Die Dielen knarren, das Feuer knistert, von den Fenstern dringt lila-graues Novemberlicht in die Stube, Wolken ziehen geheimnisvoll vorbei. Der Wind weht und die Bäume biegen sich wie riesige gekrümmte Gestalten, zwischen ihren kahlen Ästen glitzert ein blasser Vollmond und aus der Ferne hört man einen Vogel schreien. Drinnen ist es warm und gemütlich, eine Kerze brennt, Jazzmusik tönt diskret aus den Lautsprechern und das Essen wird aufgetischt: Selleriecremesuppe mit Croutons, Rindflesich mit Kartoffelpüree und Birne in Wein. Wir befinden uns in Micloșoara (ungarisch Miklósvár), knapp eine Autostunde von Kronstadt entfernt und es ist das erste Mal in unserem Leben, dass wir mit einem Grafen zu Abend essen.
Es ist ein Novemberabend wie im Bilderbuch und man bekommt Lust, schaurige Märchen und Geschichten zu erzählen. Graf Tibor Kálnoky erzählt in einem perfekten Deutsch von seinem exzentrischen Uronkel, einem ewigen Junggesellen, der Löwen in Afrika gejagt hat und zu Hause neun Duelle überlebt hat.
Als seine uneheliche Tochter mit nur 11 Jahren gestorben ist, hat er das Mädchen in einem Glassarg in der Familiengruft beigesetzt. Jetzt ist der Schlüssel zur Gruft verlorengegangen, doch alle Dorfbewohner schwören, dass die Leiche unverändert geblieben ist. Dann erzählt der Graf von der Dorfhexe Marika Néni, die sich manchmal in eine Kröte verwandelte, von Zimmern, in denen es spukt und von tanzenden Stiefeln, die man an manchen Abenden auf den Dächern des Dorfes sehen kann. Das Erzählen macht ihm Spaß.
Graf Kálnoky ist der 25. in der Ahnenreihe. Seine Familie verbrachte über acht Jahrhunderte in Miklósvár, bis die rumänischen Faschisten seine Großeltern aus dem Land verwiesen haben. Aufgewachsen in Deutschland, Frankreich und den USA ist er Ende der Neunziger Jahre endgültig in die Heimat seiner Vorfahren zurückgekehrt, um den Familienbesitz wieder aufzubauen.
Der einstige Sommersitz des Grafen Kálnoky, ein Jagdschloss, das im 16. Jahrhundert erbaut wurde, hat eine abwechslungsreiche Geschichte hinter sich. Es wurde während des Kommunismus enteignet und verfiel. Nach der Wende konnte die Familie das Schloss übernehmen und heute ist hier ein Museum eingerichtet. Im Dorf, wo das Schloss liegt, hat Tibor Kálnoky mehrere Häuser gekauft, restauriert und heißt seit zwanzig Jahren Touristen aus aller Welt hier willkommen.
Das tiefgefrorene Dorf
1987 war Kálnoky das erste Mal im Dorf seiner Vorfahren. Er wollte sehen, was übrig geblieben ist vom alten Besitz seiner Familie. Wir fragen ihn, ob er sich noch an diese Reise erinnert. „Deswegen bin ich jetzt hier“, meint er. Es war ein Tag, der sein Leben verändert hat. „Miklósvár sah aus, als ob ein Dorf aus dem 19. Jahrhundert tiefgefroren geblieben wäre. Im Kommunismus wurde nichts geändert, es war nichts modernisiert und die Leute waren alle hier. Ich hatte mir vorgestellt, dass hier nur Geisterdörfer wären. Wir wurden so herzlich empfangen von den Leuten hier, dass ich mir sofort gewünscht habe, zurückzukommen. Bis dahin hatte ich in Holland gelebt, an der Côte d’Azur und in Paris, also in Gesellschaften, die sehr anonym waren – nicht zu herzlich, nicht zu freundlich, wo man seine Nachbarn nicht unbedingt kennt. Aber hier im Dorf kennt jeder jeden, und jeder hat einen Spitznamen“, schwärmt der Adelige. Er meint, es gebe noch große Probleme, vor allem wegen der Armut. Aber er hat sich hier sofort wie zu Hause gefühlt. Dabei konnte er zu dem Zeitpunkt seines ersten Besuches gar kein Ungarisch oder Rumänisch.
