Es ist wenig sinnvoll, ein weiteres Mal Bickerichs Wirken Revue passieren zu lassen, als Gründer des Bach-chors der Schwarzen Kirche und als Apostel Johann Sebastian Bachs in Siebenbürgen, denn das ist in den vergangenen Jahren schon öfter geschehen, und dank Adolf Hartmut Gärtner lässt sich dies Wirken bis in allen Einzelheiten genauestens verfolgen. Deshalb möchte ich auf eine Seite von Bickerichs Wirken lenken, die bei Gärtner zwar gebührend gewürdigt worden ist, der er aber aus Platzgründen nicht mehr Raum zu bieten vermochte.
Es handelt sich um Bickerichs Schriften zu verschiedenen Themen, die uns sein Denken und seine sprachliche Gewandtheit nahebringen können. Hier hätten wir noch jenen direkten Zugang zu seiner Persönlichkeit, den wir durch Tonaufnahmen leider nicht mehr haben. Und hier ist noch ein Schatz zu heben, indem zunächst einmal alles gesammelt werden müsste, um danach eine Auswahl und kommentierte Druckausgabe seiner Schriften dem musikinteressierten Leserpublikum zugänglich zu machen.
Dass Bickerichs musikwissenschaftliche Arbeit noch zu seinen Lebzeiten geschätzt wurde, hat seinen Ausdruck u.a. auch darin gefunden, dass er Mitglied des Rumänischen Komponistenverbandes, Sektion Musikwissenschaft werden konnte. Seine in Fachkreisen bekannteste Schrift ist eine Studie über die Orgelmusik in Rumänien („Muzica de orgă in România“), erschienen 1962 in der „Revista Muzica“, bzw. 1967 in den „Studii de Muzicologie“. Nach seinem Tod erschien die in Zusammenarbeit mit Norbert Petri verfasste Schrift „Brahms în Transilvania“.
Darüber hinaus führt Gärtner noch 30 Titel von mehr oder weniger umfangreichen, in deutscher Sprache verfassten Arbeiten an. Es handelt sich in der Hauptsache um Veröffentlichungen in der „Kronstädter Zeitung“ und um etliche unveröffentlichte Arbeiten. Es darf allerdings vermutet werden, dass einige von Bickerichs unveröffentlichten musikwissenschaftlichen Arbeiten verloren gegangen sind, so etwa der Zettelkatalog zur Musikgeschichte Siebenbürgens. Erhalten dazu hat sich nur ein handschriftliches Stichwortverzeichnis mit etwa 60 Stichwörtern und 75 Personennamen, angelegt in Bickerichs letzten Lebensjahren (1959, 1960).
Die „Kronstädter Zeitung“ meldet häufig Vorträge von Bickerich an, deren Texte heute offenbar verschollen sind. So z.B. vermerkt die Zeitung vom 9. Mai 1922, ein Monat nach Bickerichs Amtsantritt, den Beginn der Bach-Vorträge Bickerichs, die am 6. August 1922 abgeschlossen wurden. Es wäre aufschlussreich zu sehen, wie Bickerich diese ersten Kronstädter Einführungsvorträge konzipiert hat. Auf eine zweite Vortragsreihe bezieht sich eine Anmerkung der Zeitschrift „Klingsor“ (Jg. 1, Heft 1. April 1924), gezeichnet Konrad Nussbächer: „Bickerich aber stürmt, wo Lassel schreitet. Er überfällt die Kronstädter mit seinem geliebten Bach nicht nur gelegentlich, sondern versetzt ihn konsequent und bei allen Gelegenheiten“. Anlässlich der 1924 erfolgten Erstaufführung für ganz Südosteuropa von Bachs Matthäuspassion lud die „Kronstädter Zeitung“ nochmals zu einem Einführungsvortrag in das Werk ein. Von beiden Vorträgen fehlt bedauerlicherweise jede Spur.
Wie methodisch er vorging, zeigt eine Vortragsreihe aus dem Jahr 1933, die in neun Kapitel gegliedert war: Johann Sebastian Bach, die Persönlichkeit und das Werk; Die Entstehung der Passionskomposition; Die Geschichte der Matthäuspassion Bachs; Das Rezitativ des Evangelisten in der Matthäuspassion; Die Vertonung der Christusworte in der Matthäuspassion; Die Chöre in Bachs Matthäuspassion; Die Choräle in Bachs Matthäuspassion; Die Sopranarien in Bachs Matthäuspassion; Die Altarien in Bachs Matthäuspassion.
Wenn Bach im Zentrum sowohl der interpretatorischen, als auch der musikwissenschaftlichen Tätigkeit Bickerichs stand, so beinhaltet das aber keinesfalls eine Eingrenzung seiner Themenkreise. Sie umfassen außer Komponistennamen wie Händel, Mozart, Beethoven, Brahms, Bruckner, Daniel Croner, Baußnern, Paul Richter, Rudolf Wagner Regeny, Glinka u.a. auch Themen wie : Deutsche Musik in Siebenbürgen, Die neue Singbewegung, Zur Schüleraufführung von Schillers „Räubern“, Grundfragen der musikalischen Erziehung, Das Grammophon im Dienst der Musikwissenschaft, Protestantische und katholische Kirchenmusik, und viele andere. Hinzu kommen sogenannte Vorberichte in der „Kronstädter Zeitung“, in denen Bickerich musikalische Ereignisse empfiehlt, beispielsweise die Konzerte von Edwin Fischer (seinem Generationskollegen), Fritz Heitmann (Bikerichs Berliner Orgellehrer), Franz Xaver Dressler, Bartok, Enescu, Berliner Sinfonieorchester, Kurt Thomas, Wilhelm Kempf, Kölner Kammersinfonieorchester, Wiener Sängerknaben usw.
Und dies ist noch lange nicht alles, denn Bickerich schrieb auch Konzertberichte, rezensierte die Druckausgabe von Richters 10 Klavierliedern und nahm öffentlich Stellung zu Belangen des Kronstädter Musiklebens, etwa in seiner Entgegnung zum Artikel Emil Neugeborens „Eine bedenkliche Ausgabe“ (betreffend dringend notwendige Reparaturen an der Buchholzorgel im Jahr 1923) oder „Unsere gegenwärtige musikalische Lage unter besonderer Berücksichtigung der Philharmonischen Gesellschaft“ (Januar 1940). Es ist insgesamt ein reiches, kaum übersehbares Material, aus dem ersichtlich wird, dass es kaum ein musikalisches Geschehen der Jahre 1922 bis 1964 in Kronstadt gegeben hat, das nicht in irgend einer Weise mit Bickerichs Namen verbunden war. Es wäre unendlich schade, wenn dieser Schatz nicht gehoben würde, denn er birgt Bickerichs Gedankengut in vielfältiger Weise und ist auch heute noch von Interesse, nicht nur aus musikhistorischer Sicht. Um einen kleinen Einblick in diese Welt zu ermöglichen, führe ich einen kurzen Ausschnitt aus Bickerichs Beethoven-Vortragszyklus vor.
(Fortsetzung folgt)