/damals Stalinstadt, mit einer Vortragsfolge eigener Werke geehrt. Nach einer Festrede, gehalten von Direktor Hermann Brantsch, eröffnete der Pionierchor unter der Leitung von Prof. Walter Schlandt den musikalischen Teil mit dem „Lied der Freundschaft“. Anschließend erklangen acht Klavierlieder und ein Charakterstück für Klavier. Zum Schluss sang der Schülerchor das „Bergmannslied“ auf einen Text von T. R. Popescu-?oimu. Wie konnte es damals anders sein? Anfang und Ende jeder öffentlichen kulturellen Veranstaltung war ein Lobgesang auf die Errungenschaften der neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung. Dazwischen durfte geschehen, was Menschen am Herzen lag.
Es wäre schön, wenn in diesem Jahr, vorausgesetzt dass die Pandemie nicht auch ein solches Projekt zunichtemacht, eine Würdigung des vielseitig begabten Künstlers Hermann Morres stattfinden könnte.