Doch es waren schwierige Zeiten. Obwohl sich das Ende des Kommunismus näherte, konnte es noch niemand ahnen. „Ceaușescu hatte solche phantastisch großen technologischen Vorhaben. Eines von ihnen war, alle Dörfer abzureißen und aus fünf abgerissenen Dörfern eine neue Ortschaft zu bauen, mit Betonwohnblocks. Ein sogenanntes agroindustrielles Zentrum. Miklósvár war auf der Liste der Dörfer, die zerstört werden sollten, in Aita Mare sollte das neue Zentrum entstehen. 1989 war dann Gott sei Dank alles vorbei“, erinnert sich Kálnoky.
Die endgültige Rückkehr
10 Jahre nach seinem ersten Besuch im Dorf, im Jahr 1997, ist Graf Kálnoky zurück nach Rumänien gekommen. Bis dann hat er Tiermedizin studiert. Schon immer war er ein großer Naturschützer gewesen, und als Jugendlicher hatte er ein Wildvogelhospital, das sogar vom französischen Umweltministerium anerkannt war. Die Patienten waren Vögel, die einen Autounfall erlitten hatten oder die von Katzen verletzt wurden. „Damals haben wir in einem großen Haus außerhalb von Paris gewohnt. Im Hof war ein Kutschenhaus, dort habe ich große Käfige gebaut. Das war das Krankenhaus“. Doch langsam wurde ihm klar, dass er nie Tierarzt sein wird, denn er hatte andere Pläne. „Trotzdem habe ich das Studium zu Ende gebracht. Und ich hatte Glück, weil es mir zu einer Karriere in der Pharma-Medizin verholfen hat“. Nach seiner endgültigen Rückkehr nach Rumänien hat Kálnoky fünf Jahre lang in Bukarest gearbeitet, wo er einen Pharma-Konzern auf die Beine gestellt hat. Jedes Wochenende hat er jedoch in Miklósvár verbracht. Ende der 90er Jahre war im ehemaligen Jagdschloss der Familie noch ein Kulturzentrum in Betrieb. 2004 hat er dann das Schloss übernehmen können. Am Anfang hat er es nicht als Tourismus-Investition vorgesehen. „Wir dachten nur, dass wir unser Familienerbe renovieren. Aber dann bemerkten wir eben, dass es auch anderen Leuten gefällt.“ Der entscheidende Moment kam bei der Hochzeit des Grafen mit seiner Frau Anna, die aus Neumarkt am Mieresch stammt.
200 Kühe und 200 Hochzeitsgäste
Kálnoky kam auf die Idee, die Hochzeit im Schloss aus Miklósvár zu feiern, das damals eine ziemliche Ruine war. „Unsere Eltern haben gesagt: ‘schön, ok, aber richtet euch darauf ein, dass ihr alleine sein werdet. Wer kommt in ein Dorf in Rumänien zu einer Hochzeit?‘ Alle sind gekommen, über 200 Leute aus der ganzen Welt, sogar die, die ich vergessen hatte, einzuladen. Das war auch der Schlüsselpunkt, wo ich mir gesagt habe: Hier könnte man auch etwas mit Tourismus machen“.
Die Hochzeitsgäste waren alle bei Dorfbewohnern untergebracht, jede Familie im Dorf hatte einen Gast übernommen. An die drei Tage und drei Nächte in Rumänien erinnern sie sich noch heute. „Das Frühstück hat mit einem Glas Palinka angefangen, es gab kein einziges Badezimmer im ganzen Dorf, so dass wir drei Duschen gebaut haben und in strategischen Punkten aufgestellt haben, da stand die hohe Aristokratie aus Europa Schlange, um zu duschen.“ Das Gerücht, dass in Miklósvár ein ganz besonderes Ereignis stattfindet sprach sich schnell herum. Kálnoky erinnert sich, dass Friseure aus Sankt Georgen anreisten, um die Gäste zu beobachten und zu schauen, was die neueste Mode ist in Paris und London. Der Hochzeitsball fand im Schloss statt und der Bräutigam hat das Event für 20.30 Uhr angesetzt, wissend, dass um 20 Uhr die Kühe von der Weide nach Hause kommen. „Die Leute kamen aus den Häusern in ihrem Frack und ihren teuren Abendkleidern und mischten sich dann mit der Kuhherde. Es war ein einmaliges Bild: 200 Kühe und 200 Hochzeitsgäste, die gemeinsam die Straße herunterkamen. Dann haben wir bemerkt, dass es hier etwas Besonderes gibt und dass es den Leuten so sehr gefällt, dass sie nicht mehr weg möchten. Und als wir das erste Haus hier gekauft haben, sind die Verwandten und Freunde auf Besuch gekommen, und das ist eigentlich der Ursprung unseres Tourismus-Projektes in der Gegend“.
Auch rumänische Touristen haben Miklósvár entdeckt
Inzwischen konnte Kálnoky schon perfekt Ungarisch. „Wenn ich auf eine Sache stolz bin in meinem Leben, dann ist es, dass ich mit über 20 Jahren Ungarisch gelernt habe.“ Rumänisch hat er nie wirklich gelernt, sondern später, als er in Bukarest gelebt hat, „einfach aufgeschnappt“. „Die Rumänen machen es einem nicht einfach, denn sie können ja alle Deutsch, oder Englisch, oder Französisch. Und das sind ja alles Sprachen, die ich auch spreche.“
Zurzeit stehen in mehreren Häusern zehn Zimmer für Touristen zur Verfügung. Mit dem Ausbruch der Coronavirus-Epidemie musste Kálnoky seine Marketing-Strategie ändern. Die ausländischen Kunden kamen nicht mehr, also musste man Touristen aus Rumänien ansprechen. Er hat angefangen, Interviews in rumänischer Sprache zu geben. „Und es hat geklappt. Die rumänischen Touristen sind gekommen.“
Der prominenteste Gast, der das Dorf besucht hat (und es noch regelmäßig tut), ist wohl Prinz Charles. Mit Kálnoky verbindet ihn eine innige Freundschaft, doch die beiden sind auch entfernt verwandt: vor zwölf Generationen hatten sie den gleichen Urgroßvater.
„Dann kam Prinz Charles, inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass wir eine ziemlich enge Verbindung haben. Er meinte, er hätte auch gerne so einen Ort, wo er sich zurückziehen kann. Dann hat er das Haus in Deutsch-Weißkirch erstanden und hat uns gebeten, es zu renovieren und für ihn herzurichten. Das haben wir dann gemacht, aber bis zum Schluss war es zu wenig privat. Alle wussten, dass er da ist. Dann hat er mich gefragt, ob man nicht etwas Diskreteres finden kann, näher an der Natur. Er ist ganz besonders interessiert an wilden Blumen. Dann sind wir von hier, von Miklósvár, fünf Stunden lang zu Fuß gegangen bis nach Valea Z˛lanului, durch Wälder und Wiesen. Und als wir dort angekommen sind, meinte er, es wäre genau das, was er sich vorgestellt hat. Und dann haben wir die Sachen langsam verbunden – für unsere Gäste, für die Reitgäste. Und alles hat sich schön langsam entwickelt“.
„Das große Problem sind nicht die Bären, sondern die Hunde“
Das Reittourismus-Projekt wurde im Jahr 2007 gestartet. Ein englischer Freund von Kálnoky hatte in Lunca Ilvei in Maramuresch Reittourismus betrieben, musste aber aufhören und zurück nach England ziehen. Er bat den Grafen, sieben seiner Pferde zu übernehmen. „Weil meine Frau einen sehr starken Reiterhintergrund hat und meine Familie sowieso, haben wir auch das angefangen. Es funktionierte sogar besser als die Gästehäuser. Denn die ideale Art, diese Gegend zu erkunden, ist auf dem Pferdesattel. Zu Fuß und auf dem Mountainbike – das würde ich nicht raten, denn dann kommen die Hunde. Das ist wirklich ein riesengroßes Problem. Man spricht immer über Bären, aber die Hunde sind ein viel größeres Problem. Wenn man zu Pferd unterwegs ist, kann einem nichts passieren. Wenn man reitet, ist man ja so weit oben. Und da kann einem nichts passieren. Auch die Pferde sind es gewohnt, und man reitet quasi durch die Hundemeute hindurch. Das Problem ist natürlich damit nicht beseitigt. Da müsste man auch in der Politik ein paar Sachen machen, gerade für Tourismus, dass man hier kaum wandern gehen kann ohne ein Pfefferspray und ohne Angst zu haben“.
Die Reittouristen kommen meistens aus dem Ausland (England, Australien) und verbringen eine Woche in Miklósvár, wobei sie täglich ausreiten. Dass sie von so weit her kommen, ist kein Wunder – in ihren Ländern gibt es inzwischen kaum mehr unangetastete Natur. Reitet man im Wald, erscheint plötzlich eine Autobahn, oder Windmühlen, oder elektrische Zäune. Es ist eine Frage der Zeit, wann es auch in Rumänien so aussehen wird. Aber vorläufig gibt es hier noch ein kleines Reitparadies, und man sollte das schätzen, so lange es noch existiert.
Der Reiturlaub in Siebenbürgen ist natürlich nur für experimentierte Reiter gedacht. Man kann auch reiten lernen – in Valea Crișului besitzen der Graf und seine Frau eine Reitschule, doch es dauert ungefähr drei Jahre, bis man gut genug reiten kann, um mitzumachen.
Kanloky selbst macht gerne Urlaub in Griechenland. „Doch wir können nie faul am Strand liegen. Wir mieten ein Boot und fahren damit aus, dann angeln wir und tauchen und springen ins Wasser. Aber auch in Rumänien mache ich gerne Urlaub. Da mein Leben sehr anstrengend ist, versuche ich wenigstens einmal im Monat ein Time-Out zu nehmen. Zwei Tage lang schalte ich dann das Telefon aus. Sehr oft fahre ich nach Hermannstadt, in die Stadt oder in die nahe gelegenen Berge. Rumänien ist ja phantastisch. Was es hier alles gibt! Man braucht dafür wirklich nicht weit zu gehen“.
Die lila und orangefarbenen Pensionen
Was Graf Kálnoky am rumänischen Tourismus stört, ist, dass es so viele „lila und orangenfarbene“ Pensionen und Hotels gibt, die überhaupt nicht in die Landschaft passen. Tatsächlich gab es in den frühen 2000ern fast ausschließlich Pensionen, deren Wände orange oder lila gestrichen waren, aber inzwischen hat sich das stark geändert. Trotzdem meint der Graf, es sei sehr schwierig, „einen Platz zu finden zum Übernachten, der nicht lila oder orange ist“. Seit 20 Jahren versucht er, eine „Anti lila und orange“-Tourismusaktion zu propagieren. Das bedeutet: sorgfältig renovierte Häuser, die in die Landschaft passen und den Charme der vergangenen Jahre nicht verloren haben, nur natürliche Produkte zum Frühstück, nicht unbedingt Luxus, aber Authentizität. „Ich habe auch Prinz Charles dazu gebracht, dass er darüber mit der Presse spricht. In den ersten Jahren, als er kam, hatte er keine Lust darauf und hat versucht, absolut inkognito zu bleiben, bis er verstanden hat, dass er sprechen muss. Er hat sich immer beklagt: ‘Oh mein Gott, was ist das wieder für ein orangenfarbenes Haus da in dem Dorf? Was kann man dagegen tun?‘ Da habe ich geantwortet: ‘Sagen Sie doch was! Erklären sie doch mal, gehen sie doch vor die Presse!‘. Und dann hat er die erste Pressekonferenz abgehalten, es war 2008 in Keisd, als wir zusammen gegangen waren zum Grab seiner Ur-Urgroßmutter in Sângeorgiu de P²dure. Seitdem hat er erkannt, dass er helfen kann, seitdem spricht er regelmäßig mit der Presse und versucht, auf Sachen, die nicht so gut sind, aufmerksam zu machen. Wir haben also den ersten Schritt gemacht in Richtung authentischer Tourismus und wir waren unter den allerersten, die keine lila oder orangefarbene Pension hatten“. Was den blühenden Tourismus in Deutsch-Weißkirch betrifft, meint Kálnoky: „Da gibt es eine passende ungarische Redewendung: Man ist auf die andere Seite des Pferdes gefallen. Tourismus kann leider auch zerstörend wirken. Man muss sehr aufpassen, wie man Marketing macht und was man für ein Bild abgibt, damit nicht alle Leute hier auftauchen. Das verliert schnell seinen Charme“.
Ein abwechslungsreiches Tourismus- und Kulturprogramm
Inzwischen gibt es viele Unterkünfte in Rumänien, die „anders“ sind als „orange und lila“- man könnte einen Reiseführer damit füllen. „Ich reise einmal im Monat durch Rumänien, aber nach wie vor ist Lila und Orange in der Überzahl. In Italien oder in der Schweiz zum Beispiel ist Lila und Orange schon die Ausnahme. Es wäre schön, wenn man das auch hier erreichen könnte. Wenn es so etwas in jedem Dorf gäbe, dann wäre es phantastisch. Jetzt langsam merkt man es immer mehr, dass es die Leute kapiert haben. Es wächst eine neue Generation heran, die mehr im Ausland gewesen ist und begreift, was das für Werte sind, die hier auf der Hand liegen“.
Laut Kálnoky hat der Trend für Authentizität vor etwa 7-8 Jahren angefangen. „Alle Leute, die etwas in dieser Richtung tun wollten, waren hier in Miklósvár. Auch diejenigen, die in Deutsch-Weißkirch Projekte aufgebaut haben. Sie haben sich angeschaut, was wir hier machen und das hat sie inspiriert. Es war danach sehr schön zu sehen, wie sich die Sachen entwickelt haben. Jeder macht es ein bisschen anders. Manche machen es nicht so historisch wie wir, sondern moderner, luxus-mäßiger. Man kann sich inzwischen in Rumänien ein sehr schönes Itinéraire zusammenbasteln und ausschließlich in solchen Unterkünften übernachten“.
Eine solche Tourismus-Route wird auch im Szeklerland angeboten: ein sechstägiger Urlaub, in dem man je zwei Nächte auf ehemaligen Anwesen von Grafen übernachten kann. Man verbringt zwei Tage in Zabala, zwei beim Schloss Daniel in T˛li{oara und die anderen zwei in den Gästehäusern des Grafen Kálnoky und genießt ein abwechslungsreiches Programm: man lernt, Baumstritzel zu backen und Blumen aus Filz zu basteln, man besucht die Werkstadt eines Hufschmieds und fährt mit der Kutsche zu einem Picknick mitten im Wald. Auch im Haus ist es gemütlich- unzählige Bücher, Bord- und Kartenspiele stehen zur Verfügung. „Vor der Pandemie kamen vor allem Ausländer nach Miklósvár. Unser typischer Gast kam für 5 Tage und wir hatten für jeden Tag zwei verschiedene Programme im Angebot – entweder ein kulturelles Programm oder einen Ausflug in die Natur. Auch wenn man zwei Wochen hier verbringt, gibt es viel zu tun. Nach Corona mussten wir alles umdenken und das Angebot für einheimische Touristen attraktiv machen. Touristen aus Rumänien wollen ja nicht nach Miklósvár kommen, um Ausflüge nach Kronstadt oder Schäßburg zu unternehmen. Wir haben uns auf lokale Erlebnisse konzentriert: Workshops und Ausflüge in der Gegend“. Im nächsten Jahr soll das Angebot erweitert werden.
Ein TV-Gerät wäre überflüssig
Vor 2020 wurden in den Gästehäusern im Dorf 5000 ausländische Touristen beherbergt, 2020 waren es wenig über die Hälfte davon, hauptsächlich Einheimische. Kálnokys Konzept, eine Zeitreise in die siebenbürgische Vergangenheit zu ermöglichen, bleibt jedoch unverändert. Die Touristen werden von Leuten aus dem Dorf bedient. „Wir wollen hier keinen Luxus machen. Manchmal schicken wir die Manager nach England, damit sie sehen wie ein königlicher Haushalt funktioniert. Aber nicht, damit sie das auch so machen, sondern damit sie sehen, wie es funktioniert und um Ideen zu übernehmen. Wir wollen einen Geist übernehmen“, meint Kálnoky. Drei weitere Bauernhäuser im Dorf wurden in den letzten Jahren gekauft, restauriert und zu Gästehäusern umgebaut. In einem der großen Innenhöfe wurde ein Holzhaus aufgestellt, das aus einem benachbarten Dorf gekauft wurde. Somit stehen derzeit 11 Zimmer zur Verfügung. Die Kálnoky-Stiftung verwaltet auch sieben Gästezimmer in drei alten, restaurierten Gebäuden in Valea Z˛lanului, einem Dorf, das dem Thronfolger des Vereinigten Königreiches ans Herz gewachsen ist. Die antiken authentisch sächsischen und szeklerischen Gegenstände im Inneren laden zu einer Zeitreise ins 19. Jahrhundert ein. Bemalte Krüge, antike Doppelbetten, Bettwäsche aus natürlichen Fasern, handgefertigtes Gewebe, Wolldecken, gepolsterte Sessel, elegante Spiegel, bestickte Tischdecken, Spitzenvorhänge, Messing-Kerzenständer und -türklinken, handgefertigte Teppiche, bemalte Holztruhen, kleine Nachtlampen oder Kuckucksuhren - man kann sich nicht satt sehen an all den Antiquitäten, welche die Zimmer beseelen. Nur die Heizung wurde modernisiert und Bäder in fast alle Zimmer eingebaut, um dem 21. Jahrhundert gerecht zu werden. „Vor genau 20 Jahren, als wir angefangen haben, da hatten die Zimmer kein Badezimmer, alles sah aus wie im 19. Jahrhundert. Es gab nur ein einziges Badezimmer am Ende des Flures, das alle Gäste teilen mussten. Das musste geändert werden, weil die Erwartungen langsam stiegen. Wir sind dauernd dabei, den Komfort zu verbessern“, meint Kálnoky. Die Zentralheizung ist diskret eingebaut und kaum bemerkbar, die Bäder eine Sehenswürdigkeit an sich. Die meisten Objekte stammen von Flohmärkten wie etwa jenem berühmten aus Negreni (Kreis Klausenburg). Um den Zeitgeist zu erhalten, wurden bunte Kachelöfen von lokalen Handwerkern nach alten Modellen nachgebaut, die verwendeten Glühbirnen sind schwach und erinnern an Kerzenlicht. Was man während eines Aufenthalts in Miklósvár komplett vergisst ist, dass es kein TV-Gerät in den Zimmern gibt. „Ein sehr schönes Kompliment habe ich kürzlich bekommen, von einem Ausländer, der hier war: ‘Wissen sie was, jetzt verstehe ich, warum hier keine Fernseher sind. Wenn ich im Bett liege und mir mein Zimmer anschaue, dann kann ich mich nicht satt sehen an den verschiedenen Gegenständen, die dort sind, ich brauche gar kein TV-Gerät. Der würde den Eindruck zerstören, dem man hier ausgesetzt ist. Dem Auge ist nie langweilig‘”.
Der Husar in der Badewanne
Zurzeit arbeitet man eifrig an Werbefilmen, um die Gästezimmer zu präsentieren. „Fast alle Werbematerialien für Hotels zeigen halbnackte Frauen in der kerzenbeleuchteten Badewanne, mit einem Champagnerglas in der Hand. Das ist langweilig. Also habe ich mir als Werbung für das Husarenzimmer (Anm. der Redaktion: jedes Zimmer trägt einen anderen Namen) folgendes Szenario ausgedacht: Ein Husar im Uniform trifft auf dem Hof ein, steigt vom Pferd ab, betritt das Gästezimmer, wirft seinen Säbel auf das Bett. Dann schaut er sich um und sieht, wie schön das Zimmer ist, öffnet eine Flasche Champagner und sieht die Badewanne, lässt sich Wasser ein und zieht sich aus. Im 19. Jahrhundert hat man ja immer in Unterwäsche gebadet. Und dann sieht man in der Badewanne statt einer schönen Frau einen struppigen Husar. Das Drehbuch habe ich mir selbst ausgedacht. Wir sind kreativ hier“.
Kreativ muss man auch mit dem Angebot sein. Zurzeit denkt man an ein leckeres Gericht, das im „Stone Pub“ neben der Rezeption auf der Speisekarte stehen soll. „Es gibt ja Restaurants, die bekannt sind für ein einziges Gericht. Aber dieses Gericht ist sensationell. Auf Korfu zum Beispiel gibt es ein kleines Restaurant, wo es nur Lamm gibt. Man kriegt nichts anderes. Die Leute stehen aber Schlange, weil ein unglaubliches Lammfleisch aufgetischt wird. In Genf serviert ein Lokal nur Steak, und es ist 3 Monate im Vorhinein ausverkauft. Das wollen wir auch machen“, meint der Graf. Das Rezept ist noch ein Geheimnis. Am Anfang nächsten Jahres soll es aber schon aufgetischt werden. Da lohnt sich ein Weg bis nach Miklósvár auf jeden Fall.
KASTEN
Das Schloss und seine abwechslungsreiche Geschichte
Das Jagdschloss wurde 1648 von Istvan Kálnoky errichtet und hat im Laufe der Jahrhunderte viele Änderungen erlebt. Bis ins 20. Jahrhundert war es ständig im Besitz der Familie Kálnoky. Samuel Kálnoky, Vizekanzler Siebenbürgens und später Graf, hat weitläufige Bauarbeiten am Gebäude durchgeführt. Er hatte lange Zeit in Wien gelebt und den österreichischen Barock nach Miklósvár gebracht. Um einen Teil der Steinmetzerei kümmerte sich Steinmetz Mihály Köfaragó, Kronstädter von der Blumenau. Handwerker internationalen Niveaus wie Stuckateur, Tischler, Zimmermann und Steinmetz ließ Kálnoky aus Wien bringen, um sein Erbe zu verschönern. Anfang des 18. Jahrhunderts entstehen u.a. die dekorierten Gewölbe und Arkaden, die Fassaden werden wiederhergestellt. Während der Jahrhunderte verfiel das Gebäude mehrmals und wurde immer wieder aufgebaut, bis es 1940 dem damaligen Finanzminister in der Regierung von Octavian Goga verkauft wurde. Drei Jahre lang diente das Gebäude als Kaserne der ungarischen Armee, im Kommunismus als Sitz der Landwirtschaftlichen Kollektivwirtschaften (CAP) und anschließend als Kulturhaus.
Nach der Wende hat Tibor Kálnoky es infolge eines Konzessionsvertrags für 49 Jahre erhalten und es u.a mit norwegischen Fonds restauriert. Derzeit ist im Schloss das Museum für Siebenbürgisches Leben eingerichtet, in dem das Leben und Erbgut der siebenbürgischen Bourgeoisie und des Adels im 17., 18. und 19. Jahrhundert sichtbar wird.
Gemeinsam mit seiner Frau Anna hat Tibor Kálnoky nach antiken Gegenständen zur Ausstattung der Kultureinrichtung gesucht, vieles angekauft, hinzu kamen Spenden. Sie stießen dabei sogar auf einen Kerzenständer, der in der Glasfabrik der Familie hergestellt wurde. Aus alten Zeiten war nicht viel übriggeblieben. Dennoch sind in den Räumlichkeiten u.a. authentische Waffen von den Kämpfen mit den Türken zur Schau gestellt, Truhen, aber auch ein originales Streicher Klavier – das Modell auf dem auch Johannes Brahms spielte. Kachelöfen und Kleidung wurden von lokalen Handwerkern treu nachgemacht.
Seit seiner Eröffnung im Jahr 2017 werden auf dem rund fünf Hektar großen Grundstück unterschiedliche Aktivitäten angeboten. Touristen aus der ganzen Welt haben an Hochzeiten, Taufen, Konferenzen, Ausstellungen, Wohltätigkeits-Dinnern, Handwerker-Workshops teilgenommen. Im Keller wurden jeweils eine rumänische, eine deutsche und eine szeklerische Ecke eingerichtet, die mit spezifischen handgefertigten Handtüchern oder Wandbehängen verziert sind. Die Küche ist heute noch funktionstüchtig, die Mahlzeiten werden auf Herden mit Gusseisen-Ofenringen bereitet. Ab dem kommenden Jahr könnten im Schloss Gästezimmer eingerichtet werden.